Heidelberg

Warum der Uni-Campus nicht ins Handschuhsheimer Feld erweitert werden soll

Naturschützer und Gärtner zeigen, warum sie eine Bebauung des Handschuhsheimer Feldes unbedingt verhindern wollen.

31.05.2021 UPDATE: 01.06.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden
In früheren Zeiten wurde dieses Feld von Gärtnern bewirtschaftet. Heute hat sich die Natur das Gelände, das sich im Eigentum des Landes befindet, zurückgeholt. Die Wiese steht hüfthoch und bietet Vögeln Schutz. Foto: Philipp Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Der Klausenpfad ist für die Naturschützer und Gärtner die unverrückbare Grenze. Nördlich davon liegt das Gewann Hühnerstein, südlich davon der Campus Neuenheimer Feld. "Das hier ist der Rubikon", sagt Frank Wetzel, Gärtner und Grünen-Stadtrat, als er auf das kleine Sträßchen zwischen Gärtner- und Forscherland zeigt.

Damit macht er deutlich: Sollten die wissenschaftlichen Institute und Kliniken diese Grenze überschreiten, käme das für die Nutzer des Handschuhsheimer Feldes einer Kriegserklärung gleich.

Hintergrund

> Der Masterplanprozess für das Neuenheimer Feld befindet sich derzeit in der sogenannten Konsolidierungsphase. Der Gemeinderat hat im Sommer – gegen den Vorschlag der Projektträger von Stadt, Land und Uni – die beiden Planungsteams von Astoc und Kerstin Höger damit

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> Der Masterplanprozess für das Neuenheimer Feld befindet sich derzeit in der sogenannten Konsolidierungsphase. Der Gemeinderat hat im Sommer – gegen den Vorschlag der Projektträger von Stadt, Land und Uni – die beiden Planungsteams von Astoc und Kerstin Höger damit beauftragt, in ihren Entwürfen auch die guten Ideen der ausgeschiedenen Teams mit einzuarbeiten. Die Projektträger wollten ursprünglich nur mit Astoc ins Rennen gehen. Zuletzt hatte Höger um eine Verlängerung der Bearbeitungszeit gebeten. Abgabetermin ist Mitte Juli, im September sollen die konkurrierenden Entwürfe der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Zum Jahreswechsel werden sie dann in den gemeinderätlichen Gremien diskutiert. Start der abschließenden Masterplanphase ist dann das erste Quartal 2022. Für die Wissenschaft sind im Masterplanprozess 800.000 Quadratmeter zusätzliche Nutzfläche für mögliche Erweiterungen vorgesehen. Zugleich sollen die Verkehrsprobleme gelöst werden. Dabei sind Straßenbahnringe ebenso im Gespräch wie eine Seilbahn oder eine Fünfte Neckarquerung bei Wieblingen als Rad- und Fußbrücke. Auch Themen des Klimaschutzes werden bearbeitet. hob

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Seit Jahrzehnten kämpfen die Handschuhsheimer und ihre Gärtner für den Erhalt ihrer Freiflächen. Besonders umstritten ist dabei das Gewann Hühnerstein, denn für Teile davon hat die Universität längst Baurecht. Und daran, so das Credo von Uni und Land, dürfe auch nicht gerüttelt werden. Sollten hier aber in einigen Jahren die Bagger anrollen und Kräne aufgestellt werden, ginge den Heidelbergern ein wichtiges Naherholungsgebiet, wertvolle Biotope und hochwertige Ackerfläche verloren, kritisiert wiederum das Bündnis Bürgerbeteiligung Masterplan Neuenheimer Feld. Bei einer Ortsbegehung zeigen die Aktiven, was in ihren Augen den Hühnerstein so erhaltenswert macht.

Der Rundgang startet an den Sportanlagen der Universität. Die Idee eines Flächentauschs, dass hier wissenschaftliche Institute gebaut werden könnten und die Sportanlagen im Gegenzug auf den benachbarten Hühnerstein gelegt werden, gefällt Rainer Zawatzky vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) überhaupt nicht.

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Zum Gassigehen, Joggen und Radeln ist das Handschuhsheimer Feld beliebt. Foto: Philipp Rothe

Denn rund um die Sportanlagen sind in den vergangenen Jahren mächtige Bäume mit großen Kronen herangewachsen: Feldahorne, eine Fünfer-Gruppe Eschen, Pappeln und Stieleichen spenden hier Schatten. "Solche Bäume hat man selten", sagt Zawatzky: "Die haben das Ausmaß eines Naturdenkmals." Und sie seien resilient gegen den Klimawandel.

Richtung Hühnerstein wird die Vegetation niedriger, aber dichter. Feldgehölz säumt den Weg. "Ein Brutgebiet für den Zaunkönig", sagt Zawatzky. Robert Bechtel vom Verein Feldkultur weist darauf hin, dass es in diesem Gebiet jede Menge Nachtigallen gebe, was später während des Spaziergangs noch deutlich zu hören sein wird.

Auf dem Feld gedeiht aktuell der Blumenkohl prächtig. Der Hühnerstein liegt hinter der Hecke. Foto: Philipp Rothe

Die Gruppe ist gegen Flächenverbrauch und Versiegelung. Die Landwirtschaft müsse im Masterplanprozess gleichberechtigt berücksichtigt werden wie die Wissenschaft. "Doch das ist leider nicht passiert", so Birgit Müller-Reiss von der Interessengemeinschaft Handschuhsheim. Und Rainer Zawatzky stellt die jüngste Heidelberg-Studie infrage, in der die meisten Befragten bejaht hätten, dass man den wissenschaftlichen Instituten mehr Raum geben müsse. "Wenn die Leute sehen würden, was ihnen dafür genommen werden soll, wären sie anderer Meinung."

"Zufahrt" steht auf einem kleinen Schild. Der Landwirtschaftsweg wird gerne von Radlern genutzt, immer wieder klingelt einer die Spaziergänger auf die Seite. Noch seien ungeliebte Neophyten wie der japanische Staudenknöterich hier auf dem Hühnerstein noch nicht auf dem Vormarsch, sagt Zawatzky, während die Gruppe ein Weizenfeld und eine kleine Deponie für Erdaushub rechts liegen lässt. Ein paar Meter weiter liegt der Schäferhunde-Verein. Sollte hier gebaut werden, müsste auch er weichen.

Mit Armen messen Gärtner und Naturschützer am Uni-Sportgelände einen Baumumfang. Foto: Philipp Rothe

Einige ehemals bewirtschafteten Felder hat sich die Natur inzwischen zurückgeholt. Die Gräser auf einer Glatthaferwiese stehen hüfthoch, die Obstbäume in der Mitte werden schon lange nicht mehr beschnitten. "Das sind optimale Brutgebiete für Singvögel", sagt Zawatzky. Und nicht nur für die: Abgestorbene Baumstämme sind auch der ideale Lebensraum für nützliche Insekten.

Im Gebiet haben Ornithologen überdies in den letzten Jahren 77 Vogelarten gesichtet – von der Amsel bis zum Zilpzalp. Und diese sorgen über von ihnen verteilte Samen wiederum für Vielfalt in der Pflanzenwelt, wie eine Hecke am Wegesrand zeigt. Bestand sie einst nur aus Feldahorn, ragen nun auch Weißdorn, Hartriegel und Eschen heraus.

Rechts der Klausenpfad: Während auf dem Hühnerstein Weizen wächst, ist auf der anderen Seite der Platz der Wissenschaft. Foto: Philipp Rothe

Dass das Büro Astoc auf dieser Fläche eine Wohnbebauung vorsieht, bringt Müller-Reiss in Rage. Hinzu komme, dass eine Bebauung auch viel Verkehr anziehen würde, so Bechtel. Die Fehler, die man damals beim Bau des Springer-Verlags in der Tiergartenstraße gemacht habe, dürften hier nicht wiederholt werden. Die Planungen damals setzten auf neue Verkehrswege wie die Fünfte Neckarquerung. Sie wurden aber nie gebaut – und der Verlag sei daher, so Bechtel, "völlig fehl am Platz".

Ort des Geschehens

Mehr als 100 Jahre alte Birnbäume, an denen die Handschuhsheimer Gärtner früher ihre Pferde angebunden haben, gingen bei einer Bebauung ebenso verloren wie ein botanisches Versuchsfeld auf dem Hügel des Bodenaushubs der Kopfklinik. "Letztes Jahr, während des ersten Lockdowns, haben die Leute gesehen, was sie am Handschuhsheimer Feld haben", sagt Gärtner Hans Hornig, als die Gruppe am Ende an einem Blumenkohl-Feld angekommen ist. Alle Wege seien voll gewesen von Spaziergängern und Radlern. Doch nicht nur als Naherholungsgebiet müsse das Handschuhsheimer Feld in Gänze erhalten werden. Auch die Gärtner bräuchten wegen des neuen Biodiversitätsgesetzes eher mehr Fläche als weniger. "Wobei nicht nur wir benötigen die, sondern jeder einzelne Bürger", so Hornig – und meint damit die Nahrungsgrundlage für alle.

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