Was Professor Rodewalds Forschung bei der Krebsbekämpfung nutzt
Grundlagenforschung zur Immunologie - "Anerkennung für das ganze Labor"

Für seine herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet der Blutbildung erhält Prof. Hans-Reimer Rodewald den Leibniz-Preis 2019. Das Preisgeld von 2,5 Millionen Euro fließt in seine Forschung. Foto: DKFZ
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Prof. Hans-Reimer Rodewald (60) gilt als einer der weltweit führenden Immunologen. Der Leiter der Abteilung für zelluläre Immunologie am Deutschen Krebsforschungszentrum wird am 13. März in Berlin den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2019 erhalten. Der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland, dotiert mit 2,5 Millionen Euro, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verliehen. Das Preisgeld kann Rodewald, Sohn des Hamburger Herzchirurgen Georg-Wilhelm Rodewald, bis zu sieben Jahre lang nach eigenen Vorstellungen für seine Forschungsarbeit verwenden. Welchen Fragen er da nachgeht, beschreibt der Wissenschaftler im RNZ-Gespräch.
Herr Professor Rodewald, herzlichen Glückwunsch zum Leibniz-Preis. Das ist fast wie ein deutscher Nobel-Preis. Was bedeutet dieser Preis für einen Forscher?
Das ist eine tolle Sache und eine öffentliche Anerkennung für das ganze Labor. Es ist schön, wenn die Arbeit, die man gemacht hat, sich durchgesetzt hat und von Kollegen bestätigt wurde.
Man spricht bei Ihrer Forschung von bahnbrechenden Ergebnissen - aber Sie haben keineswegs Menschen geheilt. Sie machen Grundlagenforschung. Zum Beispiel geht es um die Entwicklung der Blutzellen. Können Sie das dem Laien kurz erklären?
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Wir arbeiten mit dem Immunsystem, also Zellen und Geweben, die über den ganzen Körper verteilt und unglaublich komplex sind. Dazu gehören etwa die B-Lymphozyten, die Antikörper gegen Bakterien oder Viren produzieren. Oder die T-Lymphozyten, die aus dem Thymus kommen und das Immunsystem steuern. Bei Kindern und Jugendlichen ist der Thymus sehr beschäftigt.
Ist er bei Erwachsenen ganz zurückgebildet?
Er wird zu Fettgewebe umgebaut, vom Thymus bleiben schließlich vielleicht fünf Prozent, die aber wahrscheinlich wichtig sind. Alle Zellen werden letztlich aus den blutbildenden Stammzellen gebildet, die beim Menschen im Knochenmark sitzen - beim Fisch zum Beispiel befinden sie sich in der Niere. Diese Stammzellen sind ganz selten und schwer zu studieren. Wir haben uns gefragt: Was machen die normalerweise in der Nische, in der sie sitzen? Deshalb haben wir in die Stammzellen unserer Mäuse einen genetischen Schalter eingebaut, der sie leuchten lässt, und geschaut, wie oft Stammzellen neue reife Zellen bilden und wann diese sich im Körper ausbreiten.
Wie tun sie das?
Ganz langsam. Die einzelnen Zellen sind nur alle drei bis vier Monate aktiv, aber insgesamt beteiligen sich sehr viele Stammzellen an der Bildung von Blut- und Immunzellen.
Was bedeutet das für die Forschung?
Wenn wir den Normalzustand verstanden haben, können wir schauen, unter welchen Umständen das nicht oder anders funktioniert. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Stammzellen nicht so auf Sepsis, eine lebensbedrohliche Entzündung im Organismus, reagieren wie man bisher dachte. Sie bilden keine neuen reifen Zellen, sie teilen sich nur selbst. Wir vermuten, dass sie sich so schützen.
Und dann haben Sie noch den Wettstreit zwischen alten und jungen Zellen entdeckt. Wie funktioniert der?
Das haben wir für den Thymus gezeigt. Normalerweise wandern Vorläuferzellen, die Nachkommen von Stammzellen, aus dem Knochenmark über das Blut in den Thymus und reifen dort zu T-Lymphozyten. Wir haben entdeckt: Wenn man den Nachschub in den Thymus unterbindet, fängt dieser selbst an, T-Lymphozyten zu produzieren. Wir haben also zunächst völlig gesunde, normale Zellen, die aber, und das ist nicht normal, nicht mehr ausgetauscht werden. Interessant war: Einige von ihnen sterben nicht. Sie bleiben da.
Was passiert dann?
Wenn man das so einige Monate laufen lässt, dann entsteht in den Mäusen eine T-Zell-Leukämie. Ähnlich ist es wahrscheinlich im Menschen. Die meisten Menschen würden sagen: Krebszellen entstehen durch Mutationen, also durch genetische Veränderungen in Zellen. Die Frage ist nun: Ist auch die Langlebigkeit der Zellen ein Problem? Es gibt interessante Studiendaten, dass sich im gesunden Gewebe einer Speiseröhre Zellen mit Mutationen, die eigentlich ganz charakteristisch für Krebs sind, befinden. Eine Erklärung wäre: Solange die Zellen immer wieder ausgetauscht werden, ist das kein Problem. Also: Die Konkurrenz zwischen jungen und alten Zellen verhindert Krebs. Zellen müssen sich gegen andere Zellen behaupten, sonst verschwinden sie. Das hält das Gewebe fit.
Neuerdings haben Sie Blutstammzellen mit einem genetischen Barcode-System ausgestattet und können so deren Weg im lebenden Organismus verfolgen.
Auf diese Weise können wir letztlich den ganzen Stammbaum von Zellen oder Organen rekonstruieren. In Zukunft können Forscher so zum Beispiel herausfinden, aus wie vielen Zellen eine Leber entsteht. Und wir können die Entwicklung und Erhaltung von Organen verstehen.
Wie wichtig ist die Grundlagenforschung, wenn man letztlich nichts als Heilung sucht?
Bei der Grundlagenforschung geht es um die Mechanismen, wie Krankheiten entstehen und wie man sie verhindern kann. Ich habe 30 Jahre lang am Thymus gearbeitet. Meine Ergebnisse zur Leukämie kamen aus der Frage, wie der Thymus funktioniert, nicht aus Forschung an der Krankheit Leukämie.
Wird der Krebs jemals besiegt sein? Oder liegt die Entartung der Zellen in der Natur der Sache, etwa in der Alterung?
Abgesehen von Infektionen, die zu Krebs führen und die man verhindern kann, kann man die Entstehung wohl nicht völlig verhindern, aber die Behandlung wird immer besser werden. Statistisch betrachtet nehmen Krebserkrankungen mit dem Alter zu, vermutlich weil die Zellen bei der Zellteilung über die Zeit hinweg Fehler machen. Und vielleicht hat Krebsentstehung auch etwas mit dem Zellaustausch zu tun, dessen Rolle bei Leukämie wir entdeckt haben. Ich glaube nicht, dass Krebs jemals wirklich besiegt sein wird. Das heißt nicht, dass man nicht daran arbeiten muss.



