Interkulturelles Zentrum Heidelberg

Kriegsfragen mit Carlo Masala "am Küchentisch"

"Wach auf, die Welt hat sich geändert": Jagoda Marinic sprach mit dem dem Politikwissenschaftler im Rahmen des neuen Formats im Interkulturellen Zentrum.

28.11.2022 UPDATE: 28.11.2022 12:00 Uhr 2 Minuten, 42 Sekunden
Die Kulisse im Interkulturellen Zentrum war einer Küche vergangener Jahrzehnte nachempfunden: Jagoda Marinic´ unterhielt sich bei einem Glas Rotwein mit dem Militärexperten Carlo Masala. Dieser sagte, er sehe in Deutschland eine „angstbesessene Gesellschaft“. Foto: Rothe

Von Arndt Krödel

Heidelberg. Auf der Bühne im großen Saal des Interkulturellen Zentrums (IZ) Heidelberg ist eine kleine Küche im Resopal-Look vergangener Jahrzehnte aufgebaut. Am Tisch, auf dem Gläser und eine Flasche Rotwein stehen, nehmen kurz nach 19 Uhr Carlo Masala und Jagoda Marinic Platz.

Das offiziell nicht begrüßte Publikum wird fast beiläufig in das beginnende Gespräch zwischen dem Politikwissenschaftler und der Leiterin des IZ, die einander duzen, eingeschaltet – eine mehr als zweistündige Unterhaltung über den Ukraine-Krieg, die Erfahrungen von Kindern eingewanderter Eltern, den Umgang mit sozialen Medien und den italienischen Filmstar Anna Magnani.

Mit dem neuen Talk-Format "Am Küchentisch" will das IZ nach eigenen Worten "weg vom klassischen Politik-Podium hin zu einem persönlicheren Gespräch".

Carlo Masala, der an der Universität der Bundeswehr in München lehrt und als Militärexperte gefragter Gast in den Medien ist, öffnet den Wein, während Jagoda Marinic ihn schon mit konkreten Fragen zum Ukraine-Krieg fordert.

Das Thema wird fast den ganzen Abend bestimmen. Der Politologe, von dem jüngst das Buch "Weltunordung" erschienen ist, beobachtet in Deutschland eine "angstbesessene Gesellschaft", festgemacht etwa an den Reaktionen auf den jüngsten Raketeneinschlag in Polen.

Die Amerikaner wären damit relativ entspannt umgegangen, seiner Meinung nach die richtige Einstellung. Die vielerorts geäußerte Sorge vor einer nuklearen Eskalation treibt ihn nicht um: "Wir haben seit neun Monaten die nukleare Drohung von Russland, und Russland hat bis jetzt keine Nuklearwaffen eingesetzt", lautet seine Einschätzung. Das Risiko eines Gegenschlags wolle man nicht eingehen.

Dass er sich auch schon mal geirrt habe, räumt der Politikwissenschaftler ein: Gerade am Anfang habe er "sehr klassisch" auf diesen Krieg geschaut, der Ukraine nicht zugetraut, länger durchzuhalten, und "weichere Faktoren" übersehen: Es habe ihn überrascht, wie stark die ukrainische Gesellschaft mit der Armee zusammenarbeitete und zum Beispiel Handyfotos von russischen Stellungen an das Militär schickte, und mit welcher dezentralen Taktik die ukrainischen Truppen vorgegangen seien.

Marinilenkt das Gespräch auf den von der Zeitschrift "Emma" veröffentlichten Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausspricht und mittlerweile von Hunderttausenden Bürgern unterzeichnet wurde – sie und Masala gehören nicht dazu.

Ohne diese Waffen, argumentiert der Wissenschaftler, wäre Putin längst in Kiew, wären noch mehr Menschen gestorben und noch mehr Frauen vergewaltigt worden oder noch mehr Ukrainer in russischen Umerziehungslagern gelandet.

Den "Emma"-Unterzeichnern hält er "Wohlstandsverwahrlosung" vor und teilt auch nicht die kritische Position der Journalistin und Russland-Kennerin Gabriele Krone-Schmalz – die am 14. Dezember beim RNZ-Forum in Heidelberg zu Gast sein wird. Sie halte an einem veralteten Russland-Bild fest und habe mit der Beschreibung der Multiethnizität der Ukraine (also das Bestehen mehrerer ethnischer Gruppen) ein "hanebüchenes" Argument geliefert.

Auch der Soziologe Harald Welzer, der sich mit kritischen Reflexionen über den Umgang des "freien Westens" mit dem Ukraine-Krieg zu Wort gemeldet hat, wird von Masala gerüffelt: "Wach auf, die Welt hat sich geändert", möchte er ihm zurufen.

Zum geopolitischen Hintergrund des Konflikts würde der Militärexperte der Nato nicht bescheinigen, sie habe gänzlich fehlerfrei agiert. Aber nichts rechtfertige, einen anderen Staat anzugreifen.

Im Übrigen glaubt Masala, der früher für eine Militärakademie der Nato gearbeitet hat, nicht, dass Russland tatsächlich Angst vor dem Bündnis habe: Das Land habe gerade seinen gesamten, an Finnland grenzenden nördlichen Armeebezirk von Truppen geleert, um diese in der Ukraine einzusetzen. In der Ukraine, so seine Kernthese, werde nicht unsere Freiheit, sondern unsere Sicherheit verteidigt. Es gehe darum, nicht erpressbar zu werden.

Die nächsten Jahre, prognostiziert der Professor für Internationale Politik, werden für unser Land schwierig. "Wir müssen unsere Art des Wohlstands komplett überdenken", fordert er, auch im Hinblick auf den Exportweltmeister Deutschland.

Das Gespräch mit Marinic´ klingt aus mit Erinnerungen Masalas an seine Jugend in Köln. Als Sohn eines italienischen Gastarbeiters habe er sich immer beweisen müssen. Mit dem Land seines Vaters verbindet ihn der Filmstar Anna Magnani, für ihn ebenso eine "Wegmarke" wie Pasolini oder die Fußball-WM 1982, als Italien mit einem Sieg gegen Deutschland Weltmeister wurde.

Dem Publikum im fast voll besetzten IZ schien der Abend gefallen zu haben. Doch ob man am Küchentisch bei einem Glas Wein über Fragen der Kriegstaktik in einem entsetzlichen Konflikt in unserer europäischen Nachbarschaft – häufig im saloppen Plauderton – sprechen kann, sei dahingestellt.

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