"Der Blick für das Gesamte im Haushalt ist abhanden gekommen"
Der Gemeinderat wollte es so: Wie Kämmerer Hans-Jürgen Heiß mit den höheren Schulden leben will

Finanzbürgermeister Hans-Jürgen Heiß hat damit zu kämpfen, dass der Gemeinderat ihm fast 26 Millionen Euro neue Schulden für den Doppelhaushalt 2019/20 aufbürdete - und ist davon "nicht begeistert". Foto: Rothe
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Das war kein guter Jahresausklang für den Heidelberger Finanzbürgermeister Hans-Jürgen Heiß: Gemeinsam schnürte eine riesengroße Mehrheit des Gemeinderates ein Paket - als Ergänzung zu Heiß’ ursprünglichem Entwurf. Und damit steigt die Neuverschuldung im Doppelhaushalt 2019/20 deutlich - um 38 Millionen Euro (statt der geplanten 12,7 Millionen) auf dann insgesamt 240 Millionen Euro. Vor zwei Jahren hatte sich der Gemeinderat eine Obergrenze von 20 Millionen Euro an neuen Schulden pro Jahr auferlegt. Wie der Kämmerer es sieht, dass Heidelberg selbst in Zeiten sprudelnder Einnahmen derartig hohe Kredite aufnehmen muss, verrät er im Gespräch mit der RNZ.
Herr Heiß, war der am 20. Dezember verabschiedete Doppelhaushalt für Sie ein Weihnachtsgeschenk oder ein Desaster?
Kein Desaster, aber auch kein Geschenk. Die Auswirkungen des sogenannten Paketantrags, der zu der großen Mehrheit geführt hat, haben bei mir keine Begeisterung ausgelöst: Die Neuverschuldung erhöht sich um 26 auf 38 Millionen Euro. Das engt natürlich unseren Handlungsspielraum ein.
Kann man sagen: Je größer die Mehrheit, desto teurer wird es?
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Nicht unbedingt. Ich würde eher sagen: Je breiter die Konsensfindung, desto mehr Felder werden abgedeckt - und dann kann es teurer werden. Aber grundsätzlich bin ich froh, wenn die Gemeinderatsfraktionen einen Kompromiss finden, der eine breite Mehrheit und damit eine große Akzeptanz findet.
Aber mit den 38 Millionen Euro Neuverschuldung kratzt man an der vom Gemeinderat selbst gesteckten Marke von maximal 40 Millionen Euro an neuen Schulden pro Doppelhaushalt …
Das sehe ich auch als Problem: Die Erwartungshaltung beim Gemeinderat, den Sanierungsrückstau abzuarbeiten, ist sehr hoch. Und man bringt dabei nicht die Bereitschaft auf, das durch eine Priorisierung mit einer vertretbaren Neuverschuldung umzusetzen. Da fehlt mir die Gesamtbewertung des Haushalts. Das kann auch daran liegen, dass bald Kommunalwahl ist.
Zur Wahl kommen wir später. Es ist ja unumstritten, dass bei Straßen und Schulen der Sanierungsrückstau abgearbeitet wird. Aber im Haushalt stehen hohe Summen an Vereine und Institutionen, aber auch zwei Millionen Euro für den Kauf des Zieglerbräu-Gebäudes, nur um darin den Club zu erhalten. Das hat mit den Kernaufgaben der Stadt doch nichts mehr zu tun, oder?
Ich will auf einzelne Positionen im Paketantrag nicht eingehen. Und es gibt ja auch für jeden Posten eine gute Begründung. Ich bemängele nur, dass die politischen Gruppierungen vor lauter Einzelposten den Blick für das Gesamte aus den Augen verlieren. Und weil Sie schon direkt danach gefragt haben: Die zwei Millionen für das "Ziegler’s" sehe ich als Aufstockung unseres Grundstücksfonds - für den möglichen Kauf einer Immobilie in zentraler Lage.
Sie haben die Kommunalwahl erwähnt. Wie sehr hat die sich denn auf den Haushalt ausgewirkt?
Zumindest ist es meiner Einschätzung nach nicht von der Hand zu weisen, dass ein sehr breites Handlungsfeld bedient wird. Aber ich denke auch, dass es Wähler honorieren würden, wenn man verantwortlich mit den Finanzen umgeht.
Hintergrund
Hans-Jürgen Heiß (59) begann 1979 seine Ausbildung bei der Stadt Heidelberg. 15 Jahre, von 1992 bis 2007, war er Leiter der zentralen Controllingstelle der Stadt, aber bereits 2003 wurde er zugleich auch stellvertretender Kämmerer und Leiter der
Hans-Jürgen Heiß (59) begann 1979 seine Ausbildung bei der Stadt Heidelberg. 15 Jahre, von 1992 bis 2007, war er Leiter der zentralen Controllingstelle der Stadt, aber bereits 2003 wurde er zugleich auch stellvertretender Kämmerer und Leiter der Haushaltsabteilung. Am 1. Dezember folgte er als Chef der Stadtfinanzen Walter Lenz nach, der dieses Amt 20 Jahre innegehabt hatte. Zum 1. November 2013 wurde Heiß zum Bürgermeister für Konversion und Finanzen "befördert" - um ihn in Heidelberg zu halten. Während Lenz die städtischen Haushalte unter Alt-Oberbürgermeisterin Beate Weber-Schuerholz durch die sehr klammen neunziger und Nuller-Jahre steuern musste, hatte Heiß deutlich mehr Glück: Er erlebte die stabile Konjunktur ab 2010, in der zeitgleich auch die Gewerbeeinnahmen, die allein der Stadt gehören, fast explodierten: Lagen sie 2005 noch bei knapp 47 Millionen Euro, haben sie sich 2019 fast verdreifacht.
Heiß stammt aus Schönbrunn-Haag, wo er heute noch wohnt. Dort war er von 1989 bis 2008 für die Freien Wähler (sonst gibt es dort nur noch die CDU) im Gemeinderat und auch Bürgermeisterstellvertreter. hö
Was kann man da als Kämmerer tun, wenn einem die Neuverschuldung um 26 Millionen Euro erhöht wird?
Man muss die Auswirkungen aufzeigen und kann versuchen, auf einzelne Anträge zu reagieren: Sind diese Ausgaben wirklich notwendig? Man kann auch die Höhe der vorgesehenen Ausgaben hinterfragen oder versuchen, sie zeitlich zu strecken. Ziel des Kämmerers ist, sich möglichst nah an seinen ursprünglichen Entwurf heranzuarbeiten. Natürlich muss der Gemeinderat einen Handlungsspielraum haben, aber bei diesem Doppelhaushalt sind die finanziellen Nachwirkungen sehr groß.
Und wie sehen die aus?
Das können wir noch nicht abschließend sagen. Aber die jetzt schon absehbaren Auswirkungen sind eine höhere Neuverschuldung Ende 2020, und über den gesamten Finanzplanungszeitraum bis 2023 können wir die durchschnittliche und vom Gemeinderat angestrebte maximale Neuverschuldung von 20 Millionen Euro pro Jahr nicht einhalten. Das nimmt uns den Spielraum, um auf zukünftige Entwicklungen reagieren zu können.
Ich denke aber auch an Folgekosten, die entstehen, wenn man 2019 und 2020 die Kinderbetreuung ausbaut. Das bedeutet automatisch auch mehr Kosten für 2023, um die Löhne der Erzieher und den Unterhalt der neuen Gebäude zahlen zu können.
Ja, das ist so. Aber darin liegt ja auch die Gefahr bei Haushalten, die durch gute Rahmenbedingungen geprägt sind, dass politische Anliegen da besonders berücksichtigt werden. Darunter leiden dann die nächsten Jahre sehr. Denn nicht alles, was wir uns 2019 leisten, können wir uns auch 2023 leisten - und etwas zurückzunehmen, das ist wirklich schwer.
Sind denn die sieben fetten Jahre vorbei?
Sie sind nicht vorbei, aber es zeichnet sich ab, dass in einem absehbaren Zeitraum Verschlechterungen eintreten. Das heißt nicht, dass es in diesem Doppelhaushalt auf einmal zu unerwarteten Einnahmeausfällen kommt, aber mittelfristig wird doch das Wirtschafts- und damit das Einnahmewachstum zurückgehen. Wirklich hohe Einnahmen gibt es nur in der Hochkonjunktur.
Aber selbst, wenn Sie Unmengen an Geld für den Bau von Kitas und die Sanierung von Straßen ausgeben: Haben Sie als Kämmerer eine Geheimformel, dafür genügend Personal zu bekommen?
Das wird in den nächsten Jahren die größte Herausforderung für Kommunalverwaltungen. Denn es wird immer schwieriger, geeignete Bewerber für die Stellen zu finden. Durch unsere Tarifstrukturen sind wir da auch nicht so handlungsfähig. Und es wird auch immer schwerer, bei den Aufträgen, die wir vergeben, Betriebe zu finden, die noch Kapazitäten frei haben.
Ist denn irgendwann der Sanierungsrückstau mal abgearbeitet?
Ich sage mal so: Unter guten Rahmenbedingungen ist ein Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro im Jahr machbar. Ich nehme mal an, dass die größten Rückstände im nächsten Jahrzehnt dann abgearbeitet sein müssten.
Ist es nicht frustrierend, wenn Sie einen Haushalt vorlegen, von dem viele Bürger nichts mitbekommen werden? Kein neuer Bismarck- oder Bahnhofsplatz, kein Neckarufertunnel?
So würde ich das nicht sehen. Man wird es schon mitbekommen, wenn Kinder gut betreut werden, wenn die Straßenbahn durch die Bahnstadt und die umgebaute Haltestelle am Hauptbahnhof fährt und wenn es die neue Großsporthalle gibt. Oder wenn in der Südstadt neben vielen Wohnungen ein neuer Park entsteht. Es müssen nicht immer herausragende Prestigeprojekte sein, die auf eine gute Infrastruktur in einer Stadt hindeuten.
Sie haben gerade die Großsporthalle erwähnt, dazu kommt auch noch das neue Konferenzzentrum. Kann der städtische Haushalt solche Großprojekte und ihre Folgekosten überhaupt verkraften?
Beide Projekte sind in unserer mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt - also praktisch gegenfinanziert. Aber es ist klar, dass wir bei zukünftigen Ausgaben diese Belastungen im Auge haben müssen.
Wie schlägt eigentlich die Konversion, also die Neunutzung der US-Liegenschaften, auf den Haushalt durch?
Die Kosten für den laufenden Betrieb, also Planungen, Gutachten oder Bürgerbeteiligung, werden durch den Teilhaushalt "Konversion" abgebildet. Momentan liegen wir hier bei zwei Millionen Euro. Für die Entwicklung der neuen Wohn- und Gewerbeflächen und den Bau der erforderlichen Infrastruktur wurde die Konversionsgesellschaft gegründet. Und die arbeitet so, dass der städtische Haushalt nicht belastet wird. Wir finanzieren das aus der Wertschöpfung, also dem Verkauf von erschlossenem baufertigen Land.
Gerade klagt die Stadt auf Rückkauf des Alten Kohlhof. Man hört Summen von zwei Millionen Euro. Ist das denn finanziell verkraftbar?
Es ist machbar. Und es stimmt auch nicht, wenn es heißt, dafür gebe es kein Geld im Doppelhaushalt. In unserem Immobilienfonds stehen 18 Millionen Euro zur Verfügung. Aber jetzt warten wir erst einmal, was das Gericht sagt.
Im RNZ-Jahresinterview hat Oberbürgermeister Eckart Würzner gesagt, er kämpfe weiter für den Neckarufertunnel. Wäre der haushaltsmäßig machbar?
Im momentanen Doppelhaushalt wäre er nur schwer unterzubringen, weil er eine erhebliche zusätzliche Neuverschuldung nach sich ziehen würde. Aber wenn man vor zehn Jahren gewusst hätte, wie sich die finanzielle Situation unserer Stadt entwickelt, hätte man wohl längst damit begonnen, denn diese Jahre waren wirklich sehr günstig für Investitionen. Wenn man ihn in den kommenden Jahren, in denen sich die Einnahmensituation wohl nicht so günstig wie bisher entwickelt, bauen wollte, müsste man ihm Priorität einräumen und andere Dinge zurückstellen.