Heidelberg

Warum Hermann Maas den Israelis so viel bedeutet

Großer Andrang bei erster Hermann-Maas-Rede - Würzner: "Bollwerk gegen Hetze" - Rednerin zeigte Israels Blick auf den Heiliggeist-Pfarrer

15.02.2019 UPDATE: 16.02.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden

250 Menschen wollten beim Auftakt der Hermann-Maas-Reden im Rathaus dabei sein - viele mussten stehen. Irena Steinfeldt-Levy, die über zwei Jahrzehnte in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem arbeitete, fesselte die Zuhörer mit ihren Worten über den Heiliggeist-Pfarrer. Foto: Rothe

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Ein freier Stuhl war schon lange vor Beginn nicht mehr zu ergattern. Rund 250 Menschen drängten sich am frühen Freitagabend im Großen Rathaussaal, viele mussten stehen. "Wir sind überrannt worden", sagte Oberbürgermeister Eckart Würzner leicht konsterniert, als er das Publikum zum Auftakt der neuen Reihe "Hermann-Maas-Reden" begrüßte - doch fing er sich gleich wieder: "Das ist ein gutes Zeichen, dass Hermann Maas’ Botschaft so viel Gehör findet in dieser Stadt."

Mit der Vortragsreihe, die alle zwei Jahre hochkarätige Redner nach Heidelberg holt, will die Stadt laut Würzner die Erinnerung an die Opfer des Holocausts wachhalten und zugleich die großartige - auch christlich-jüdische - Versöhnungsleistung nach dem Ende des Nationalsozialismus würdigen. "Dieses Erbe von Hermann Maas müssen wir schützen - diese Reihe ist ab heute ein weiteres geistiges Bollwerk gegen Hass und Hetze", so der OB. Kämpferisch sagte er an die Adresse von "Populisten und Hetzern": "Wir ziehen keinen Schlussstrich - wir fangen gerade erst an!"

Mit der Israelin Irena Steinfeldt-Levy, die lange die Abteilung "Gerechte unter den Völkern" in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem leitete, kam zum Auftakt die perfekte Rednerin. Denn Hermann Maas (1877-1970), der von 1915 bis 1943 Pfarrer der Heiliggeistkirche war, rettete während der Nazi-Diktatur viele Juden, wurde im Jahr 1944 zur Zwangsarbeit nach Frankreich deportiert - und als dritter Deutscher überhaupt im Juli 1964 als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.

"Maas und sein Mut inspirieren uns alle", sagte Irena Steinfeldt-Levy, die in ihrer Rede detailreich erzählte, wie die Israelis auf Maas blickten und blicken. Im April 1950 war Maas als erster Deutscher auf offizielle Einladung des Staates in Israel. "Das war im Kontext der Zeit sehr ungewöhnlich", so Steinfeldt-Levy. "Viele Israelis wollten Deutschland boykottieren, die Menschen gingen auf die Straße gegen die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Deutschland - man wollte mit den Deutschen nichts zu tun haben." Doch über Maas wurde in den israelischen Zeitungen beinahe hymnisch berichtet. "Dabei waren die Israelis weniger an Maas als Antreiber des jüdisch-christlichen Dialogs oder als Theologe interessiert", so Steinfeldt-Levy, "sondern als Retter vieler Juden und als großer Israel-Freund."

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In seinen Briefen, aus denen Steinfeldt-Levy zitierte, geht die glühende Liebe des Theologen für Israel und zum jüdischen Volk hervor. Maas, der schon 1903 als 26-Jähriger beim 6. Zionistenkongress in Basel dabei war (wo er auf Theodor Herzl traf), unterschrieb seine hebräischen Briefe häufig mit "Zvi Ben-Avraham". Zvi steht für Hermann. Ben-Avraham bedeutet "Sohn Abrahams" - also ein Sohn des Glaubens und damit auch ein Sohn Israels. In Maas’ Haus hing im ersten Stock ein Kreuz, im zweiten eine Mesusa - eine Schriftkapsel am Türpfosten, wie sie viele Juden in ihren Häusern haben.

Es war ein Höhepunkt seines Lebens, als Hermann Maas am 17. Oktober 1967 seinen Baum in der "Allee der Gerechten" in Yad Vashem pflanzen durfte. Da war er schon 90 Jahre alt. "Die Ehrung beschämt und beglückt mich", meinte Maas. Trotz der vielen Würdigungen und Freundschaften, die ihn mit Israel und den Juden verbanden: Zeitlebens fühlte er "eine furchtbare Schuld und tiefe Verantwortung, einfach weil ich zum deutschen Volk gehöre", wie er in einem Brief an Freunde schreibt. Seine Konsequenz: "Ich kenne nur eines: das Bekenntnis zum Judentum."

Steinfeldt-Levy grub für ihre Rede Hunderte Seiten spannender Dokumente aus - und das war viel Arbeit. Denn in der alten Akte der Kommission, die prüfte, ob Maas als "Gerechter" geehrt wird, stand - nichts. "Alle wussten, was er für die Juden getan hatte", so Steinfeldt-Levy. Beweise waren schlicht nicht mehr nötig.

Für die studierte Mathematikerin, die von 1994 bis 2018 in Yad Vashem arbeitete, war die Recherche für die Maas-Rede auch ganz persönlich ergreifend. Denn sie fand heraus, dass der Maas-Freund Walter Wohlfahrt, der 1938 nach England floh - seine Frau und zwei seiner drei Söhne wurden von den Nazis ermordet - der Vetter ihrer Großmutter war. Steinfeldt-Levy machte sich auf die Suche: "Der Sohn ist schon verstorben - aber seine Enkelin lebt 500 Meter von mir in Jerusalem, wir haben uns jetzt kennengelernt." Deshalb dankte die Rednerin der Stadt Heidelberg "von ganzem Herzen" für die Einladung: "Nun ist es nicht mehr nur so, dass ich Hermann Maas zutiefst verehre, er ist jetzt auch Teil meiner Familiengeschichte."

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