Heidelberg

Wie das Theater Abstand vor und auf der Bühne halten muss

Theater probt für die neue Saison - Jeder Schauspieler braucht 15 bis 20 Quadratmeter - Konzerte und Opern in kleiner Besetzung

02.06.2020 UPDATE: 03.06.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
Mit „Bunbury“ wird das Heidelberger Theater die Saison im Herbst eröffnen. Im Bild Schauspielerin Sophie Melbinger, Regisseur Christian Brey (r.) und Intendant Holger Schultze bei den ersten Proben auf der Bühne. Foto: Susanne Reichardt

Von Birgit Sommer

Eigentlich sah der Spielplan des Heidelberger Theaters für die kommende Spielzeit ganz anders aus. Doch das höchst ansteckende Coronavirus verlangt nun Abstand überall. Abstand beim Publikum bedeutet, dass nach derzeitigem Stand nur noch gut 100 Zuschauer in den normalerweise über 500 Menschen fassenden Marguerre-Saal dürfen. Im Alten Saal sind es nun noch 60 bis 70 Zuschauer.

Doch auch die Protagonisten müssen vor zu viel Nähe geschützt werden. Abstand auf der Bühne heißt: Jeder Schauspieler braucht 15 bis 20 Quadratmeter Platz. "Wir können also nur vier bis acht Schauspieler auf der Bühne haben", rechnet Intendant Holger Schultze vor, "eine ganze Tanzcompagnie geht gar nicht." Sicherheitskonzepte für das gesamte Theater werden zusammen mit Gesundheitsamt und Arbeitsschutz entwickelt. Auch die Werkstätten müssen ganz neu planen. "Das ist die stressigste Zeit, die ich als Intendant je hatte", sagt Holger Schultze, "ständig muss man auf etwas neu reagieren."

Hintergrund

> Theatervorstellungen, Konzerte und Kinoaufführungen mit weniger als 100 Besuchern sind seit 1. Juni in Baden-Württemberg erlaubt, wenn die Abstands- und Hygienevorschriften in den Räumen eingehalten werden können. Das Kunstministerium von Theresia Bauer fördert mit dem

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> Theatervorstellungen, Konzerte und Kinoaufführungen mit weniger als 100 Besuchern sind seit 1. Juni in Baden-Württemberg erlaubt, wenn die Abstands- und Hygienevorschriften in den Räumen eingehalten werden können. Das Kunstministerium von Theresia Bauer fördert mit dem Programm "Kultur Sommer 2020" und zunächst 2,5 Millionen Euro Einrichtungen, Vereine und Künstler, die in der aktuellen Lage schnell wieder arbeiten und kleinere Veranstaltungen im Sommer umsetzen können. Daran schließt das Programm "Kunst trotz Abstand" mit 7,5 Millionen Euro an für Angebote und Formate, die längere Planung benötigen.

> Am Theater Heidelberg gilt die mit der Stadtspitze vereinbarte Regelung, bis zum Spielzeitende geschlossen zu bleiben. "Es gibt keinen Rettungsschirm und keine strukturelle Förderung außer dem Kurzarbeitergeld des Bundes", bedauert Intendant Holger Schultze. Ab 8. September ist das Heidelberger Theater dann wieder geöffnet. Der Spielplan 2020/21 soll immer nur für zwei bis drei Monate bekannt gegeben werden. bik

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Oscar Wildes Komödie "Bunbury" wird das erste Stück sein, das im September auf die Bühne kommt. Sophie Melbinger und Raphael Gehrmann proben schon mit Regisseur Christian Brey, der auch "Dracula" im Schlosshof inszeniert hat. "Ab da finde ich ihn ein bisschen toll, vorher nicht", konstatiert "Cecily" Sophie Melbinger zwischendurch beim Proben und meint damit den jungen Lebemann "Algernon". Oder, wenn sie sich aus dem Liegestuhl erhebt: "Ich wollte anders aufstehen, eigentlich." Damit sich die Schauspieler nicht zu nahe kommen, sind auf der Bühne Quadrate eingezeichnet, auf die sie achten. Wenn sie ohne Schutzmaske sind, müssen es schon drei Meter Sicherheitsabstand sein. Denn beim exzessiven Sprechen wird auch mal Spucke versprüht. Und kann man eigentlich die Requisiten, eine Tasse oder einen Schirm, gefahrlos weitergeben?

Sophie Melbinger trauert den vertrauten Probesituationen nicht nach. "Das hat auch etwas Schönes, neu zu forschen", findet sie, "wir suchen ja beim Spiel immer nach einer Übersetzung, zum Beispiel für Sexszenen. Wir sind das gewohnt." Man sei sehr vorsichtig und achte aufeinander, meint Melbinger: "Das ist sehr schön." Natürlich gibt es jeden Tag den Fragebogen nach Krankheitsanzeichen und das Fiebermessen vor der Probe. Jedes Kratzen im Hals wird wichtig. "Wir wollen das alles, weil wir alle wieder arbeiten wollen", sagt Melbinger.

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Noch nie sei sie auf der Straße in Heidelberg so viel angesprochen worden, selbst wenn sie Maske getragen habe. "Nach den ganzen Reaktionen denkt man, wir müssen unbedingt wieder spielen, auch wenn der Saal dann recht leer ist." Sie freut sich auf die Stücke, die jetzt ausgewählt wurden, mit denen das Theater auch inhaltlich auf die Situation reagieren will.

Für die Musiker des Philharmonischen Orchesters und die Sänger, die sich alle in Kurzarbeit befinden und den Zusammenklang vermissen, bedeutet das, dass für die nächste Spielzeit nur kleine Musiktheaterformate geplant werden. "Das geht nicht bei allen Opern, aber es geht zum Beispiel bei Alban Bergs ,Lulu’, das wurde für große und kleine Besetzung geschrieben", verrät der Intendant. "Die Krise zwingt uns, neu über das Repertoire nachzudenken." Genauso plant Generalmusikdirektor Elias Grandy Konzerte in kleiner Besetzung, die dann eventuell mehrmals in der mit nur rund 100 Zuschauern besetzten Neuen Aula der Universität aufgeführt werden. Mit viel Platz zwischen den einzelnen Instrumenten.

Theater im Ausnahmezustand. Die Planung wird erst mal nur bis zum Jahresende bekannt gegeben, wenn der offizielle Spielplan am 26. Juni vorgestellt wird. Niemand weiß, was beim Infektionsgeschehen im Winter zu erwarten ist. Ein neuer Lockdown? Oder gibt es bis dahin ein Medikament gegen die Viren? "Flexibilität ist unser Geschäft", findet Intendant Holger Schultze. Geprobt wird deshalb auch schon mal für die Schlossfestspiele im nächsten Jahr. In wenigen Wochen aber kommt der Sommerurlaub für alle. Sophie Melbinger will auf dem König-Ludwig-Weg im Allgäu wandern. Von Heidelberg zu Fuß in ihre Heimatstadt München, wie zuerst geplant, das ist ihr dann doch zu weit.

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