Künstler organisieren Verkauf von US-Hinterlassenschaften in Heidelberg

Resterampe bei Mark Twain Village und Campbell Barracks

16.08.2016 UPDATE: 17.08.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden

Wer braucht noch einen Spielplatz? Im Auftrag der Stadt verkauft der Künstler Ulrich Westner alles, was nicht niet- und nagelfest ist und von den Amerikanern zurückgelassen wurde. Fotos: Philipp Rothe

Von Stefan Meyer

Heidelberg. Rund drei Jahre ist es nun her, dass die US-Amerikaner aus Heidelberg abzogen und die Campbell Barracks sowie Mark Twain Village an den Bund übergaben. Vieles nahmen die Soldaten und Familien zu ihren neuen Stützpunkten mit - vieles ließen sie jedoch auch einfach zurück. Briefkästen wie Türstopper, Pavillons wie Spielplätze und sogar ganze Squash-Hallen warten seither auf neue Besitzer. Zwei Künstler wollen sich dieses ungehobenen Schatzes nun annehmen. Philipp Morlock und Ulrich Sayin Westner organisieren die Demontage der Hinterlassenschaften und sorgen als "Campbell & Twain Store" zugleich selbst für deren Abverkauf.

Dass sich ausgerechnet zwei Künstler um diese Aufgabe kümmern, hat mit einer Begebenheit zu tun, die sich vor zwei Jahren auf dem Taylor Areal in Mannheim ereignete. Philipp Morlock hat in der ehemaligen US-Kaserne sein Atelier eingerichtet und war geradezu entsetzt, als Arbeiter die Innenausstattung eines Militärgerichtssaals sowie zwei Wandreliefs einfach wegwerfen wollten. Ihm wurde bewusst: Hier gibt es noch viel zu holen. "Und irgendwo muss das Geld ja herkommen", lacht Ulrich Sayin Westner, der als Transmedia-Gestalter künstlerisch tätig ist. Er und sein Partner verkaufen seither mit großem Erfolg die Überbleibsel aus Benjamin Franklin Village sowie den Taylor Barracks und wurden von Heidelberger Seite gebeten, sich nun auch um Mark Twain Village und die Campbell Barracks zu kümmern.

Während sie in Mannheim als Angestellte einer Projektentwicklungsgesellschaft operieren, arbeiten sie in Heidelberg als selbstständige Unternehmer. Das Ganze läuft über die von ihnen gegründete Alfred Packer Company - benannt nach einem berüchtigten Kannibalen, der 1874 mit fünf anderen Goldgräbern eingeschneit wurde und seine Kameraden allesamt verspeiste. Auch Morlock und Westner leben gewissermaßen vom Resteverwerten, doch ansonsten verfolgt ihre Firma ungleich edlere Ziele. "Wir sind nicht gewinnorientiert", erklärt Westner über ihren gewerblich geführten Kunst- und Kulturbetrieb. "Alles, was nach der Bezahlung aller Mitarbeiter noch als Gewinn übrig bleibt, finanziert Kunstprojekte wie das Einrahmhaus."

Bis 2018 werden die Mannheimer Künstler auf den Heidelberger Konversionsflächen zu tun haben. Ihre primäre Aufgabe besteht gegenwärtig in der Organisation des Abverkaufs. "Vieles geht an Leute, die selbst demontieren. Wo die Bagger uns auf den Fersen sind, demontieren wir aber auch selbst und lagern das Zeug ein", erklärt Westner. Der "Campbell & Twain Store" funktioniert daher sowohl über Besichtigungstermine als auch über Online-Inserate. Letzteres hat freilich auch seine Nachteile: "Kindergärten und Sportvereine schauen üblicherweise nicht gerade bei Ebay-Kleinanzeigen nach", konstatiert Westner.

Gerade für die könnte sich ein Blick in das Sortiment jedoch lohnen. 15 000 bis 35 000 Euro kostet üblicherweise ein großer Spielplatz, der "Campbell & Twain Store" verlangt 2500 Euro. "Aus Haftungsgründen darf ich Spielplätze jedoch nicht an Privatpersonen verkaufen", merkt Westner an. Für diese Kunden gebe es aber genügend andere Angebote, wie etwa Fallschutzmatten, die zehn Euro pro Quadratmeter kosten. Wer etwas mehr Geld auf der hohen Kante hat, kann sich auch die beiden Squash-Hallen sichern, die mit insgesamt 18 000 Euro den bislang teuersten Posten des gesamten Sortiments darstellen.

Dort ist mittlerweile auch etwas aufgelistet, das den Heidelbergern aus ganz anderen Gründen gefallen dürfte: gebrauchter Frontgitterzaun. Denn wie Westner von einem Anwohner bestätigt bekam, sei es vor 9/11 überhaupt kein Problem gewesen, Mark Twain Village zu betreten. Erst nach den Terroranschlägen sei alles anders geworden. "Innerhalb von nur einer Woche ist die Siedlung eingezäunt gewesen", wurde ihm berichtet. Damit sei es in Kürze aber vorbei. "Die Ära des 11. September ist ab Mitte August beendet", frohlockt Ulrich Sayin Westner. "Der Zaun verschwindet wieder -und kann gekauft werden."

Info: Interessenten können sich unter www.campbell-twain-store.com informieren beziehungsweise mit Ulrich Westner unter der Rufnummer 0174/4341394 einen Besichtigungstermin vereinbaren.

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