Hilde Domin hätte es "idiotisch" gefunden
Ihre Biografin Marion Tauschwitz wird deutlich -

Sie waren Freundinnen und Vertraute: Auf diesem Foto aus dem Jahr 2005 hakt sich die damals schon 96-jährige Hilde Domin bei Marion Tauschwitz ein. Das Bild entstand in dem Örtchen Taradeau in Südfrankreich. Foto: privat
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Marion Tauschwitz lernte die große Dichterin Hilde Domin 2001 kennen. Sie wurde ihre Freundin und Vertraute - und begleitete sie bis zu deren Tod 2006. Im Jahr 2009 erschien Tauschwitz’ Domin-Biografie "Dass ich sein kann, wie ich bin", die von Kritikern als Standardwerk gefeiert wurde. Aus aktuellem Anlass haben wir die Heidelberger Autorin gefragt, wie Hilde Domin auf die AfD reagiert hätte - und auf Veranstaltungen der Partei und ihrer Jugendorganisation in dem nach der jüdischen Schriftstellerin benannten Saal.
Hintergrund
Die große Lyrikerin Hilde Domin prägte das kulturelle Leben der Nachkriegszeit über die Jahrtausendwende hinweg - und war Heidelbergs bedeutendste Schriftstellerin. 1909 in Köln geboren, ging sie 1928 zum Studium nach Heidelberg, wo sie Politikwissenschaft, Soziologie
Die große Lyrikerin Hilde Domin prägte das kulturelle Leben der Nachkriegszeit über die Jahrtausendwende hinweg - und war Heidelbergs bedeutendste Schriftstellerin. 1909 in Köln geboren, ging sie 1928 zum Studium nach Heidelberg, wo sie Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie studierte. 1932 emigrierte sie gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Erwin Walter Palm, der wie Domin jüdisch war, zunächst nach Rom, wo sie 1936 heirateten. Nach 22 Jahren Exil in Italien, England und der Dominikanischen Republik, wo sie als Lehrerin, Dozentin, Übersetzerin und Fotografin arbeitete, kehrte Domin 1954 nach Deutschland zurück. Binnen weniger Jahre wurde sie zu einer der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen. Seit 1961 lebte sie als freie Schriftstellerin in Heidelberg. Im Jahr 2006 starb Domin im Alter von 96 Jahren - anderthalb Jahre zuvor hatte die Stadt sie zur Ehrenbürgerin gemacht. Ihr Grab liegt auf dem Bergfriedhof.
Frau Tauschwitz, nächsten Freitag macht die "Junge Alternative" eine Veranstaltung im Hilde-Domin-Saal. Was hätte Hilde Domin dazu gesagt?
Sie hätte sich aufgeregt. "Das ist doch idiotisch!", sagte sie in solchen Fällen gerne. Und sie hätte es sicher mehr als hanebüchen - auch ein Lieblingswort von ihr - gefunden, dass in einem Saal, in dem ihre Gedichtfahnen hängen, Menschen auftreten, die sich für Ausgrenzung einsetzen. Dass in einem nach ihr benannten Saal hasserfüllte Phrasen gedroschen werden dürfen - das ist wirklich ein Hohn.
Die Stadt sagt, es gebe keine rechtliche Handhabe, der AfD oder ihrer Jugendorganisation die Nutzung des Saales zu verweigern. Was sagen Sie dazu?
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Dazu fallen mir Domins Worte ein, die sie im Oktober 1960 an Hans Magnus Enzensberger schrieb: "Ich bin nicht bereit, mich neben einen Nazi zu stellen und sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen. Davon habe ich die Nase plein." Wir müssen den Anfängen wehren. Und dazu gehört, den Hilde-Domin-Saal nicht durch eine solche Veranstaltung zu entweihen.
Was also sollte die Stadt konkret tun?
Sich nicht hinter Formalitäten verstecken, sondern ganz deutlich sagen: Diesen Saal stellen wir dafür nicht zur Verfügung. Extreme Rechte ausgerechnet in diesem Saal - ist fast infam. Ich glaube, die Verwaltung hat sich einfach keine großen Gedanken gemacht. Und ich erinnere daran: Als im Oktober 2012 die NPD durch Heidelberg marschieren wollte, stand Oberbürgermeister Würzner in der ersten Reihe der Gegendemonstranten und verhinderte mit fast 2000 Heidelbergern die Nazi-Demo. Das war ein wunderbarer Tag. Da hätte Hilde Domin in die Hände geklatscht vor Freude.
Hintergrund
Wenn die "Junge Alternative Kurpfalz", die Jugendorganisation der AfD, am Freitag, 23. März, um 18.30 Uhr ihre Veranstaltung "für Mitglieder und Förderer" im Hilde-Domin-Saal der
Wenn die "Junge Alternative Kurpfalz", die Jugendorganisation der AfD, am Freitag, 23. März, um 18.30 Uhr ihre Veranstaltung "für Mitglieder und Förderer" im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei abhält, gibt es gleich zwei Parallelveranstaltungen. Unter dem Titel "Heidelberger Gespräche: Bock auf Vielfalt" laden die Heidelberger Grünen von 17.30 bis 18.30 Uhr zu einer Führung durch die Foto-Ausstellung "Literaturstadt Heidelberg - die neuen Gesichter". Diese wird aktuell im Foyer der Stadtbücherei gezeigt - direkt vor dem Eingang zum Hilde-Domin-Saal.
Zudem lädt die Antifaschistische Initiative Heidelberg um 17 Uhr vor der Stadtbücherei zum Vortragen von Texten und Liedern von Schriftstellern ein, deren Werke von den Nazis verbrannt wurden. (rie)
Wäre Domin noch am Leben, was würde sie nun in dieser Situation machen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass sie am Freitag höflich angeklopft hätte an diesem Saal, der ihren Namen trägt. Dann hätte sie mit ihrer hohen Stimme gefragt: "Entschuldigen Sie, vielleicht können wir in eine Diskussion eintreten?" Ganz gemäß ihrer Prämisse: "Das Verschlingende beim Namen nennen." Und dann hätte sie diese Phrasen auseinandergenommen. Sie hatte solch einen scharfen Geist, war so wortgewandt - die Rechten hätten keine Chance gehabt.
Hätte Domin angesichts der Erfolge der AfD Angst gehabt?
Sie hätte das schon sehr bedrohlich gefunden. Ich sehe sie vor mir sitzen, wie Kummer ihren Blick flutet. Sie sagte einmal: "Wenn das alles noch einmal passiert, dann kann man sich nur noch umbringen, das kann man nicht noch einmal ertragen." Das ist das Dilemma unserer Zeit: Die Zeitzeugen sterben aus. Und diesem AfD-Nachwuchs fehlt offenbar die Fantasie für all diese Gräuel, die längst Realität waren. Ich kann nur sagen: Lesen Sie Hilde Domins Gedichte. Nichts könnte aktueller sein!
Wurde Domin von Rechtsextremen bedroht?
Ja, massiv. Als sie 1961 nach Heidelberg zurückkehrte, wohnte sie im Hainsbachweg in Handschuhsheim. Da lebte Hitlers Schwager über ihr, der ihr gleich seinen Entnazifizierungs-Persilschein zeigte und ihr sagte, sie brauche sich keine Sorgen machen. Aber nachts bekam sie Drohanrufe von Nazis, die sagten: "Dich machen wir fertig. Von dir wird kein einziges Buch in Deutschland erscheinen." Sie zog dann in den Graimbergweg und bekam eine geheime Telefonnummer. 1984 schlug nachts ein Mann mit einer Schaufel die Wohnungstür ein, drang ins Schlafzimmer ein und bedrohte sie und ihren Mann. Domin schrie und verjagte ihn so. Danach wurde eine Panzertür eingebaut. Und erst vor acht Jahren wurde Domins Grabplatte auf dem Bergfriedhof mit einem riesengroßen roten Hakenkreuz beschmiert.
Hilde Domin rief stets zur Zivilcourage auf. Was verstand sie darunter?
Ihre Gedichte sprechen für sich. Ihr war es besonders wichtig, konkret für Menschen aktiv zu werden. So setzte sie sich 1997 für Neshe Özmen ein. Die damals 16-jährige Kurdin wurde mitten in der Nacht abgeschoben. Domin und viele Heidelberger schafften es, sie zurückzuholen. Und 1978 schrieb Domin einen Aufruf zur Rettung der "Boat people", der Flüchtlinge aus Vietnam. Einen Tag nachdem der Text im WDR ausgestrahlt wurde, entschied Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht, 1000 Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Möglicherweise würde Hilde Domin heute an der Spitze derer stehen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Was machen Sie nächsten Freitag?
Es gibt ja tolle Parallelveranstaltungen in und vor der Stadtbücherei, bei denen Heidelberger sich zur Demokratie bekennen. Ich werde vielleicht Hilde Domins Gedicht "Graue Zeiten" vorlesen. Denn unser Land darf kein Land sein, in dem, wie es in dem Gedicht heißt, "die Toten sich fürchten".