Wie die Rektorin der Theodor-Heuss-Realschule mit der Krise umgeht
Heute vor einem Jahr trat Tanja Heßlein ihr Amt an - Wenig später kam der erste Lockdown - "Die völlige Unplanbarkeit ist ein echtes Problem"

Von Anica Edinger
Heidelberg. 19. Februar 2020: Schulen sind geöffnet. Keiner muss Masken tragen. Von zu Hause aus lernen und unterrichten? Unvorstellbar. Ein Jahr danach ist die Welt eine andere – insbesondere im schulischen Bereich. Tanja Heßlein, 46, hat den Wandel nicht nur hautnah miterlebt, sondern ihn auch mitgestaltet. Denn am 19. Februar 2020, genau vor einem Jahr, wurde sie die neue Schulleiterin an der Theodor-Heuss-Realschule. Wie sie diese Zeit erlebt hat, was die besonderen Herausforderungen waren – und sind – und wie sie sich die Zukunft "der besten Schule der Welt", wie ihre Schülerinnen und Schüler sagen, vorstellt, erklärt Heßlein im RNZ-Interview.
Frau Heßlein, nicht einmal vier Wochen, nachdem Sie Schulleiterin wurden, kam der erste Lockdown. Ihren Start hatten Sie sich sicher anders vorgestellt...
Absolut. Es konnte ja noch nicht einmal eine offizielle Einführung stattfinden. Nun müssen wir seit mittlerweile fast einem Jahr die Krise managen. Immer wieder muss man sich dabei neu die Frage stellen: Wie leite ich eine Schule in diesen Zeiten?
Haben Sie darauf schon eine zufriedenstellende Antwort gefunden?
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Mir ist wichtig, eine gewisse Kontinuität für die Schülerinnen und Schüler aufrecht zu halten. Das heißt: Es gelten auch im Heimunterricht gleiche Regeln für alle, wir halten Strukturen aufrecht, sodass es nicht in der einen Woche so und in der anderen so gemacht wird. Ich finde, es ist wichtig in diesen Zeiten, dass man sich auf die Menschen in der Schulgemeinschaft verlassen kann, Sicherheit zu transportieren. Und das merken auch die Schüler.
Wie sieht denn diese Kontinuität im Heimunterricht bei Ihnen aus?
Wir haben gemeinsam mit den Eltern und der Lehrerschaft ein Homeschooling-Konzept erarbeitet, das für alle Klassen gleichermaßen gilt. Dabei wurden verschiedene Parameter festgelegt, etwa, dass morgens um 8 Uhr alle von ihren Lehrerinnen oder Lehrern in ihrer Klasse per Video begrüßt werden. Jeder Schüler bekommt dann die Möglichkeit, etwas zu sagen. Anschließend findet der Unterricht nach Stundenplan statt. Es gibt per Videokonferenzen etwa Präsentationen von Schülern, manchmal erarbeiten sie auch alleine etwas, das dann per Video diskutiert wird.
Und das klappt gut?
Wir evaluieren den Heimunterricht jede Woche neu – und es klappt so gut, dass wir auch die Abschlussklassen nicht in Präsenz unterrichten. Die Gefahr einer Ansteckung etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln kann so umgangen werden. Das war ein Abwägungsprozess. Lediglich, wenn Klassenarbeiten geschrieben werden, kommen die Schüler in die Schule – natürlich unter strengen Abstands- und Hygieneregeln. Uns ist es wichtig, alle direkt Betroffenen bei unseren Entscheidungen immer mit ins Boot zu holen – Schüler, Eltern, Lehrer. Das schafft eine hohe Akzeptanz für die Maßnahmen – und ich bin dankbar, dass auch alle so gut mitarbeiten.
Nun bleiben die weiterführenden Schulen weiter geschlossen – eine wirkliche Perspektive gibt es noch nicht. Wie kann man dem als Schulleiterin begegnen?
Es ist nicht leicht zur Zeit, daraus mache ich keinen Hehl. Diese völlige Unplanbarkeit ist ein echtes Problem. Man wird in eine passive Situation gedrängt, da man die Zukunft nicht mehr selbst in der Hand hat. Es werden Entscheidungen von oben getroffen, die man höchstwahrscheinlich kurz, bevor sie von den Schulen umgesetzt werden sollen, über die Medien erfährt. Ständig ist man in Lauerstellung. Das ist wirklich eine Herausforderung. Dazu darf man nicht vergessen, dass ich zur Hälfte auch noch Lehrerin bin und selbst unterrichte.
Das heißt, Sie haben nur eine halbe Schulleiter-Stelle?
Genau. An den Realschulen ist das so: Die Schulleiterstunden hängen von der Größe der Schule ab. Und da wir eine kleine Schule mit nur 300 Schülerinnen und Schülern und 13 Klassen sind, haben wir nur 14 Schulleiterstunden. Das wäre toll gewesen, wenn dies im Zuge der Pandemie hätte erhöht werden können, damit wir mehr Luft und Raum und Zeit haben, um die Schule unter Pandemiebedingungen zu managen.
Sie selbst haben drei Kinder. Wie bringen Sie Job und Familie in diesen herausfordernden Zeiten gerade unter einen Hut?
Es war von Anfang an eine familiäre Entscheidung, dass ich mich auf die Stelle beworben habe. Meine Familie hat mich von Anfang an dabei unterstützt. Und wissen Sie, jetzt können die Kinder nachmittags auch mal durchatmen, wenn die Mutti nicht so viel präsent ist. Das tut ihnen auch gut – zumal sie schon etwas älter sind.
In den letzten Jahren haben Sie als Fachberaterin für Schulentwicklung am Regierungspräsidium in Karlsruhe gearbeitet. Wieso dann der Wechsel komplett zurück in die Schule?
Die Theodor-Heuss-Realschule liegt mir einfach sehr am Herzen. Es ist eine sehr familiäre Schule, jeder kennt jeden, man grüßt sich im Gang. Das schafft eine tolle Atmosphäre. Als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe, habe ich meine Schüler gefragt, was ich denn der Zeitung erzählen soll. Da sagten sie: "Frau Heßlein, sagen Sie einfach, die Theodor-Heuss-Realschule ist die beste Schule der Welt." Es ist mir ein Anliegen, hier etwas voranzubringen.
Apropos voranbringen: Was planen Sie denn für die Zeit nach der Pandemie?
In Hinblick auf die Zeit nach Corona ist es wichtig, Hilfsangebote für Schülerinnen und Schüler zu schaffen, die während des Homeschoolings auf der Strecke geblieben sind. Auch das gibt es natürlich. Es wäre wichtig, diese Kinder verstärkt zu fördern. Dabei ist auch das Thema Chancengleichheit wichtig. Ein weiteres Anliegen ist mir daneben die Stärkung unseres Kulturprofils. Wegen unserer Lage in der Altstadt haben wir bereits seit zwei Jahren tolle Kooperationen, etwa mit dem Theater, mit Museen und Galerien. Das wollen wir weiter ausbauen. Daneben muss weiter am Ausbau der Digitalisierung gearbeitet werden, unser Medienentwicklungsplan muss fortgeschrieben und umgesetzt werden. Das sind Zukunftsthemen.
In Heidelberg ist die Übergangsquote von der Grundschule aufs Gymnasium extrem hoch – die höchste im Land. Was sind Argumente für die Realschule?
Es stimmt, das ist in Heidelberg ein Spezifikum, dass viele Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium gehen. Aber es gehört auch zur Wahrheit, dass viele später auf die Realschule wechseln. Wir starten in Klasse 5 meist mit ein bis zwei Klassen, in Klasse 10 haben wir dann drei. Ich mache immer Werbung für die Realschule in Verbindung mit einem beruflichen Gymnasium, denn das ist das neue G 9. Es muss klar werden, dass das achtjährige Gymnasium nicht der einzige Weg zum Abitur ist. Wenn man einen anderen Weg geht, nimmt man auch ganz andere Erfahrungen mit – im beruflichen Bereich etwa. Wir bekommen häufig von Unternehmen, mit denen wir Kooperationen haben, zurückgespiegelt, dass Realschüler wissen, wie das Leben läuft. Die Praxisorientierung ist an der Realschule einfach höher, die Verbindung mit dem realen Leben, mit realen Problemen ist eher gegeben. Daher kommt ja auch der Name – "Real"-Schule.
Was hat Sie denn persönlich bewogen, Lehrerin für Realschulen zu werden?
Ich selbst war zwar nie auf einer Realschule – aber ich habe mich schon immer für verschiedene Schulformen interessiert. Da hatte ich schon als Jugendliche ein kleines Faible: Wenn ich Freistunden oder frei hatte, bin ich mit Freundinnen mit in deren Schulen gegangen, um sie mir anzuschauen. Ich bin am Bodensee aufgewachsen und da hatten es mir zwei tolle Realschulen angetan. So kam dann die Entscheidung für das Realschulstudium später in Heidelberg.
Info: www.thrs-heidelberg.de



