Zusammenleben von Flüchtlingen und Kirchheimern klappt inzwischen gut
Das "kommunikative Chaos" im Heidelberger Stadtteil ist überwunden - Diskussion im Institut für Medizinische Psychologie

Sommer in Patrick Henry Village: Flüchtlinge warten vor der Essensausgabe. Nicht jeder der Anwohner ist über die Abläufe in der Unterkunft informiert, was für Konflikte sorgt. Foto: Rothe
Von Holger Buchwald
Die Verunsicherung war anfangs groß - bei den Flüchtlingen in Patrick Henry Village (PHV) und bei den Nachbarn in Kirchheim. Doch inzwischen läuft es besser. "Konflikte und Konfliktlösungen in großen Flüchtlingsunterkünften und ihrer Nachbarschaft" lautete das Thema der Podiumsdiskussion im Institut für Medizinische Psychologie. Und eines wurde bei der Veranstaltung mit rund 100 Zuhörern deutlich: In Heidelberg gibt es genügend Anschauungsmaterial, wie diese Aufgabe gelingen kann. Der Schlüssel liegt in der Kommunikation und der Improvisation.
Die Idee für die erste von drei Ringvorlesungen zum Thema "Flüchtlingsleben" kam Moderator Prof. Jochen Schweitzer bei der Lektüre der RNZ. Dort war im Sommer von Konflikten zwischen Reiterinnen im Kirchheimer Feld und Gruppen von jungen Männern zu lesen, die die 2,5 Kilometer von PHV in den benachbarten Stadtteil marschierten.
Stadtteilvereinsvorsitzender Jörn Fuchs erinnerte sich an diese "mal freundlichen und weniger freundlichen Begegnungen", an Beschwerden von Besuchern des Friedhofs, vor dem auf einmal Flüchtlinge lagerten. "Diese Nachrichten gingen einher mit unterschiedlichen Zahlen, wie viele Flüchtlinge wirklich in PHV leben", so Fuchs: "Das Misstrauen in der Bevölkerung war da."
Bis auf ein paar Ehrenamtliche, die Kinderbetreuung anboten, durfte niemand in die Unterkunft. Und als Integrationsministerin Bilkay Öney den Anwohnern indirekt Rassismus vorwarf, indem sie sagte, dass sie sich halt nun an "dunkle Köpfe" gewöhnen müssten, entlud sich der Frust der Kirchheimer bei einer Infoveranstaltung mit Öney. Fuchs: "An diesem Abend haben wir ein bisschen lauter geredet, aber sachlich."
Seitdem das Innenministerium mit der Landesfeuerwehr für PHV verantwortlich ist und dort ein Registrierungszentrum aufbaut, habe sich die Situation deutlich entspannt, berichtet Fuchs, auch wenn inzwischen 5300 Flüchtlinge in der Siedlung leben. Shuttle-Busse fahren von PHV in die Stadt.
Und vor allem klappt nun auch die Kommunikation: Alle 14 Tage lädt die Initiative "Kirchheim sagt Ja!" zum Erfahrungsaustausch, bei dem alle Akteure anwesend sind. Nicht nur Fuchs fragt sich, warum das nicht gleich möglich war: "Das kommunikative Chaos der Politik war für mich das Erschreckendste."
Auch innerhalb von Massenunterkünften gibt es Probleme. Beate Deckwart-Boller, Sozialarbeiterin in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe und Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat, sowie Christian Heinze, Bereichsleiter Flüchtlingsarbeit des Diakonischen Werks, erklärten, dass auch hier die Gründe für den Streit häufig in der mangelnden Kommunikation zu suchen sind. Religiöse oder ethnische Konflikte spielten eine untergeordnete Rolle.
Mal geht es um das Essen, mal um die ärztliche Versorgung, bei der Flüchtlingen nur das Notwendigste zusteht. Und immer wieder geht es um vermeintliche Ungerechtigkeiten. So ist es laut Deckwart-Boller mittellosen Flüchtlingen nur schwer zu erklären, warum jemand, der nach ihnen in Deutschland angekommen ist, auf einmal 140 Euro Taschengeld bekommt, nur weil er das Glück hatte, vor dem entsprechenden Stichtag registriert worden zu sein.
Ähnliche Erfahrungen macht Christian Heinze in Heidelberg. Die 26 hauptamtlichen Sozialarbeiter und die 80 Ehrenamtlichen können in PHV den Ansturm kaum bewältigen. Jeden Tag geben sie Sprachkurse für die Neuankömmlinge, händigen Infoblätter über Heidelberg aus, geben Tipps zu Apps, mit denen die Flüchtlinge Deutsch lernen können.
Deckwart-Boller hofft, dass bald auch die Politik ihren Beitrag in der Bewältigung der Flüchtlingskrise leistet. "Ich wünsche mir, dass der gute Ruf als sehr organisiertes Land, den Deutschland hat, auch irgendwann in den Flüchtlingsheimen ankommt." Fuchs, der als Geschäftsführer des Paritätischen auch für zwei Altenheime in Heidelberg zuständig ist, will eine "ehrlichere Diskussion, wer in Deutschland bleiben darf". Flüchtlinge aus dem Balkan sollten nicht allein wegen ihrer Herkunft gleich wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden. "Wir brauchen dringend Fachkräfte."