Ein Euro am Tag für den Nahverkehr
In Wien zahlen die Einwohner nur 365 Euro für ihre Jahreskarte - SPD will das Modell auch in Heidelberg einführen

Wer kein Senior, Schüler oder Student ist oder ein Job-Ticket kaufen kann, zahlt in Heidelberg deutlich mehr als zwei Euro pro Tag für die Nutzung des Nahverkehrs. In Wien ist es dagegen genau ein Euro. Foto: Alex
Von Charmaine Utzig
Heidelberg. Die Straßenbahnen waren am Freitagabend fast alle gerammelt voll - kein Wunder bei Drei-Tage-Dauerregen. Wer keine Lust auf nasse Fahrradsitze und durchgeweichte Schuhe hat, nimmt Bus oder Bahn - und das zum nicht ganz billigen Preis. Eine Jahreskarte "Jedermann" des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN) für die Großwabe Heidelberg kostet 769,20 Euro. Wer täglich nach Mannheim pendelt, bezahlt für ein Rhein-Neckar-Ticket mehr als 1000 Euro.
Zu viel, findet die Heidelberger SPD. Deshalb luden die Sozialdemokraten am Donnerstag den Abteilungsleiter der Wiener Linien, Alfred Almeder, ein, um bei einer Diskussionsveranstaltung das Wiener ÖPNV-Modell vorzustellen.
"Bim" nennen die Wiener liebevoll ihre Straßenbahn - eine Liebe, die am Tag gerade mal so teuer ist wie ein Liter Milch oder ein halber Laib Brot. "Mit einer Jahreskarte für 365 Euro kostet das Bahnfahren in Wien und Umgebung nur einen Euro pro Tag", sagte Almeder stolz.
Seitdem besitzen die Wiener pro Kopf immer weniger Autos und steigen stattdessen auf den ÖPNV um: "Mittlerweile haben wir über 800.000 Jahreskartenbesitzer." Immerhin: bei 1,9 Millionen in Wien lebenden Menschen sind das annähernd die Hälfte aller Einwohner. Von solchen Zahlen kann die Stadt Heidelberg bislang nur träumen: Bei über 160.000 Einwohnern machen die - nach Angaben des Verbundberichts 2017/2018 des VRN - 28.440 Nutzer des Rhein-Neckar-Tickets gerade mal ein knappes Fünftel der Bevölkerung aus.
Überhaupt sieht der Abteilungsleiter der Wiener Linien nur Vorteile in einer Verbilligung der Jahreskarte: "Gerade einmal 0,1 Prozent aller Kündigungen der Jahreskarte geschehen wegen des Preises. Ein optimiertes, nachhaltiges und zukunftsorientiertes Gesamtnetz lohnt sich."
Dabei hat sich das "ÖV-Erfolgsmodell Wien" erst vor einigen Jahren durchgesetzt: Nach der Landtagswahl 2011 wurde es in Planung genommen und im Mai 2012 in die Praxis umgesetzt. Als eine massive Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung 2012 über 393.000 Bewohner betroffen hatte, stieg die Nachfrage nach Jahreskarten nochmals. "Eine Verringerung des Jahreskartenpreises war zu diesem Zeitpunkt als Begleitmaßnahme notwendig, um Akzeptanz zu schaffen", erklärte Almeder. Zeitgleich seien weniger Wochen- und Monatskarten gekauft worden.
Nicht nur Berufstätige, Schüler und Senioren profitieren von dem neuen Modell - auch bei den Semesterkarten zeigt sich Wien deutlich studentenfreundlicher als viele andere Städte: Während ein Semesterticket für sechs Monate in Heidelberg 170 Euro kostet, bezahlen Wiener Studenten "im ganzen Jahr deutlich unter 200 Euro" für die öffentlichen Verkehrsmittel.
Tatsächlich ist das Bahnfahren in Heidelberg nur in einer Kategorie günstiger als in Wien: dem Schwarzfahren. Wer ohne gültigen Fahrausweis in Bus oder Bahn erwischt wird, muss 60 Euro bezahlen - bei den Wiener Linien ist es dagegen mit 105 Euro fast doppelt so viel.
Die SPD sieht die Stadt Wien als Vorbild: Auch in Heidelberg solle es möglich sein, mit einem Euro pro Tag durch die gesamte Region zu kommen. "Ein Euro pro Tag - das ist sogar der SPD nicht zu teuer", scherzte Stadtrat Mathias Michalski, und erinnerte an die "etwa 10.000 Einpendler, die in Heidelberg arbeiten und täglich im Berufsverkehr-Stau stecken bleiben". Dem SPD-Politiker ist nicht nur aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen das kostengünstigere Bahnfahren ein Anliegen: "Wenn wir es schaffen wollen, den Klimawandel zu stoppen, brauchen wir einen attraktiven Nahverkehr zu einem günstigen Preis."
In naher Zukunft wird der "Ein-Euro-Traum" für Heidelberger aber nicht in Erfüllung gehen, denn dafür bräuchte es laut Michalski und Almeder vor allem eines: Finanzielle Unterstützung seitens der Stadt.

Matthias Michalski und Alfred Almeder. Foto: Rothe