Heidelberger Sternengala fast ohne Stars, aber mit Conchita

Schwulen-Ikone Georgette Dee musste krankheitsbedingt absagen, dann musste die Aids-Hilfe improvisieren - Finale im Heidelberger Stadttheater mit "Wurst"-Double

29.11.2015 UPDATE: 30.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 9 Sekunden

Der koreanische Countertenor Kangmin Justin Kim schlüpfte bei der Sternengala in die Rolle einer Operndiva. Foto: Rothe

Von Daniela Biehl

Es war am Samstagmorgen um 10 Uhr, da erfuhr das Team der Sternengala: Georgette Dee ist krank. Dabei hatte man sich schon ungemein auf die "Göttliche", die Diva gefreut. Und schon am Tag zuvor hatte ein Comedy-Duo aus Berlin, "ASS-Dur", abgesagt.

Was also tun? So acht Stunden vor Beginn des bunten Abends im Theater Heidelberg, dessen Erlös an die Aids-Hilfe geht, und der in diesem Jahr ein kleines Jubiläum, das zehnte, feiert. Das sollte immerhin etwas Besonderes werden: Denn man ist stolz auf das, was man über die Jahre aufgebaut hat. Wie Aids-Hilfe in die Stadt hineinwirkt - und wie die Stadtgesellschaft sie trägt.

Nun musste man improvisieren: Wolfgang Erichson, Bürgermeister für Integration und Chancengleichheit, arrangierte einen Überraschungsgast. Das Moderationsduo, die Musikkabarettisten Vanessa Maurischat und Holger Edmaier, riefen zwei Sängerinnen an - und sie kamen, setzten sich mittags für fünf Stunden in den Zug. Weil sie da sein wollten: Schließlich setzen solche Abende auch immer ein Zeichen gegen Stigmatisierung und Ausgrenzungen. Und die Zuschauer, die hätten das Spontan-Improvisierte ohne einen Blick ins Programmheft wohl kaum bemerkt.

Denn als der Vorhang aufging, sang da mancher so prunkvoll in Szene gesetzt, dass man einfach an ihm hängen blieb. Andere rissen das Publikum in einer Folge von spektakulären Inszenierungen mit sich, etwa das Artistic Showteam der KTG Heidelberg. Oder es plauschten charmant Hausherr und Intendant Holger Schultze mit dem Schirmherrn des Abends, Wolfgang Marguerre.

Und da Georgette Dee jetzt nicht da war, musste doch irgendwer das Divenhafte, das Trinken und Scherzen, sonst die Domäne Dees, ersetzen - Maurischat musste ran. Immerhin hatte Schultze ganz spitzbübisch gerufen: "Das Theater ist ein Haus für Alkoholiker und Diven" - und so eine mimte gekonnt der koreanische Countertenor Kangmin Justin Kim.

"Watt’n Skandal", hätte die Ostfriesin Annie Heger wohl dazu gesagt, so zumindest der Name ihres Musikkabarettprogramms auf Platt. Auch sie war spontan gekommen - und berichtete von ihrer gnadenlos unterschätzten Heimat im Norden. Über ihr Leben, das Absurde dort philosophiert Heger eine Weile. Dann plötzlich wurde sie leise: Ihre Tante sei Schulleiterin im Westen gewesen, hätte mal einen Ballon fliegen lassen, mit Kärtchen und Adresse, erzählt sie. "Der ist in der DDR gelandet."

Eine Frau, ihrer Tante im Charakter ziemlich ähnlich, hatte ihn gefunden und einen Brief geschrieben - eine Freundschaft entstand, die bis heute hält. "Um solche Freundschaften zu erhalten, müssen wir Grenzen überwinden, die wir in uns tragen. Gerade heute", sagt Heger. Denn: Man sei eigentlich immer Mensch und nicht das, was die Norm, die Grenzen, mit einem machen. Den passenden Soundtrack singt sie auch dazu: "Ich bin Mensch zu 100 Prozent. Ich bin Mensch, egal wie man mich nennt."

Selbst für die von der Ballettchefin Nanine Linning inszenierten Roboter scheint das zu gelten. Als ihre Choreografie begann, lag die Bühne im Halbdunkeln. Und alles wirkte irgendwie düster. Im Scheinwerferlicht: Roboter, die das Leben für sich entdeckten und all die anderen finden: die Toten. Und sie dann erwecken. Das Publikum hielt den Atem an.

Und auch ohne Georgette Dee: Beim großen Finale war niemand enttäuscht. Da kam ein Überraschungsgast, geheimnisvoll aus dem Bühnennebel aufsteigend. Conchita, der Mann mit Bart, mit wallenden Haaren - im traumhaften Kleid. Doch war es die Echte? Dem Publikum war das sozusagen Wurst. Man jubelte. Man sang. Und wer es auf der Bühne verstand, 500 Menschen in den Bann zu ziehen, das blieb ein Geheimnis. Wenn auch ein ziemlich prächtiges.

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