Erkenntnisse der Pathologen bestimmen die Therapie von Krebs
Prof. Peter Schirmacher bei "Medizin am Abend" - "Wir sind der Motor der Molekularmedizin"

Der Hörsaal der Kopfklinik ist von Anfang an der Raum für die Reihe "Medizin am Abend". Diesmal, bei der 40. Veranstaltung, sprach Prof. Peter Schirmacher, Geschäftsführender Direktor des Pathologischen Instituts. Foto: Alfred Gerold
Von Birgit Sommer
Jetzt wissen auch die Zuhörer von "Medizin am Abend": Die Kopfklinik im Neuenheimer Feld ist sanierungsbedürftig. Die Mikrofonanlage fiel nämlich aus, und es scheint unsicher zu sein, ob man sie jemals wieder stabil zum Laufen bekommt. Professor Peter Schirmacher, der Chef der Pathologie, ist wohl heiser, denn er musste seinen Vortrag "Präzisionsmedizin gegen Krebs" dem Publikum mit seiner Naturstimme rüberbringen.
Auch am knallheißen Mittwochabend war die Veranstaltungsreihe von Uniklinikum und RNZ so attraktiv, dass sich der Hörsaal der Kopfklinik einigermaßen füllte. Das Thema allerdings erwies sich als ziemlich wissenschaftlich durchdrungen. Kein Wunder, wenn es bei der Krebszelle zum Beispiel 300 therapeutisch entscheidende Genveränderungen gibt, die die Pathologen identifizieren sollen. Und zwar aus immer weniger Material, das ihnen dafür zur Verfügung steht, denn die Chirurgen entnehmen Gewebeproben sehr patientenschonend. Nur fünf bis zehn Nanogramm Tumor-DNA (DNA = Träger der Erbinformation) stehen laut Prof. Schirmacher da schon mal für eine Untersuchung zur Verfügung. Damit die Untersuchungen überhaupt laufen können und das Material später gespeichert werden kann, braucht die Pathologie eine riesige Infrastruktur sowie Bioinformatiker und Datenbankspezialisten.
Schon die Zahlen sind beeindruckend, die Schirmacher vortrug: Mit 300 Mitarbeitern, die jährlich 80.000 Präparate aus 20 Krankenhäusern verarbeiten, ist das Heidelberger Institut eines der größten in Europa. Auch Forschung gehört dazu: Die Heidelberger sind in 20 Forschungsverbünden und bauen jetzt mit 13 Millionen Euro Förderung ein Zentrum für Leberkrebsforschung auf.
Die Pathologen arbeiten - anders als die Rechtsmediziner - hauptsächlich an Material vom lebenden Menschen. Sie definieren eine Krankheit exakt, ehe diese sinnvoll therapiert werden kann. Sie bekommen Biopsien, OP-Präparate und manchmal auch Schnellschnitte ins Haus, die noch während einer Operation untersucht werden müssen. "Der Aufwand steigt gewaltig, weil immer differenzierter gearbeitet werden muss", sagte Schirmacher und schilderte, wie ein Präparat vermessen, beschrieben, in Paraffin überführt, in dünne, transparente Scheiben geschnitten und gefärbt wird. Viele Millionen solcher Schnittpräparate lagern 30 Jahre lang in der Heidelberger Pathologie und stehen auch für Vergleiche zur Verfügung.
Prof. Schirmacher beschrieb, wie Tumoren typisiert werden und wie die Präzisionsonkologie heute arbeitet, um herauszufinden, welches Medikament welchem Patienten nützen wird. Immerhin sind die modernen Arzneimittel wahnsinnig teuer und sollten nicht bei Patienten eingesetzt werden, bei denen sie nicht wirken können, aber möglicherweise Nebenwirkungen haben. Auch Resistenzen, die ein Tumor schon ausgebildet hat, können so rechtzeitig erkannt werden. In diesem Fall bietet der Tumor aufgrund von Mutationen keine Angriffspunkte mehr. Und das, so der Experte auf die Frage eines Zuhörers, könne auch der Grund dafür sein, dass wiederauftretende Tumoren aggressiver sind als der ursprüngliche Krebs.
Schirmacher berichtete von den neuen Immuntherapien, mit deren Hilfe die Immunzellen des Körpers Tumorzellen erkennen und bekämpfen können: "Ein cleveres und erfolgreiches Prinzip", sagte er. Es verzeichne bei vielen Patienten nachhaltigen Erfolg, etwa bei Hodgkin-Erkrankungen, nicht jedoch beispielsweise bei Eierstockkrebs..
Auf welche Schwierigkeiten die Mediziner treffen, konnte er nur andeuten: Die gleichen Antikörper von unterschiedlichen Herstellern, die ausgewertet werden müssen, neue diagnostische Technologien und Geräte, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen - und auch das kommerzielle Interesse weltweit an diesem Milliardenmarkt. Der Molekulardiagnostik durch Firmen erteilte der Molekularbiologe eine Absage: Die Daten verschwänden in privaten Datenbanken.
Als zentrale Leistung der Krebsmedizin in Deutschland bezeichnete Peter Schirmacher die Einrichtung von Tumorboards. Das bedeutet, dass verschiedene medizinische Disziplinen an einem Tisch sitzen, um für jeden Patienten die genau richtige Therapie festzulegen. Und dafür braucht man die Pathologen: "Wir sind diejenigen, die neue Erkenntnisse in die Medizin hineinbringen wollen", sagte er, "wir sind der Motor der molekularen Medizin".