Oberbürgermeister Eckart Würzner: "Wir werden nicht grenzenlos weiterwachsen können"

Im zweiten und letzten Teil unseres Jahresinterviews geht es um Flüchtlinge in Heidelberg, die Zukunft von Patrick Henry Village und die Stadtentwicklung

28.12.2016 UPDATE: 29.12.2016 06:00 Uhr 4 Minuten, 21 Sekunden

Würzner verrät auch, was er von Angela Merkel hält - und was er sich in Zukunft von ihr wünscht. Foto: Philipp Rothe

Von Micha Hörnle und Sebastian Riemer

Heidelberg wächst, 13.000 Bewohner zogen in den vergangenen zehn Jahren in die Stadt. Gleichzeitig gingen 15.000 Amerikaner. Die Grenzen des Wachstums sind ein Thema im zweiten Teil des Interviews mit OB Eckart Würzner.

Bei unserem Gespräch vor einem Jahr standen die Flüchtlinge und das Registrierzentrum in Patrick Henry Village (PHV) im Zentrum. Nun hat das Land versprochen, PHV mittelfristig freizugeben. Wann rechnen Sie damit?

Zunächst will ich all denjenigen danken, die es ermöglicht haben, dass im vergangenen Jahr fast 100.000 Flüchtlinge in Heidelberg ankamen und von hier auf ganz Baden-Württemberg verteilt wurden. Sie wurden hier mit viel Toleranz, Offenheit und Herzlichkeit empfangen. Heute ist die Situation viel entspannter. Wir sind weiter bereit, dem Land PHV zur Verfügung zu stellen, bis unsere Planungen für diese große Entwicklungsfläche abgeschlossen sind. Ich schlage dem Gemeinderat im Frühjahr vor, den Mietvertrag um ein Jahr zu verlängern.

Kern der städtischen Flüchtlingsunterbringung war die dezentrale Verteilung unter der Devise: "Jeder Stadtteil macht mit." Wenn jetzt nur drei neue Unterkünfte - in Ziegelhausen, Handschuhsheim und Rohrbach - entstehen, entspricht das überhaupt noch diesem Konzept?

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Ja. Denn wir haben die Pläne für Unterkünfte in anderen Stadtteilen in der Schublade. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Flüchtlingszahlen weiter dramatisch zurückgehen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, wenn sich die Lage wieder verschärft.

Sozialbürgermeister Joachim Gerner brachte die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen ins Spiel. Ist das eine Option, wenn Heidelberg wegen PHV weiterhin von der Zuweisung von Flüchtlingen befreit bleibt?

Ganz Deutschland nimmt freiwillig mehr Flüchtlinge auf, wir auch. So tun wir auch viel im Bereich der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge. Aber wir können nicht alles stemmen, das würde uns überfordern.

Nicht nur die Flüchtlinge brauchen Wohnungen. Selbst wenn die Bahnstadt und die Konversionsflächen voll entwickelt sind, braucht Heidelberg immer noch neuen Wohnraum. Wo soll der entstehen? Muss man nachverdichten, Felder opfern oder in die Höhe bauen?

In den letzten zehn Jahren wuchs Heidelberg um 13.000 Einwohner. Gleichzeitig zogen aber 15.000 Amerikaner weg, die in den Statistiken gar nicht auftauchen. Im Moment füllen die Zuzüge die leeren Stadtquartiere auf. Wir müssen in der ganzen Stadt schauen, wo es noch Kapazitäten gibt. So bin ich dafür, Patrick Henry Village etwas größer zu denken, damit es auch als Stadtteil eigenständig werden kann. Wir sollten aber nicht zu sehr über die Konversionsflächen hinaus wachsen.

Sehen Sie eine Grenze, an der die Stadt nicht mehr weiterwachsen kann?

Wir werden nicht grenzenlos weiterwachsen und uns auf Kosten der Landwirtschaft oder der Natur ausdehnen können. Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht für alle Wohnraum bieten können, die hier gern wohnen möchten. Wir brauchen außerdem auch eine Entwicklungsperspektive für die Universität.

Auch ins Handschuhsheimer Feld?

Das muss man diskutieren. Die Entwicklung sollte da stattfinden, wo sie am sinnvollsten ist. Man muss auch darüber reden, was aus landwirtschaftlichen Flächen wird, die nicht genutzt werden, weil sie nicht so ertragreich sind. Das heißt natürlich nicht, gleich größere Flächen des Handschuhsheimer Feldes zu bebauen. Wir müssen hier verschiedene Funktionen abwägen, da erwarte ich ein konstruktives Miteinander.

Mit der Entwicklung Heidelbergs beschäftigt sich auch die Internationale Bauausstellung. Vor einem Jahr waren sie nicht zufrieden mit der IBA. Hat sich das inzwischen geändert?

Ja, die IBA hat sich sehr positiv entwickelt. Jetzt geht es um Visionen für Patrick Henry Village als "Wissensstadt der Zukunft" - mit tollen Konzepten von Stadtplanern, die neue Formen des Wohnens und Arbeitens ausprobieren wollen. Und viele IBA-Projekte nehmen ja auch Gestalt an - wie der Energiespeicher im Pfaffengrund oder das "Grüne Band des Wissens" in der Südstadt, für das wir dank der IBA sechs Millionen Euro einwerben konnten.

Bei den IBA-Bürgerforen befürchten viele Heidelberger, dass die kühnen Visionen am Ende auf "Heidelberg-Maß" zurechtgestutzt werden. Sind Sie bereit, einen richtig großen Wurf auf PHV zu unterstützen?

Ich bin da ganz offen. Mir gefällt der Ansatz, dass man zu Beginn eines Projektes mal die Fachplaner weglässt und vor allem junge Menschen fragt, wie sie sich die Stadt der Zukunft vorstellen - denn sie müssen ja in ihr leben, nicht wir.

In diesem Jahr fiel endlich die Entscheidung, wo das neue Konferenzzentrum gebaut werden soll. Wie wollen Sie sicherstellen, dass es ein architektonischer Hingucker wird?

Wir haben uns nach dem Bürgerentscheid von 2010 viel Zeit genommen. Mittlerweile gehört uns die Fläche hinter dem Hauptbahnhof, und jetzt wollen wir unsere Anforderungen an ein modernes Konferenzzentrum definieren. Maßgabe bleibt, dass hier etwas gebaut wird, das aufhorchen lässt. Jetzt sollen die Architekten ihre Ideen entwickeln - und die beste möge gewinnen.

Sie haben in diesem Jahr ihren sechsten Haushalt eingebracht. Er enthält viel Pflicht und wenig Kür, finden Sie nicht?

Das mag auf den ersten Blick so aussehen, aber wir gehen unseren bisherigen Weg konsequent weiter: Wir setzen auf Bildung, Bildung, Bildung! Dafür geben wir jeden fünften Euro aus. In diesem Bereich müssen wir stark bleiben, damit kein Kind zurückgelassen wird. Das mag sich alles nicht so spannend anhören, ist aber für mich das Wichtigste.

Was halten Sie von dem vorgeschlagenen Drei-Säulen-Modell der SPD in Sachen Kulturförderung?

Wir haben schon in der Vergangenheit klare kulturpolitische Schwerpunkte gesetzt. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir bei manchen Ausgaben, etwa bei der freien Kulturszene, nicht überziehen. Daher finde ich eine Diskussion über eine Nachjustierung begrüßenswert.

Bisher galt doch bei der Kulturförderung eher ein Gießkannenprinzip. Hätte nicht auch die Stadtverwaltung auf solch eine Reform kommen können?

Das sehe ich anders - sonst hätte der Gemeinderat bei seinen Haushaltsberatungen in den vergangenen Jahren ja komplett danebengelegen. Wir fördern ja enorm viel: Andere Städte unserer Größenordnung geben im Jahr 80 Euro pro Einwohner für Kultur aus, in Heidelberg sind es 220 Euro. Neue Kulturprojekte müssen dennoch förderfähig bleiben.

Nächstes Jahr wird der Bundestag neu gewählt. Wie sieht Ihre Wunschregierung aus?

Mein großer Wunsch ist das, was wir in Heidelberg zum Gutteil erreicht haben: dass nicht Angst die Politik steuert und dass das Vertrauen in die Politik und ihre Vertreter wieder stärker wird. Die große Verunsicherung im Moment führt dazu, dass sich viele Bürger umorientieren und nach einfachen und schnellen Lösungen suchen. Da dürfen wir nicht nur mit Fakten dagegenhalten, sondern müssen Stadtpolitik noch konkreter erlebbar machen. Dazu gehört auch, dass wir wieder mehr den direkten Dialog mit den Bürgern suchen.

Würden Sie es begrüßen, wenn Angela Merkel weiter Bundeskanzlerin bliebe?

Sie ist eine Politikerin, die es geschafft hat, eine klare Position beizubehalten. Sie hat viel für Europa erreicht. Aber auch hier gilt: Ich würde mir wünschen, dass sie noch häufiger den offenen Diskurs mit den Bürgern sucht. Also raus aus den geschlossenen Veranstaltungen und auf die Marktplätze!

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