Stadttheater Heidelberg

Wie Intendant Holger Schultze die Besucher ins Theater locken will

Von Brecht bis Orwell: Tipps für die neue Theater-Spielzeit - Schultze sieht eine tiefe Spaltung der Gesellschaft

16.09.2019 UPDATE: 17.09.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 45 Sekunden

Wenn Giuseppe Verdi auf Justin Timberlake trifft: Rund 90 Sängerinnen und Sänger proben gerade für das große Chorprojekt des Theaters: "Coro fantastico". Dabei werden die Zuschauer - von insgesamt 150 Darstellern - durch die verschiedenen Stationen einer Opernproduktion geführt. Foto: pr

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Sie waren noch nie im Heidelberger Theater? Dann lesen Sie mal, wie Theater-Intendant Holger Schultze versucht, Sie für einen Besuch in der neuen Spielzeit zu begeistern, die diese Woche startet.

Herr Schultze, wer in dieser Spielzeit nur ein einziges Mal ins Theater geht - welches Stück muss er unbedingt sehen?

Holger Schultze.

Foto: Rothe

Fiese Frage. Ich empfehle die Dreigroschenoper ... und das Chorprojekt "Coro fantastico", bei dem die Zuschauer hinter den Kulissen von Altem und Neuem Saal wandeln - mit 150 Darstellerinnen und Darstellern und einem Medley aus 400 Jahren Operngeschichte und den größten Hits der Popwelt!

Das waren jetzt aber zwei Stücke.

Na gut, dann die Dreigroschenoper. Aktueller als Bertolt Brecht geht’s ja wohl nicht.

Was ist für Sie an Brecht so aktuell?

Er beschreibt den Riss in der Gesellschaft, den wir aktuell wieder erleben. Arm und reich, pro und contra Geflüchtete, für und gegen internationale Kooperation: Es ist traurig, aber diese Spaltung scheint mir heute sogar stärker als vor 90 Jahren. Bei Brecht ist alles drin: das Auseinanderdriften der Gesellschaften, der Rechtsradikalismus. Und sein Kernsatz ist der aktuellste Satz überhaupt: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"

Der neue Spielplan behandelt noch weitere Themen, die leider ebenso aktuell sind: "Professor Mamlock" thematisiert Judenhass, Orwells "Farm der Tiere" zeigt, wie Diktaturen entstehen. Hilft Theater "nur" zu verstehen oder kann es auch etwas verändern?

Theater bietet die einzigartige Chance, Menschen Geschichten über Menschen zu erzählen - das fördert das Verstehen der komplexen Welt. Und mit unserer Haltung - international, tolerant, weltoffen - fördern wir Dialog und gegenseitige Verständigung. Und so verändern wir auch etwas.

Seit 1. September ist das Theater ein kommunaler Eigenbetrieb mit eigenem Rechnungswesen. Haben Sie jetzt mehr Freiheit, wofür Sie Geld ausgeben?

Wir müssen nun nicht mehr von Doppelhaushalt zu Doppelhaushalt denken, sondern haben Planungssicherheit für fünf Jahre. Das ist für uns großartig, weil wir langfristige Projekte wie das Festival "¡Adelante!" noch besser planen können.

Die zweite Auflage des Iberoamerika-Festivals "¡Adelante!" steht im Februar 2020 an. Ist diese internationale Vernetzung die Zukunftsstrategie des Theaters?

So ist es. Und zwar, weil die Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Kulturen uns hilft, unsere eigene Kultur besser zu verstehen. Nur, wer sich mit Fremdem beschäftigt, davon zu lernen bereit ist, überlebt. Nur so gewinnen wir Klarheit über unsere eigene kulturelle Identität - abseits nationalistisch verkürzter Definitionen.

Ich stelle die Eingangsfrage noch einmal etwas anders: Wenn jemand noch nie bei Ihnen im Theater war,- warum ist diese Spielzeit der richtige Zeitpunkt dafür?

Weil Theater in unserer Kultur der letzte analoge Raum unserer Gesellschaft ist. Der Raum, in dem man ein Live-Erlebnis bekommt und mit den verschiedensten Themen konfrontiert wird. Der Raum, in dem wir alle frei denken dürfen. Theater erweitert den Horizont.

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