Jetzt nimmt sich Stararchitekt Winy Maas Heidelberg vor
Maas ist im IBA-Team zur Entwicklung einer Vision für das Patrick Henry Village – Am vergangenen Dienstagabend präsentierte er seine Projekte und Ideen

Eine Markthalle mit Wohnungen: Winy Maas’ ungewöhnlicher Bau in Rotterdam hat weltweit Wellen geschlagen. Foto: Scagliola & Brakkee
Von Sebastian Riemer
Steht da ein Irrer oder ein Visionär? Skeptisch lächelnd reagieren manche Zuhörer in der Chapel des Mark Twain Village auf die Entwürfe, die Winy Maas zeigt. Doch der niederländische Stadtplaner und Architekt ist keins von beidem - er ist ein Macher. Beweis? Kein Problem. Der 57-Jährige wirft die Markthalle von Rotterdam an die Wand. Ein real existierendes Gebäude, derart kühn, dass sich kaum jemand eine Diskussion darüber im Heidelberger Gemeinderat ausmalen möchte.
Der Internationalen Bauausstellung (IBA) ist es zu verdanken, dass dieser Mann, dessen Leidenschaft für Städte auch den provinziellsten Phlegmatiker mitreißen dürfte, nun an der Zukunftsvision für Patrick Henry Village (PHV) mitarbeiten wird. Sein Vortrag am Dienstagabend war zugleich Auftakt des Workshops der PHV-Arbeitsgruppe "Wissenschaft und Wirtschaft". "Es funktioniert", sagt Maas immer wieder. "So ein Konzept wie diese Markthalle ist machbar in zwei Stunden", behauptet er. "Morgen machen wir so etwas für Heidelberg!" Doch Maas will sich nicht selbst kopieren. Er sucht das "Spezialistische" jeder Stadt, wie er in schönstem Niederländer-Deutsch sagt. Für den Medizinstandort Heidelberg könne das etwa die "gesunde Stadt" sein. Stichwort: "Wie gestalten wir Mobilität, damit die Leute weniger Herzprobleme haben?"
Hintergrund
Die Projekte des Winy Maas
Die "Markthal" in Rotterdam
Die hufeisenförmige Markthalle in Rotterdam ist der erste komplett überdachte Lebensmittelmarkt in den Niederlanden. Neben Marktständen, Läden und Restaurants gibt es in dem rundum gläsernen Bau auch rund
Die Projekte des Winy Maas
Die "Markthal" in Rotterdam
Die hufeisenförmige Markthalle in Rotterdam ist der erste komplett überdachte Lebensmittelmarkt in den Niederlanden. Neben Marktständen, Läden und Restaurants gibt es in dem rundum gläsernen Bau auch rund 250 Wohnungen. Der Clou: Die Bewohner können durch Fenster und durchsichtige Bodenelemente (!) in ihren Wohnungen das Treiben in der Halle beobachten. "Hier vermischen sich das Öffentliche und das Private", so die Idee von Winy Maas und seinem Architekturbüro MVRDV. Das Gebäude ist 120 Meter lang, 70 Meter breit und misst am höchsten Punkt des Bogens 40 Meter. An der Decke prangt ein 11 000 Quadratmeter großes, eigens entworfenes Kunstwerk, das riesige Früchte, Insekten, Fische und Gemüse zeigt. Drei Wochen, nachdem Königin Maxima die "Markthal" im Oktober 2014 offiziell eröffnet hatte, hatten bereits eine Million Besucher den Wahnsinnsbau besucht. Bemerkenswert: Mit fünf Jahren Bauzeit und 175 Millionen Euro Baukosten blieb man genau im Plan. rie
"What’s next?", fragt Maas unablässig: "Was kommt als Nächstes?" Er scheint stets zwei Schritte weiter als die anderen - im Städtebau sind das dann gerne mal zwei Jahrzehnte. Während die ganze Welt noch über den Klimawandel diskutiert, fragt Maas schon: "Und wie bauen wir unsere Städte, wenn das CO2-Problem gelöst ist?" In atemberaubendem Tempo klickt er sich durch die weltweiten Projekte seines Architekturbüros MVRDV: die fertigen, die geplanten - und die, zu denen er die Politik (und manchmal auch die Bürger) noch überreden muss.
Diplomatisch ist Maas nicht: "Ekelhaft", findet er vieles in Europas Städten, und immer wieder geißelt er die Entscheidungen von Planern oder Politikern: "Das ist so dumm!" Dass jede Straße in Deutschland mindestens 13 Meter breit sei: "Das ist so dumm!" Man käme kaum von einer auf die andere Seite, sehe seine Nachbarn nicht mehr.
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Städte brauchen Dichte, ist Maas überzeugt. "Dann gibt es mehr Interaktion, mehr Symbiose." Zugleich setzt er auf Freiraum, das ist bei ihm kein Widerspruch. Das niederländische Almere (direkt neben Amsterdam) etwa will er "reparieren", wie er sagt, indem er es in fünf Gartenstädte unterteilt - inklusive einer Art Atlantis im Ijselmeer. Anlässlich der Floriade 2022, dem niederländischen Pendant zur Bundesgartenschau, soll so die grünste Stadt der Welt entstehen. Die Leute in der Chapel müssen lachen über manche Bilder, die an einen Dschungel erinnern, nicht an eine Stadt. Doch Maas meint das ernst: "Sie sagen jetzt: Ja, ja, ja. Aber das funktioniert."
Mannheim hat Maas schon mit seinem realistischen Wahnsinn infiziert. Für die Entwicklung der Ex-US-Wohnsiedlung Benjamin Franklin Village im Stadtteil Käfertal (mit 144 Hektar über 40 Hektar größer als PHV) plant er eine Europa-Achse, welche die Siedlung aufschneidet wie Damien Hirst einst seine Kühe. Vier Hochhäuser in Form der Buchstaben des Wortes "HOME" will er bauen, zudem einen riesigen grünen Hügel, in dem Restaurants, Supermärkte und andere Läden unterkommen. Damit will er der "Lidlfizierung" der europäischen Stadt entgegentreten - also dem immer gleichen, hässlich-funktionalen Supermarkt mit Parkplatz an der Peripherie.
Heidelberg darf gespannt sein auf die Ideen von Winy Maas. Schade nur, dass er mit der IBA erst einmal nur über PHV nachdenken darf. Man würde zu gerne wissen, was diesem Mann zum Thema "Stadt an den Fluss" einfällt. Oder zum Konferenzzentrum. Oder zur Altstadt …