RNZ-Forum: Die Leser hatten das Wort - und der Saal tobte (plus Video/Audio)
RNZ-Forum präsentiert nie gedruckte Zuschriften - Beispiele gibt es im Artikel zum Nachhören

Die besten nie gedruckten Briefe an die Redaktion gaben die Stadttheater-Schauspieler Steffen Gangloff (links) und Steffen Scheumann (rechts) zum Besten, die RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel (2.v.l.) aus den Zuschriften der vergangenen Jahren ausgewählt hatte. Einer davon gefiel Intendant Holger Schultze (3.v.l.) so gut, dass er ihn selbst vorlas. Foto: joe
Von Sebastian Riemer
Der Intendant schreit. Poltert. Er tobt. "Schach! Ist! Sport!", brüllt Holger Schultze in den vollen Saal seines Theaters. Der Hausherr kann sich gar nicht mehr beruhigen, grölt sich immer weiter in Rage: "Welch eine Geringschätzung und Anmaßung der RNZ! Sie haben von Schach keine Ahnung!" Und das Publikum? Brüllt ebenfalls. Vor Lachen.
Der Leserbrief "Schach ist Sport!!!" zum Nachhören.
Wohl das heiterste aller bisherigen RNZ-Foren erleben am Mittwochabend rund 300 Leser im Alten Saal des Heidelberger Theaters. Hinter dem harmlos klingenden Titel "Briefe an die Redaktion" (Youtube-Playlist) verbirgt sich jede Menge Zündstoff: wütende Zeilen und böse Beleidigungen, exzentrische Schreiben und witzige Schelte, überschwängliches Lob, aber auch nachdenklich stimmende Post. Nur eines ist allen Leserbriefen gemein: Sie sind nie gedruckt worden.
Der Leserbrief "Das Sonnig-Piktogramm" zum Nachhören.
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Holger Schultze, der mitten in der Kulisse des aktuellen Stücks "Stadt Land Flucht" gemeinsam mit RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel moderiert, lässt es sich nicht nehmen, seinen persönlichen Lieblingsbrief eines erbosten Schachfreundes, der seinen Verein in der RNZ nicht ausreichend gewürdigt sah, selbst vorzulesen. "Dieses Schreiben trägt poetisch-dadaistische Züge", so Schultze, dem selbst vor Lachen die Tränen in die Augen schießen. Alle anderen Briefe tragen die Ensemblemitglieder Steffen Gangloff und Steffen Scheumann vor - und schlüpfen dabei so überzeugend in die Rolle des jeweiligen Autors, dass es wirkt, als hätten sie selbst diese Zeilen verfasst.
Die Zuschrift "Ein unpassender Leserbrief" zum Nachhören.
"Wir bekommen jede Woche rund 300 Leserbriefe", sagt Klaus Welzel. Davon würden 15 bis 20 Prozent gedruckt - deutlich mehr als in den meisten anderen Zeitungen. "Grundsätzlich gilt: Wir freuen uns über jeden Brief." Manche aber könnten einfach nicht gedruckt werden, etwa weil sie zu beleidigend sind.
Der Leserbrief "Telefon-Billig-Vorwahlen" zum Nachhören.
"Nicht nur, dass ich Ihr Geschwätz jeden Samstag nicht ausstehen kann", beginnt zum Beispiel ein Brief an die Leiterin der Stadtredaktion, Ingrid Thoms-Hoffmann. Und es wird nicht netter: "Dazu strecken Sie mir auch noch ihr Gesicht entgegen. Das kann ich einfach nicht mehr ertragen." Nach einer Kunstpause liest Scheumann flehend weiter: "Ich bitte Sie, wenigstens das Bild zu entfernen." Der Saal tobt. Auch Thoms-Hoffmann lacht herzlich. Ihre Reaktion, als der Brief kam? "Ich habe dem Leser zurückgeschrieben, er solle doch künftig seine Kaffeetasse auf das Foto stellen." Sie gibt aber auch zu, dass persönliche Angriffe sie noch immer treffen. "Ich habe mir da in 46 Jahren als Redakteurin kein dickes Fell zugelegt."
Der "Befehl aus Berlin" zum Nachhören.
Kritik unter der Gürtellinie kennt auch Thoms-Hoffmanns Stellvertreter Micha Hörnle mit seinem - so eine Lesermeinung - "blöden, dumpfbackigen Geschreibsel". "Die meisten ehrverletzenden Kommentare", so Hörnle, "kommen bei in der Stadt umstrittenen Themen." Manchmal bewirke Leserkritik aber auch etwas, so Hörnle mit einem Augenzwinkern: "Ein Leser wies mir schlüssig nach, dass ich mein Handwerk bei der Berichterstattung über Verbrechen nicht verstehe - seitdem mache ich das einfach nicht mehr."
Der Leserbrief "Oettingers Entgleisung" zum Nachhören.
Feuilleton-Chef Volker Oesterreich hat als Theaterkritiker viel Erfahrung mit Leserbriefschreibern: "Kaum jemand schreibt, ich hätte ein Stück zu positiv rezensiert." Umso häufiger aber regten sich Leser über negative Artikel auf. Die vier Hauptvorwürfe: "Du hast geschlafen. Du liebst das Theater nicht. Du warst beleidigt. Du hast keine Ahnung." Aber er fühle sich eben dem Leser verpflichtet, "und da muss ich schon kritisieren, wenn etwas zu kritisieren ist". Da Kunst stets subjektiv wahrgenommen werde, seien solche Rückmeldungen schon in Ordnung.
Doch nicht alle Zuschriften kann man mit Humor nehmen. "Das letzte halbe Jahr war sehr hart", sagt Chefredakteur Welzel. Seit das Thema Flüchtlinge Dauerbrenner ist, spüle es einzelne Briefe in die Redaktion, die das Blut in den Adern gefrieren ließen. Mordfantasien, offener Rassismus, blanker Hass. "Ab in die Gaskammer", zitieren Gangloff und Scheumann aus mehreren Briefen. Totenstille im Publikum. Die Zuschauer sind schockiert.
Doch sind diese Hetzschriften noch immer vergleichsweise selten - gerade im Verhältnis zu Lob- und Dankesbriefen. "Was wäre mein Frühstück ohne Kommentar von Ihnen? Ziemlich langweilig!" Auch solche Briefe gibt es.
Und so ist Welzel am Ende des Abends eine Botschaft besonders wichtig: "Lassen Sie sich nicht abschrecken. Schreiben Sie uns!" Und verspricht: Eine Neuauflage des Abends sei möglich - in einigen Jahren. "Wir müssen jetzt erst wieder sammeln."
Hintergrund
Ein über 30 Jahre alter Leserbrief an die heutige Leiterin der Stadtredaktion Heidelberg, Ingrid Thoms-Hoffmann, den sie als einzigen aufbewahrt hat: "Bisher habe ich mir Sie immer als ältliche, keifende Xanthippe vorgestellt. Gestern durfte ich Sie im Festzelt auf dem
Ein über 30 Jahre alter Leserbrief an die heutige Leiterin der Stadtredaktion Heidelberg, Ingrid Thoms-Hoffmann, den sie als einzigen aufbewahrt hat: "Bisher habe ich mir Sie immer als ältliche, keifende Xanthippe vorgestellt. Gestern durfte ich Sie im Festzelt auf dem Mathaisemarkt aus nächster Nähe erleben - und war doch sehr überrascht und angenehm berührt. Sie sind eine durchaus ansehnliche junge Frau mit sympathischer Ausstrahlung. Aber warum müssen Sie dann immer so bösartige Kommentare schreiben?"
> Die Leiden eines Leserbriefschreibers: "Ihren Kommentar vom 1.12. hatte ich verlegt. Aber er ist leider wieder aufgetaucht. (...)"
> Ein Leser war mit einem Kommentar in der Zeitung nicht einverstanden: "Oder wie mein alter Lateinlehrer gesagt hat: "Si tacuisses" - und er hat es in Mundart übersetzt: "Hättsch besser die Gosch g’halde!"
> Die Auswahl der Wettersymbole brachte diesen Leser auf die Palme: "Was muss eigentlich noch passieren, dass ihre ,Wetterfrösche’ endlich mal das ,Sonnig’-Piktogramm bemühen? RNZ vom Mittwoch: ,Den ganzen Tag Sonnenschein und hochsommerliche Werte’ - und als Piktogramm eine Sonne, halb durch Wolken verdeckt. RNZ vom Donnerstag: ,Sonne satt’ - Piktogramm wie vorher."
> Dieser Leser hat aufgegeben: "Leserbriefschreiber finden sich schon hinreichend belohnt, wenn sie einmal, für alle sichtbar, zu Lebzeiten ihren Namen in der Zeitung gedruckt sehen. Bewirken können sie damit nichts."
> Aber auch solche Briefe erreichen die Redaktion: "Mit einem Blumengruß von meinem Balkon möchte ich danken für die Extrabeilage ,70 Jahre Rhein-Neckar-Zeitung’."