Heidelberg sollte ein "Klein-Germania" am Neckar werden (plus Video)

Im Zweiten Weltkrieg sollte Heidelberg laut "Führerbefehl" eine NS-Prachtstraße zwischen Bismarckplatz und neuem Bahnhof erhalten.

06.09.2014 UPDATE: 06.09.2014 06:00 Uhr 3 Minuten, 45 Sekunden
Im Doku-Drama 'Speer und er' (2005) von Heinrich von Breloer präsentiert Albert Speer (Sebastian Koch, Mitte) Adolf Hitler (Tobias Moretti, links) seine Entwürfe für das 'Neue Berlin'. Ganz rechts Speers Mitarbeiter und Freund Rudolf Wolters (Axel Milberg). Foto: WDR
Von Micha Hörnle

Ein unbekanntes Kapitel der Stadtgeschichte ist, welche Pläne die Nazis mit Heidelberg hatten. Sie hatten Großes im Sinn: Ende Mai 1940 beauftragte Hitler seinen Leib-Architekten Albert Speer mit einer grundsätzlichen Neuplanung der Stadtmitte. Wie das vor sich ging, darüber informierten zuerst Meinhold Lurz 1978 in einem Aufsatz und später Iris Flechtner in einer Diplomarbeit, die sie vor 14 Jahren dem Geografischen Institut der Uni vorlegte. Flechtner rekonstruierte in einem Film, wie die Planungen, wären sie verwirklicht worden, aussehen würden.

Natürlich wurde in der Stadt seit der sogenannten "Machtergreifung" der Nazis etliches in ihrem Sinne gebaut - wie die Thingstätte auf dem Heiligenberg (1935) oder der Ehrenfriedhof am Fuße des Gaisbergs (1933). Aber der große Wurf sollte eine Prachtstraße zwischen dem neuen Hauptbahnhof und dem Bismarckplatz werden, die Flechtner in Anlehnung an die monumentalen Pläne für Berlin "Klein-Germania" nennt. Denn seit 1910 plante die Stadt die Verlegung des innerstädtischen Kopfbahnhofs an die Peripherie. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde schon eine riesige Grube dafür ausgehoben, im Volksmund "Baggerloch" genannt, doch Krieg und Reparationsleistungen verhinderten die Fertigstellung.

Der Videofilm des Teams von Iris Flechtner simuliert eine Autofahrt vom neuen Hauptbahnhof über die Prachtmeile mit ihren Verwaltungsgebäuden und Grünanlagen bis hin zum geplanten Festspielhaus am Ort des alten Kopfbahnhofs.

Der damalige Oberbürgermeister Carl Neinhaus, der sich schon seit März 1933 klar auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen hatte, witterte bei den neuen Machthabern die Chance für einen großen, kühnen Wurf. Die Reichsbahn-Direktion Karlsruhe dachte seiner Meinung nach zu kleinkariert, deswegen nutzte er seine Kontakte nach ganz oben, bis hin zu Speer, "von dem er sich aufgrund dessen Verbundenheit zu Heidelberg eine Fürsprache bei Hitler erhofft" (Flechtner). Heidelberg sollte zur "Reichsangelegenheit" gemacht werden - und deswegen wurden in die Planungen für die neue Magistrale auch ein Festspielhaus, ein NSDAP-Gebäude und ein Aufmarschplatz integriert.

Damit lag Heidelberg ganz auf der Linie von anderen Monsterplanungen des Nationalsozialismus für andere deutsche Städte: Im "Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte" von 1937 wurde festgelegt, dass nicht mehr Privatbauten das Stadtbild dominieren sollten, sondern welche des Staates oder der Partei. Widerstand dagegen war zwecklos, das Gesetz sah lakonisch die Enteignung der Grundstücks- oder Hausbesitzer vor.

Welche Stadt in den "Genuss" solcher Neuplanungen kam, lag im Ermessen Hitlers - vor allem waren das die "Führerstädte" Berlin, München, Nürnberg, Graz und Hamburg. Im Juni umfasste die Liste schon 27 Kommunen, unter den vier Nicht-Gau-Hauptstädten war auch Heidelberg. Nur: Über das Planungsstadium kommen die Neugestaltungsfantasien nicht hinaus - bis auf Nürnberg. Im Zuge des "Totalen Krieges" werden alle konkreten Arbeiten eingestellt, das Deutsche Reich sollte sich auf den "Endsieg" konzentrieren.

Doch vorher noch herrschte in Heidelberg Planungseuphorie: Am 2. Juli 1941 titelten die "Heidelberger Neuesten Nachrichten": "Der Führer verfügt die Neugestaltung Heidelbergs". Wohlgemerkt: Es waren nur erste Ideen, wenn auch schon recht konkrete. Und so hieß es in der Zeitung: "Wenn auch der Neubau des Bahnhofs und damit der Beginn der Neugestaltungsmaßnahmen der Zeit unmittelbar nach dem Krieg vorbehalten bleiben muss, so werden die umfangreichen und bedeutenden Planungen bereits während des Krieges fertiggestellt." Neinhaus hatte durch sein persönliches Antichambrieren bei NS-Größen - wie es im "Dritten Reich" üblich war - endlich Erfolg. Auch Speer setzte sich ein, nur liefert der außer einigen Anregungen wenig Konkretes für Neinhaus' große Ideen.

Stattdessen kommt eher ein Architekt aus der zweiten Reihe der damaligen Garde in Frage: Hans Freese. Der hatte in Heidelberg 1930 schon das heutige Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, den Backsteinbau am nördlichen Kopf der Ernst-Walz-Brücke, gebaut, kurz zuvor belegte er beim Wettbewerb für die Neue Universität den zweiten Platz.

Freese hatte vor, auf dem frei werdenden Gelände zwischen Bismarckplatz und Hauptbahnhof eine 1,5 Kilometer lange und bis zu 145 Meter breite schnurgerade Achse zu schlagen, der neue Bahnhof hätte rechtwinklig zur neuen Straße gelegen. Am heutigen Römerkreis sah er eine große Brunnenanlage vor, gespickt mit zwei reichsadlergeschmückten Riesenpfeilern.

Die Gebäudeblöcke - hier sollten vor allem Ämter und Behörden, vielleicht noch die Schnellpresse einziehen - an sich waren monumental, durchgängig 16,50 Meter hoch - und vor allem streng symmetrisch und recht schmucklos. Besonders herausragend war keines der Gebäude bis auf den Bahnhof, eine eigenartige Mischung aus Glaspalast und Tempel.

Das Herzstück sollte das neue Festspielhaus an Stelle des alten Kopfbahnhofs sein: Hier sollte ein 20 Meter hoher, fast burgenhafter Rundbau mit Seitenflügeln entstehen - auch hier ohne viel Zierrat, vom Hakenkreuz, Reichsadler und einer Rossbändiger-Skulptur einmal abgesehen. Zwischen dem Festspielhaus und dem Neckarufer wollte Freese das neue Rathaus setzen.

Besonders lag Freese an dem Panoramablick, den der anreisende Gast der Stadt vom Bahnhof aus gehabt hätte: Der wäre durch die neue Prachtmeile durch die Leopoldstraße (heute Friedrich-Ebert-Anlage) gestreift und dann direkt zum Schloss gewandert: "Der Besucher sollte durch die Großzügigkeit und Weitläufigkeit in andächtiges Staunen versetzt werden", analysiert Flechtner. Von Anpassung an die oft kleinteilige Struktur der Umgebung war keine Spur: Die Nazis planten groß, damit sich der Einzelne klein fühlen sollte. Das hätte, so folgert Flechtner, eben auch einen massiven Eingriff ins Stadtbild bedeutet: Die neue Stadtmitte sollte sich geradezu von der romantischen Silhouette absetzen.

Der "Totale Krieg" verhinderte alle Ausführungen, für Heidelberg existieren ein Grundriss- und ein Fassadenplan, vor allem für den nördlichen Teil der Prachtmeile mit Bahnhof und Festspielhaus.

Daraus entwickelten Flechtner und ihr Team eine Animation als kleinen Videofilm. Weil Freeses Pläne noch nicht allzu detailliert ausgearbeitet waren, mussten sie sich mit vergleichbaren, gebauten Projekten anderswo behelfen und rekonstruierten, wie die Gebäude wahrscheinlich hätten aussehen können. Das war damals ein Projekt des European Media Laboratory, das sich um die Jahrtausendwende mit der visuellen Rekonstruktion von einst existierenden Gebäuden (wie dem Dicken Turm im Schloss) oder eben NS-Phantastereien anno 1941 auseinandersetzte.

Mit Erfolg: Und so beginnt im Film eine zweiminütige Autofahrt vom neuen Hauptbahnhof zum Festspielhaus in einem offenen Wagen - ein Trip, bei dem es einem gruselt: Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte,

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.