Heidelberg erinnert an die "sinnlose Orgie der Zerstörung"
Über 100 Bürger gedachten am Sonntag auf dem Synagogenplatz in der Altstadt an die Zerstörung der Hauptsynagoge am 9. November 1938

Mai 2014 in Brüssel: Vier Menschen, darunter zwei Israeli, sterben bei einem Anschlag beim Jüdischen Museum. Mai 2014 in einem Pariser Vorort: Jugendliche zerstören das Ladenlokal eines jüdischen Apothekers. August 2014 in Rom: Rechtsextreme rufen zum Boykott von über 40 jüdischen Geschäften auf. 29. Juli 2014 in Deutschland: Molotow-Cocktails fliegen auf die Synagoge in Wuppertal. "Ein alter Dämon verfolgt Europa - der Dämon des Antisemitismus", zitiert Kulturbürgermeister Joachim Gerner die Zeitung "New York Times" bei der Gedenkstunde an die Reichspogromnacht vor genau 76 Jahren.
Über 100 Bürger, Studenten, Kinder und Stadträte versammelten sich gestern Abend auf dem Synagogenplatz in der Altstadt, um an die Nacht des 9. November 1938 zu erinnern - jene Nacht, in der die Heidelberger Hauptsynagoge in Flammen stand, in der in ganz Deutschland jüdische Geschäfte, Versammlungsorte und Wohnungen brannten. Als eine "sinnlose Orgie der Zerstörung" bezeichnete Gerner die Pogromnacht gestern. Und er warnte: "Wehret den Anfängen." Dieses Kapitel deutscher Geschichte sei noch nicht abgeschlossen. Auch deshalb dürfe es nicht in Vergessenheit geraten, mit Sorgfalt müsse man erinnern, als Teil unserer gesellschaftlichen Werte.
Erinnern, nicht vergessen
Auch Olga Tarashchanska, die zweite Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, mahnte: "76 Jahre sind vergangen - das lässt die Erinnerung verblassen." Gerade die junge Generation müsse deshalb die Wahrheit um Deutschlands Vergangenheit wissen: Etwa, wie am 20. Oktober 1940 am Gleis 1a des Heidelberger Hauptbahnhofs der Deportationszug wartete - und 281 Jüdinnen und Juden in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich brachte. Nie wieder dürfe es zu solchen Bluttaten kommen, so Tarashchanska. Was können wir dafür tun? "Respekt vor Religionen haben, die Kunst, zu erhören und nicht nur zuzuhören bewahren, tolerant sein, auf Diskriminierungen sofort reagieren und Geschichte lehren", meinte die Vorsitzende.
An die Ermordeten erinnerten gestern drei Studentinnen der Hochschule für Jüdische Studien. Sie verlasen die Namen aller deportierten Heidelberger Juden. Auf den Gedenkstein am Synagogenplatz legte eine Dame eine rote Rose. Das Entsetzen sitzt noch immer tief.



