Schlange stehen, um Brunnenwasser abzufüllen
Für viele ist das Quellwasser "purer Genuss" - Aber die Stadtverwaltung rät eigentlich vom Verzehr ab

Von Julia Lauer
Heidelberg. Heidelberg am Samstagnachmittag. Man könnte über den Philosophenweg spazieren oder auf der Neckarwiese liegen. Aber nein: Das Paar aus der Nähe von Wiesloch ist zum Ortsausgang von Ziegelhausen gekommen, um dort in der Hitze vor einem Brunnen auf Wasser zu warten – dabei käme es doch zu Hause bequem aus dem Hahn. Aber nun stehen die beiden auf einem Parkplatz neben der Landstraße in der Schlange, ausgerüstet mit etlichen Zehn-Liter-Kanistern und unzählbaren leeren Plastikflaschen.
"Eine Stunde muss man hier einplanen", sagt die Frau. Sie muss es wissen, denn Wasser holt sie hier regelmäßig, und das seit 15 Jahren. Eine Stunde also: So lange dauert es, bis das Wasser abgefüllt ist, Wartezeit inbegriffen. Ihr Mann – sportlicher Typ, Silberkettchen, tätowierte Arme – steht neben ihr im Schatten. Hier respektierten alle die Reihenfolge, meint er. "Und keiner drängelt, wir sind schließlich nicht bei Aldi." Vor dem Paar steht ein Mann aus Mosbach, dahinter eine Frau aus Mauer. Entspannt ist die Stimmung auf dem Parkplatz am Waldrand, gesprochen wird trotzdem nicht viel. Man wartet einfach, bis man dran ist und selbst vor dem schlichten Hahn steht, aus dem das begehrte Wasser fließt.
Kaum haben die beiden das Wasser abgefüllt, verschwindet es im Kofferraum ihres Kombis. Ein dunkler Mercedes, ein gepflegtes Gefährt. Das gilt ohnehin für alle Fahrzeuge, die hier stehen, auch blank polierte SUVs sind darunter. Menschen, denen die Stadtwerke das Wasser abgestellt haben, hatte man sich anders vorgestellt. Oder nicht? Die Frau aus Wiesloch lacht und schüttelt den Kopf, dabei wirft sie die blondierte Mähne zurück. Zu Hause sei das Wasser kalkhaltig, aber dieses hier sei richtig klar. "Und so muss es sein, wenn man türkischen Tee kochen will." Schon ihre Eltern seien zu diesem Brunnen gekommen, um mit einem Kofferraum voller Wasser wieder den Heimweg anzutreten. Aber nicht, weil es nichts kostet – sondern aufgrund seiner Qualität.

Das würde auf diesem Parkplatz jeder unterschreiben, mit dem man sich unterhält. Kein Wunder: Wenn man schon extra dorthin fährt, muss das auch Gründe haben. Manche kommen aus Heidelberg, aber die meisten nehmen eine längere Fahrt auf sich, sie stammen aus Mannheim, aus Schwetzingen, aus Böhl-Iggelheim, ja, sogar Mainzer trifft man hier an. Wie das Paar aus Wiesloch kommen auch viele andere seit Jahren regelmäßig zu diesem Brunnen und stehen für das Wasser an. Es sei noch nie vorgekommen, dass er hier nicht habe warten müssen, sagt ein Mann. Sogar um Mitternacht begegne man hier anderen Wasserabfüllern; dann allerdings warte man nicht ganz so lange.
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Wer türkische Vorfahren hat, schätzt das Wasser vor allem für seine Qualitäten bei der Zubereitung von Tee und Kaffee. Wer deutsche Vorfahren hat, befüllt damit offenbar tendenziell eher Aquarien. Aber alle betonen: Es sei das reinste, ungetrübteste und auch wohlschmeckendste Wasser der Gegend. Eine Frau meint, ein Kanister mit diesem Wasser sei auch ein prima Mitbringsel für Verwandte. Und schon im Osmanischen Reich seien die öffentlichen Brunnen ein Geschenk ans Volk gewesen.
So schmeichelhaft das auch klingt, die hiesige Stadtverwaltung will das so nicht verstanden wissen. Im Gegenteil: "Die Stadt Heidelberg rät davon ab, das Wasser aus den Laufbrunnen – wie beispielsweise an der L 534 zwischen Ziegelhausen und Kleingemünd oder im Mühltal – zu trinken", teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Bei dem Wasser in diesen Brunnen handele es sich um Regen- und Quellwasser, das den Hang hinunterkommt. Damit es nicht auf die Straße läuft, wird es gebündelt und über den Hahn des Brunnens abgeleitet.
Also doch kein Elixier? Wenn irgendetwas mit diesem Wasser nicht in Ordnung wäre, so die einhellige Meinung der Wasserabfüller vor dem Brunnen bei Ziegelhausen, würde man an Ort und Stelle darauf aufmerksam machen. Früher habe es schließlich Hinweisschilder gegeben: "Kein Trinkwasser". Dass sich Hinweise dieser Art nun nicht mehr finden, müsse endgültig die Wasserqualität belegen, heißt es auf dem Parkplatz. Aber auch hier enttäuscht die Stadt. Die Schilder seien demoliert oder abmontiert worden, stellt ein Sprecher richtig.
Denn Verunreinigungen sind ihm zufolge nicht auszuschließen. Sogenanntes Oberflächenwasser wie dieses werde überwiegend aus Quellen gespeist, die nahe der Erdoberfläche liegen. Eine Reinigung und Filtration durch ausreichend mächtige Boden- und Gesteinsschichten werde daher kaum erreicht, denkbar seien Verunreinigungen durch Tierkadaver oder auch etwa Fäkalien. Und Stefan Kramer, Fachgebietsleiter für Trink- und Badewasser am Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises, erklärt für Brunnen wie diesen: "Das Wasser kann man nicht als Trinkwasser deklarieren, weil es nicht in die Überwachung fällt." Am Willen dazu scheitere es nicht; doch Kontrollen könnten immer nur eine Momentaufnahme darstellen, meint er: weil die Wasserqualität ständigen Schwankungen unterliegt. Bei Niederschlag etwa kann sie sich schnell ändern.
Der gute Geschmack und selbst das Abkochen böten keinen hundertprozentigen Schutz, gibt die Stadtverwaltung zu bedenken. Allerdings ist auch ihr kein Fall bekannt, in dem das Brunnenwasser Erkrankungen nach sich gezogen hätte. Am Brunnen meint ein Mann, man wisse heutzutage eh nicht mehr, was gesund ist und was nicht. Er trinke das Wasser seit vielen Jahren, stets gehe es ihm gut. Er kommt wohl sicher wieder – so wie andere auch.