RNZ-Forum

Wie Gabriele Krone-Schmalz Russland erklärt (plus Video/Audio)

Die Frau, die mit Leidenschaft über den Krieg streitet. Die Journalistin verteidigte ihre Abneigung gegen das Feindbild Russland.

15.12.2022 UPDATE: 15.12.2022 19:32 Uhr 4 Minuten, 7 Sekunden
RNZ-Chefredakteur im Gespräch mit Gabriele Krone-Schmalz. Foto: Joe

Von Benjamin Auber

Heidelberg. Es knistert im Saal. Die Spannung ist kaum auszuhalten. So elektrisierend war ein RNZ-Forum im voll besetzten Heidelberger Theater selten. Wie wird die Analyse der streitbaren Journalistin Gabriele Krone-Schmalz über den Ukraine-Krieg ausfallen? RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel klärte die Zuschauer zu Beginn über eine Kontroverse auf, denn vorab haben einige Osteuropa-Forscherinnen darauf gedrängt, die Veranstaltung abzusagen.

Vor dem Theater fand eine pro-ukrainische Kundgebung von rund 20 Personen statt, die ebenfalls die Einladung kritisierte. Muss man sich etwa rechtfertigen, wenn man Meinungsvielfalt zulässt? Unter Applaus ließ Welzel wissen, dass "Thesen dazu da sind, sich darüber zu streiten". Zeitungen seien ein Ort der gegensätzlichen Meinungen. Zumal die Rhein-Neckar-Zeitung, wie Welzel darlegte, stets ausgewogen über den Krieg berichte.

Bevor aber Welzel selbst den "kritischen Gegenpart" einnehmen konnte, stand die Vita von Krone-Schmalz im Vordergrund. Schon zu Beginn erzählte sie, die sowohl im Bayerischen Wald als auch in Köln aufgewachsen ist, über ihren Vater, der ihr beibrachte "nicht stromlinienartig durchs Leben zu gehen". Über die strikte Kleiderordnung eines Kölner Mädchengymnasiums, die sie "sehr speziell" fand, führte sie ihr Weg direkt zum WDR. Dort machte ihr ein Redakteur aber klar, nicht länger zu bleiben ("Mädche mach das nit"), sondern sich mit einem Universitätsabschluss für höhere Aufgaben zu qualifizieren.

 

Gesagt, getan. Im Studium der Osteuropäischen, Mittleren und Neueren Geschichte, Slawistik sowie der Politikwissenschaft an der Universität Köln, beschäftigte sie sich schon früh mit der Einordnung der Welt in "zementierte Freund- und Feindbilder". "Das ist die Basis von einer Menge Unglück", sagte Krone-Schmalz. Auf Studienreisen in die damalige Sowjetunion lernte sie das Land kennen. Welzel wollte wissen, was genau sie dort gelernt habe. Krone-Schmalz’ Antwort: "Wir in westlichen Gesellschaften glauben, dass wir wirklich für alles eine Lösung haben. Die Russen können Widersprüche akzeptieren und schauen dann, wie sie damit klarkommen."

In ihrer Dissertation stellte sie bei ihrer Untersuchung von Schulfunkprogrammen fest, wie auch im Westen unterschwellig die Klischee-Bildung vorangetrieben wurde. Der Drang zum Journalismus war so stark ausgeprägt, dass sie sogar während der Abschlussarbeit ein Volontariat beim WDR absolvierte. Eine harte Zeit, die sich auszahlen sollte, denn so machte Krone-Schmalz Ende der 1970er-Jahre Karriere im Fernsehen.

Pro-ukrainische Demonstranten protestierten am Mittwochabend vor dem Heidelberger Theater.

Den Höhepunkt ihres journalistischen Schaffens erlebte sie ab 1987 gemeinsam mit Gerd Ruge als Korrespondenten in Moskau. Als erste westliche Journalistin überhaupt, interviewte Krone-Schmalz den Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. "Damals kam für ihn die deutsche Einheit nicht infrage. Daran sieht man, wie schwer der Weg dafür war", sagte die 73-Jährige. Die Russland-Jahre waren übrigens ihre "spannendsten". Das Thema hielt sie lebenslang fest: So wurde sie im Anschluss an die Zeit beim WDR, mit dem sie sich einen Rechtsstreit über die gleiche Bezahlung von Frauen lieferte, ab 1992 Mitglied im Lenkungsausschuss des Petersberger Dialogs, wo sie auch auf Wladimir Putin traf.

Ist Putin berechenbar? Kann man seinen Worten trauen? Und wie kann ein Kriegsverbrecher sein Gesicht wahren? Als der aktuelle Ukraine-Krieg zur Sprache kam, entwickelte sich ein kleiner Schlagabtausch zwischen Krone-Schmalz und Welzel. Zunächst war ihr merklich wichtig, zu betonen, dass sie den "Angriff von Russland auf die Ukraine verurteilt". Aber: "Wir müssen aufpassen, dass wir im Rückblick nicht alles falsch erzählen". So hätte der Westen mit Beginn der Nato-Osterweiterung eklatante Fehler gemacht. Auch sei der "Hilferuf" von Putin, der Sicherheitsgarantien kurz vor Invasion vom Westen forderte, "nicht gehört geworden". Immer noch sei sie auf der Suche, was der tatsächliche Auslöser war, denn dieser Krieg "liege absolut nicht im Interesse Russlands".

In Bezug auf den Westen geht Krone-Schmalz die "Heuchelei auf die Nerven", wenn es um die Sicht auf anderen Staaten wie Saudi-Arabien oder Aserbaidschan ginge. Sie kritisierte die "Kriegshetze" der hiesigen Medienlandschaft und der Politik sowie das Verhalten von Kiew unkommentiert zu lassen.

Welzel entgegnete, dass Putin selbst durch den Kriegsbeginn zum Kriegsverbrecher geworden sei. Dass jeden Tag – auch während des RNZ-Forums – Bomben auf Kiew und viele andere Städte fielen, dass Russland ein repressiver Staat sei, der Regierungskritiker mundtot machen, einsperre oder auch ermorde. Das Wort "Hetze" wies Welzel beherzt zurück.

Danach kam es wieder zum Waffenstillstand auf der Bühne. Doch wie könnte Frieden in der Ukraine erreicht werden? Krone-Schmalz sieht Washington am Zug, das auf die Regierung in Kiew einwirken müsse. Die Ukraine sieht sie als neutralen Staat – mit dezentralen Strukturen. Außerdem müsse es auf der Krim unter UN-Aufsicht ein neues Referendum geben.

Eindreiviertel Stunden dauerte der Meinungsaustausch, der sich auch mit Detailkritik an Krone-Schmalz’ Büchern beschäftigte. Die 300 Zuschauer bedankten sich mit warmem, herzlichem Applaus. Na also, geht doch: Miteinander streiten.


Zitate des RNZ-Forums: Krone-Schmalz über die Zeit als Journalistin und ihren Haarschnitt

Wie jedes RNZ-Forum lebt die Veranstaltung von spannenden Anekdoten und knackigen Zitaten. Auch Prof. Gabriele Krone-Schmalz, wie auch RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel, fügten sich in dieser Tradition ein:

Gabriele Krone-Schmalz über ...

> ... die Zeit der 68er an der Universität: "Da ging es schon ab. Aber schon damals war ich bestrebt zwischen den Professoren und der Studentenschaft zu vermitteln und den Gruppenzwang auf beiden Seiten aufzulösen."

> ... über den Kalten Krieg: "Ich bin ein Kind des Kalten Krieges. Und ich habe gelernt, dass es nicht nur Gute und nicht nur Böse gibt."

> ... über den Journalismus: "Es ist ein Dienstleister-Job. Wir haben die Aufgabe die Politik zu erklären, um den Menschen auf Basis gut recherchierter Informationen, zu helfen die richtige Entscheidungen zu treffen. Was aber nicht sein sollte, dass man selbst Politik macht".

> ... zur Nähe zur Macht bei Journalisten: "Ein schmaler Grat. Man braucht zu Politikern eine gewisse Nähe, man darf sich aber nicht vereinnahmen lassen. Und eine Parteimitgliedschaft geht gar nicht."

> ... zu ihrer Zeit im ARD-Studio New York: "Dieses Lebensgefühl war beeindruckend. Dort war wirklich alles möglich, wie Reportagen auf den Dachgärten hoch über Stadt."

> ... zu ihrer Zeit im ARD-Studio Moskau: "Wir haben in den Jahren 1988/1989 mehr produziert als alle WDR-Studios auf der Welt zusammen."

> ... zu ihrem stilgebenden Haarschnitt: "Mein Mann hat einmal zu mir gesagt, ’schneid sie doch einfach ab’. Dann hat er als Ingenieur Hand angelegt. Kurz vor seinem Tod hat er sogar einer Friseurmeisterin gezeigt, wie man die Haare künftig schneiden muss."

> ... über einen stabilen Draht von Washington und Moskau: "Wenn ich es wüsste, würde ich es vielleicht sagen."

> ... über einen Aufbau eines eigenen You-Tube-Kanals: "Noch habe es nicht vor, denn das frisst einen auf und ich will mich nicht auffressen lassen."

Klaus Welzel über ...

> ... die Veranstaltung: "Ich mache jetzt etwas, was ich sonst nie tun würde, indem ich diesen Abend rechtfertige."

> ... die Bezahlung beim WDR: "Hatte der WDR damals etwa keine Gleichstellungsbeauftragte?"

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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