Darum ist es Zeit für einen Krebsforschungskongress in Heidelberg
"Ein gesunder Lebensstil könnte 40 Prozent der Tumoren verhindern" – Prävention gewinnt an Bedeutung – Patientenbeirat soll sich einmischen

Prof. Michael Baumann ist wissenschaftlicher Vorstand des DKFZ. Foto: Benjamin
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Es ist Zeit für einen Krebsforschungskongress, sagte sich Prof. Michael Baumann, seit Ende 2016 Wissenschaftlicher Vorstand des vor 55 Jahren gegründeten Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek wird bei der Eröffnung am 4. Februar dabei sein. Sie will an diesem Tag auch gleich das DKFZ und das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) kennenlernen.
Herr Prof. Baumann, es gibt bereits einen Krebskongress in Berlin. Was wird in Heidelberg anders sein?
Wir richten in Heidelberg erstmalig den Deutschen Krebsforschungskongress aus. Bei uns geht es ausschließlich um Forschung, von der Grundlagenforschung bis zur praktischen klinischen Anwendung von Forschungsergebnissen. Beim Deutschen Krebskongress in Berlin dagegen geht es sehr breit in die Anwendung hinein, bis hin zu Psychoonkologie und Patientenberatung.
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Sie tagen im DKFZ. Brauchen Sie künftig das neue Kongresszentrum?
Es ist wichtig, dass Heidelberg das Kongresszentrum bekommt. Wir werden diesmal etwa 500 Teilnehmer haben. Für den Beginn hat es erst mal eine Menge Vorteile, sich da zu treffen, wo die Forschung stattfindet.
Welches sind die wichtigsten Forschungsvorhaben, die das DKFZ selbst vorstellen wird?
Die Prävention ist einer der ganz wichtigen Punkte, mit dem man Krebs in den Griff bekommen könnte. Doch Präventionsforschung ist unterrepräsentiert. Nach heutigem Wissen wären 40 Prozent der Krebserkrankungen durch einen gesunden Lebensstil zu verhindern. Dabei geht es um Impfungen, Rauchen, Bewegung, Ernährung. Übergewicht ist ein Risikofaktor an sich. Und auch Normalgewichtige senken ihr Krebsrisiko, wenn sie sich körperlich betätigen. Geforscht wird auch an Viren und Bakterien, Infektionen, die Krebs erzeugen. Es könnte beispielsweise sein, dass über Erreger in der Ernährung von Kindern chronische Entzündungen entstehen, die später zu Tumoren führen. Da haben wir die Mechanismen noch nicht genau verstanden. Vielleicht kann man da einmal medikamentös eingreifen.
Viren sind ja schon lange ein Thema des Nobelpreisträgers Harald zur Hausen.
Ja. Hier ist die Frage, wie man weitere Impfstoffe gegen Viren entwickeln kann. Bei den Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen, ist das ja gelungen. Das bringt uns auch schon zur nächsten Frage: Wie kann es sein, dass in Deutschland nicht ausreichend geimpft wird?
Worum geht es noch beim Krebsforschungskongress?
Es geht auch um Bildgebung und bildgeführte Therapie. Durch neue Verfahren bei der Magnetresonanztherapie (MRT) oder der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) kann man die Biologie des Tumors identifizieren, um eine angepasste Behandlung anbieten zu können und zu sehen, wie der Tumor während der Therapie darauf anspricht.
Wenn künftig möglicherweise eine detaillierte Genomanalyse der Krebszelle gemacht wird und die Gendefekte therapiert werden - ist das endlich der Sieg über den Krebs?
Krebs ist eine unglaubliche Zahl unterschiedlicher Erkrankungen. Ein einzelner Ansatz greift zu kurz. Die Operation, das älteste Therapieverfahren, ist immer noch die wichtigste Komponente. In der Strahlentherapie haben wir enorme Fortschritte gemacht. In der medikamentösen Therapie erhoffen wir uns aufgrund biologischer Analysen wichtige Behandlungsverfahren. Das Neueste ist die Immuntherapie. Die meisten Patienten bekommen heute mehrere Therapien. Diese multidisziplinäre Behandlung an sich, die Teamarbeit über Fachgrenzen hinweg, hat den Patienten erhebliche Fortschritte gebracht.
Kommt die genomgesteuerte Tumormedizin?
Wir machen heute schon im Rahmen von klinischen Studien Genomuntersuchungen bei Patienten, bei denen die herkömmlichen Therapien nicht gewirkt haben oder bei Tumoren, die selten sind. Derzeit startet in Deutschland eine große Studie zum Lungenkarzinom. Bei bestimmten Formen von Darm- oder Brustkrebs geben wir bereits Medikamente basierend auf Genom-Daten. Wir können das Krebsgenom aber heute noch nicht bei allen Krebsarten flächendeckend testen. Das ist teuer, es ist eine hohe Expertise erforderlich, und es ist noch nicht klar, welche Patienten davon überhaupt profitieren. Die Frage ist auch: Braucht man alle Informationen aus dem Genom für alle Patienten?
Es gibt 450.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Mehr als die Hälfte können geheilt werden. Ist das nicht ein großer Erfolg?
60 Prozent der Krebspatienten in Deutschland leben fünf Jahre nach der Diagnose noch. Das bedeutet nicht immer, dass sie komplett geheilt sind; der Krebs kann wiederkommen. In Europa sind viele der Meinung, dass man diese Zahl innerhalb von zehn bis 15 Jahren auf 75 Prozent erhöhen kann. Wir sollten uns dieses hohe Ziel setzen. Es wird oft gesagt, wir können Krebs zu einer chronischen Erkrankung mit hoher Lebensqualität machen. Wir wollen aber auch tatsächlich heilen. Und wir müssen unbedingt die Zahl der Neuerkrankungen senken. Das können wir nur mit Prävention schaffen.
Das DKFZ hat neuerdings einen Patientenbeirat. Was soll der leisten?
Wir wollen die Meinung der Patienten zu unseren Forschungsstrategien kennenlernen. Da gibt es in den USA gute Erfahrungen. Die Kommunikation hat dazu geführt, dass Patienten besser verstehen, wie Forschung funktioniert, und Forscher besser verstehen, was Patienten bewegt: Wie wird die Lebensqualität sein? Richtet die Therapie Schäden an gesunden Organen an? Die Arbeit im Beirat hat Patienten auch dazu gebracht, sich politisch einzumischen, zum Beispiel in Sachen Datenschutz oder wenn es um Barrieren für die Forschung ging. In den USA hat das die gesamte Forschung bereichert.