In Handschuhsheim stand einst Europas größte Füllfederhalter-Fabrik

Kaweco hatte in der Dossenheimer Landstraße 98 seinen Sitz – Als die Firma Konkurs anmelden musste, nahmen die Mitarbeiter alles mit, was sie tragen konnten

05.12.2016 UPDATE: 06.12.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde

In der ehemaligen Kaweco-Füllfederhalterfabrik in der Dossenheimer Landstraße 98 befindet sich heute das Modekaufhaus Niebel. Foto: Katzenberger-Ruf

Heidelberg-Handschuhsheim. (tt) Es war der Grundstein für eine boomende Branche: Vor 133 Jahren, im Jahr 1883, wurde die Federhalterfabrik Luce und Enßlen gegründet. 1899 zog sie in die Dossenheimer Landstraße 31 um. Zur Jahrhundertwende waren dort auch die beiden Kaufleute Otto Koch und Rudolph Weber beschäftigt. Ab 1903 hieß die Firma dann Kaweco - die nicht ganz stimmige Abkürzung für Koch, Weber und Companie - benannt nach Koch und Weber. Sie sorgten dafür, dass das Handschuhsheimer Unternehmen Weltruf erlangte. Zunächst produzierte man lediglich Holzfederhalter und Tintenlöscher. Doch mit der Zeit wuchs die Firma immer weiter, es wurde an- und umgebaut. Schließlich errichtete man eine neue Fabrik - damals die größte in Europa - auf dem Gelände der Dossenheimer Landstraße 98, in dem heute das Modegeschäft Niebel seinen Sitz hat.

Mit der Zeit änderte sich auch das Material: Statt Holz wurde nun Hartgummi verwendet, später wurden Teile der Füllerkappe und des Schaftes aus brennbarem Zelluloid hergestellt, ein Stoff, den es in vielen Farben und Marmorierungen gab. Neben der Produktion von Füllern importierte Kaweco in den Anfangsjahren auch Schreibgeräte der Firma Parker aus den Vereinigten Staaten. Schließlich wurden in Heidelberg von rund 1200 Mitarbeitern Pipetten- und Kolbenfüller produziert, 1912 kam der patentierte Sicherheits-Füllfederhalter hinzu. Gleichzeitig begann man mit der Produktion von Federn, die man bis dato auch aus Amerika importiert hatte.

Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges spürte auch die Firma Kaweco, zurückgehende Exporte und der Niedergang der deutschen Wirtschaft durch die Inflation taten ihr übriges. Das Unternehmen geriet in eine finanzielle Schieflage, von der es sich nicht mehr erholen konnte. Auch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Anfang der 20er Jahre konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten: 1927/28 musste Kaweco Konkurs anmelden. Weil noch viele Arbeitergehälter ausstanden, sollen sich nach der Bekanntgabe des Konkurses unwirkliche Szenen in Handschuhsheim abgespielt haben: Die Arbeiter nahmen aus der Fabrik mit, was sie tragen konnten. Viele nutzten das Material oder die Maschinen, um sich in ihren Wohnungen oder in kleinen Hinterhofwerkstätten selbst-ständig zu machen. Nach dem Niedergang von Kaweco entstanden so in Heidelberg und der Umgebung rund 40 neue Hersteller von Füllern.

1929 kaufte dann die Badische Füllfederfabrik Knust, Grube und Woringen das südliche Kaweco-Gebäude sowie die Markenrechte des weltweit bekannten Unternehmens. In den 30er Jahren konnte die Firma mit neuen Modellen verloren gegangene Märkte zurückerobern. Die Produkte waren nach den Leitlinien von Parker produziert und wurden zu 70 Prozent exportiert. 1931 schließlich zog die Firma nach Wiesloch und musste auch dort etliche Tiefschläge hinnehmen. Bis 1996 war sie im Besitz der Markenrechte, auch wenn in den letzten Jahren nur noch Schreibgeräte vertrieben und nicht mehr produziert wurden. Nach dem Aus für die Firma kaufte ein Geschäftsmann aus Nürnberg die Kaweco-Rechte, er produziert heute wieder die Klassiker von damals wie den "Kaweco Sport".

Das Gebäude in der Dossenheimer Landstraße 98 wurde 1931 an die Firma Hebborn aus Köln veräußert, die dort seit 1925 Schreibgeräte herstellte. In der "Heidelberger Füllhalterfabrik" produzierte man Füller der Marke "Luxor", 1938 wurde der Firmensitz von Köln an den Neckar verlegt. Seinen Anteil daran hatte der ehemalige Kaweco-Mitarbeiter Heinrich Schlicksupp, der mit Hebborn eine Partnerschaft einging. Nach dem Siegeszug der Kugelschreiber Mitte der 50er Jahre begann Hebborn als einer der ersten Produzenten mit der Herstellung von Kugelschreiberminen. 1965 wurde dieser Zweig aus Kostengründen wieder eingestellt. Das Ende der Firma kam 1970, als Hebborn an eine Firma aus Baden-Baden übergeben wurde, die zu Parker gehörte. Parker schloss 1976 das Heidelberger Werk dann endgültig.

Auch interessant
: Heidelberg: Handschuhsheim bekommt ein Füllfederhalter-Museum
: Der Füllfederhalter bekommt sein eigenes Museum

Der wohl erfolgreichste Kaweco-Aussteiger ist aber wohl Philipp Mutschler, der nach dem Rückzug von Hebborn als letzter am Standort Handschuhsheim Füller produzierte. Seit 1928 waren seine Schreibgeräte unter dem Markennamen "Certo" bekannt. Diese Bezeichnung wurde Ende der 50er Jahre durch den Begriff "Reform" abgelöst - zuvor hatte Mutschler die gleichnamige Füllhalterfabrik übernommen. Nach der Übernahme des Betriebs durch Mutschlers Söhne Otto und Peter 1963 errichtete man 1983/84 einen Neubau im Handschuhsheimer Gewerbegebiet "Im Weiher". Schon in den 50er Jahren hatte man bei Mutschler auf das Kunststoff-Spritzgussverfahren für Füllerschäfte umgestellt. Bekannte Unternehmen wie Geha, Herlitz und Rotring ließen bei Mutschler fertigen.

In den 90er Jahren geriet das Unternehmen durch die schlechte Wirtschaftslage in Schwierigkeiten. Als problematisch erwies sich auch die Marktausrichtung auf die Massenproduktion, die einem ständig wachsenden Preisdruck ausgesetzt war. Nach einigen Sanierungsversuchen blieb dem Unternehmen schließlich am 14. April 2004 nicht anderes übrig, als Insolvenz anzumelden.

Die Tradition der Schreibgerätefertigung hält heute nur noch die Firma Lamy in Wieblingen aufrecht. Am einzigen Standort des Unternehmens werden dort pro Jahr rund sieben Millionen Schreibgeräte für die ganze Welt produziert. Angefangen hat der Unternehmensgründer C. Josef Lamy als Exportmanager für Parker, er gründete dann 1930 die Orthos-Füllfederhalter-Fabrik. Neun Jahre später wurde die Peter Bock AG gegründet, die bis heute Federn aus Edelmetallen für Füllfederhalter herstellt - in Handschuhsheim.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.