Immer mehr Kinder brauchen Schutz im Childhood Haus
Fachtagung zum fünfjährigen Bestehen der Einrichtung. Die Fallzahlen nehmen stetig zu, die Dunkelziffer ist hoch. Die Finanzierung ist ab Januar nicht gesichert.

Von Gaby Booth
Heidelberg. Vor fünf Jahren kam Schwedens Königin Silvia persönlich zur Eröffnung des Heidelberger "Childhood-Hauses", diesmal war sie per Video in den Hörsaal der Kinderklinik zugeschaltet. Es sei ihr ein großes Bedürfnis, die Arbeit des interdisziplinären Teams auf diesem Weg zu würdigen und zu loben, sagte sie. Im "Childhood Haus" kümmern sich Mediziner, Sozialarbeiter, und Psychologen um Kinder und Jugendliche, die Schlimmes erlebt haben: sexualisierte und körperliche Gewalt.
In dieser ambulanten Einrichtung sollen ihre traumatischen Erlebnisse so gut wie möglich aufgearbeitet werden. Dass es diese Anlaufstelle überhaupt gibt, ist dem königlichen Engagement zu verdanken. Am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums ist die Institution angesiedelt, zum fünfjährigen Bestehen wurde in einer Fachtagung Bilanz gezogen und ein Blick in die Zukunft geworfen.
Die Einrichtung ist notwendiger denn je, die Fallzahlen nehmen stetig zu. In den Jahren 2021 und 2022 waren es jeweils 105 Kinderschutzfälle, die von dem Team betreut wurden, im vergangenen Jahr 144 Fälle. "Im Jahr 2024 werden wir voraussichtlich mehr als 150 Kinderschutzfälle betreuen", stellt Dr. Stephanie Karch, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Leiterin des Childhood Hauses, bedauernd fest.
Tatsächlich liegen die Zahlen noch viel höher, die Fachleute vermuten ein erschreckend hohes Dunkelfeld. "Sie können davon ausgehen, dass in Deutschland statistisch gesehen in jedem Klassenzimmer ein bis zwei Kinder sitzen, die betroffen sind", schätzt Dr. Astrid Helling-Bakki, Vorstandsmitglied der World Childhood Foundation. In Deutschland seien etwa eine Million Kinder sexualisierter Gewalt ausgesetzt, weltweit eine Milliarde.
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Nach Leipzig war Heidelberg die zweite Stadt in Deutschland, die ein Schutzzentrum für Kinder und Jugendliche nach skandinavischem Vorbild eröffnete. Neben Heidelberg gibt es in Baden-Württemberg nur noch im Ortenau Klinikum in Offenburg ein "Childhood Haus". Allerdings ist die Finanzierung der Heidelberger Einrichtung für das kommende Jahr noch ungeklärt.
Es liegt keine Zusage aus dem Stuttgarter Ministerium für Soziales und Gesundheit für die Übernahme der Personalkosten ab Januar vor. "Es gibt den überparteilichen Willen, bei den Kindern und Jugendlichen nicht zu sparen", sagte CDU-Stadtrat Matthias Kutsch, der Oberbürgermeister Eckart Würzner bei der Fachtagung vertrat. Allerdings fehle der gesetzliche Anspruch, um die Einrichtung dauerhaft zu sichern.
Auch Prof. Dr. Friedrich Hoffmann, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Uni-Klinikum, hielt fest: "Wir müssen wegkommen von der Projektförderung."
Es gäbe niemanden, der daran zweifelt, dass mehr für das Kindeswohl getan werden müsse, allerdings fehle der gesetzliche Anspruch für eine nachhaltige Finanzierung, war man sich einig. Und: Es mangelt in Deutschland im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern an einer Anzeigepflicht, wenn Kinder Opfer von physischer oder psychischer Gewalt werden.
Dass die Zahlen im Heidelberger "Childhood-Haus" seit Eröffnung vor fünf Jahren stetig gestiegen sind, führt Leiterin Karch auf eine regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit zurück. Etwa ein Viertel der Zuweisungen im Jahr 2023 kamen aus Kliniken und Arztpraxen, ein weiteres Viertel von Eltern und Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie etwa 40 Prozent von Jugendämtern und Beratungsstellen.
"Es ist ein unfaires Spiel", beschreibt Astrid Helling-Bakki den Befragungs- und Ermittlungsmarathon, den Kinder und Jugendliche durchmachen müssen, wenn ein Fall aufgeklärt werden soll. Groß sei die Gefahr einer Retraumatisierung für die Betroffenen, wenn der Prozess aus medizinischen und forensischen Untersuchungen, kriminalpolizeilichen Befragungen und Aussagen vor Gericht beginnt.
Im "Childhood Haus" versucht das speziell ausgebildete ärztliche Team diesen Prozess abzumildern – in freundlich und wohnlich eingerichteten Räumen. Die Befragungen und Untersuchungen werden so kindgerecht und sensibel wie möglich durchgeführt.
Sozialpädagoginnen und Psychologinnen beraten und begleiten die Betroffenen und ihre Angehörigen durch die strafrechtlich relevanten Ermittlungsverfahren. "Das ist nicht immer einfach, manchmal sind die Kinder zu klein, können sich nicht artikulieren oder erinnern", so Astrid Helling-Bakki von der Childhood Foundation. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kooperationspartnern aus Rechtsmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendamt, Polizei und Justiz bewährt und in der Routine auch bezahlt gemacht, so die erste Bilanz. Man sei in der Lage, auch komplexe Fälle umfassend zu begleiten.
Das Einzugsgebiet umfasst im Wesentlichen die Stadt Heidelberg, den Rhein-Neckar-Kreis und den Neckar-Odenwald-Kreis. Einzelne Fälle aus dem Stadtgebiet Mannheim, die von Einrichtungen wie der Kinderklinik, dem Jugendamt oder der Kriminalpolizei zugewiesen werden, werden auch von Heidelberg aus betreut. Hier arbeiten zwei Ärztinnen, eine Psychologin und zwei Sozialpädagoginnen, die sich in Fort- und Weiterbildungen auf Kinderschutz spezialisiert haben.
Dr. Karch sagt: "Neben der interdisziplinären Fachkompetenz ist vor allem die enge und gute Zusammenarbeit mit den beteiligten Einrichtungen und Institutionen eine wichtige Voraussetzung für den Schutz der Kinder. Unser Ziel ist die Arbeit aller beteiligten Einrichtungen, von der Medizin über das Jugendamt bis zur Polizei und Staatsanwaltschaft, so gut es geht nach den Bedürfnissen der Kinder auszurichten."