Für arme Studenten kommt das Schlimmste wohl erst noch
Die Inflation und hohe Energiepreise machen sich bereits bemerkbar. Die Sozialverbände schlagen bereits seit längerem Alarm.

Von Denis Schnur
Heidelberg. Wenn Anna sich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zum Kaffee trifft, kommt sie mittlerweile ins Grübeln: "Bestelle ich mir wirklich einen Kuchen dazu? Soll ich wirklich noch etwas trinken?", fragt sich die 21-Jährige dann. Denn ganz Deutschland diskutiert zwar seit Monaten über Energiekrise und Inflation, besonders betroffen sind jedoch die Menschen, die ohnehin nur ein geringes Einkommen haben – und den allergrößten Teil davon für Miete und Lebensmittel ausgeben. Das gilt auch für die meisten Studierenden. Knapp ein Drittel von ihnen lebt laut dem Sozialverband "Der Paritätische" unter der Armutsgrenze.
Im Durchschnitt hatten die knapp drei Millionen Studierenden in Deutschland Ende 2020 gut 900 Euro pro Monat zur Verfügung. Sie jobben dafür, bekommen Bafög oder Geld von den Eltern, nehmen Kredite auf und beziehen häufig Kindergeld. In einer teuren Stadt wie Heidelberg dürfte das Budget sogar etwas höher liegen. Denn die Durchschnittsmiete von 337 Euro für ein WG-Zimmer muss man sich erst mal leisten können.
Für Anna war das bislang kein Problem. Sie gehört zu den glücklichen vier Prozent der Studierenden, die über ein Stipendium gefördert werden. Von einer parteinahen Stiftung erhält sie monatlich rund 1050 Euro – damit dürfte sie mehr Geld zur Verfügung haben als die meisten Heidelberger Studis. "Ich habe total Glück." Ihr geht es finanziell sogar so gut, dass sie ihrer Mutter, die selbst nicht viel verdient, ihr Kindergeld überlassen kann.
Doch Inflation und Energiekrise machen sich auch für die angehende Politikwissenschaftlerin und Germanistin bemerkbar – etwa beim Wocheneinkauf. "Da landet man schnell bei 40 bis 50 Euro", berichtet sie, "obwohl ich immer nur im Discounter einkaufe." Früher sei es deutlich weniger gewesen. Auch der Vermieter habe bereits reagiert und die Warmmiete für ihr WG-Zimmer erhöht – von 300 auf 320 Euro im Monat. Das mag ärgerlich sein, aber Anna kommt gut über die Runden, schränkt sich bislang nur bei Dingen ein, die sie nicht zwingend braucht. "Ich bin das ein Stück weit gewohnt, meine Familie hatte nie viel Geld", berichtet sie.
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So wie der 21-Jährigen geht es vermutlich den meisten Studierenden in Heidelberg: Sie haben effektiv weniger Geld, schauen besorgt in die Zukunft – sind aber noch nicht in finanzieller Not. Als die RNZ sich auf die Suche nach jungen Menschen gemacht hat, denen Krise und Inflation schon jetzt besonders zusetzen, kam sie dagegen nirgends weiter. Dem Studierendenrat sind kaum Fälle bekannt, ein Aufruf in den sozialen Medien war erfolglos. Zur Tafel in der Südstadt kamen zwar immer mal wieder Studierende – aktuell jedoch nicht. In der Sozialberatung des Studierendenwerkes ist die derzeitige Krise ebenfalls noch kein Thema.
Das heißt nicht, dass es sie nicht gibt: die armen Studierenden in Heidelberg. Genauer gesagt, weiß niemand so richtig, wie viele es gibt. Betroffene reden selten darüber, beantragen oft nicht die Hilfen, die ihnen zustehen. Stattdessen schlagen sie sich irgendwie durch, kaufen billig ein, gehen kaum aus, essen vor allem in der Mensa. Wenn aber in den nächsten Monaten die Benachrichtigung kommt, dass der monatliche Abschlag für Heizung und Strom um 50 oder 100 Euro steigt oder eine deftige Nachzahlung fällig wird, kommen diese Menschen in die Bredouille. Dann rechnet man auch im Studierendenwerk mit einem größeren Andrang bei der Sozialberatung.
Deshalb schlagen Studierendenvertreter und Sozialverbände schon länger Alarm und fordern Entlastungen. Gas- und Strompreisdeckel würden natürlich auch Studis helfen, aber nicht genug. Und die 200 Euro, die der Bund als "Energiegeld" an jeden Studierenden auszahlen möchte, seien zwar sinnvoll. Jedoch ist noch immer unklar, wann und wie es bei den Studierenden ankommen wird. Außerdem dürften die tatsächlichen Mehrkosten bei den meisten ein Vielfaches betragen.
"Studieren wird derzeit schwieriger zu finanzieren", betont Timo Walther, Sprecher des Heidelberger Studierendenwerkes, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit im Land seien akut bedroht. Der bundesweite Dachverband der Studierendenvertretungen drückt es noch drastischer aus: "Immer mehr Studierende werden in die Armut getrieben und können sich schlicht ihr Studium nicht mehr leisten", warnt Vorständin Carlotta Eklöh.
Dabei gäbe es durchaus Vorschläge, wie man vielen Studierenden schnell helfen könnte. Der naheliegendste wäre eine kräftige Erhöhung des Bafög, das rund elf Prozent der Studis in Deutschland beziehen. Der Höchstsatz wurde zwar gerade um 5,7 Prozent angehoben – "aber diese Erhöhung wurde von der Inflation aufgefressen", bemängelt der Dachverband der Studierendenwerke.
Der zweite große Hebel, mit dem man Studierenden unter die Arme greifen könnte, sind die Studierendenwerke. Diese betreiben günstige Mensen, Kitas und Wohnheime für Studierende. In Heidelberg zahlt ein Bewohner dort im Durchschnitt etwa nur 246 Euro Warmmiete. Bislang sei auch keine Erhöhung geplant, betont Sprecher Walther. Schließlich wolle man die Studierenden in der Krise so wenig wie möglich belasten. Doch die höheren Kosten setzen auch den Studierendenwerken zu. Wenn sie kein zusätzliches Geld von Bund oder Land bekommen, würde in den nächsten Monaten wohl kein Weg an Mieterhöhungen und teureren Essen vorbeiführen – und Studentin Anna käme wohl auch in der Mensa ins Grübeln.
Hintergrund
Probleme bei der Studienfinanzierung? Bei diesen Anlaufstellen gibt es in Heidelberg Hilfe. Ähnliche Institutionen unterstützen auch in anderen Städten:
> Bafög-Beratung: Der erste Weg sollte der zum Bafög-Amt des Studierendenwerkes, Marstallhof 1, sein.
Probleme bei der Studienfinanzierung? Bei diesen Anlaufstellen gibt es in Heidelberg Hilfe. Ähnliche Institutionen unterstützen auch in anderen Städten:
> Bafög-Beratung: Der erste Weg sollte der zum Bafög-Amt des Studierendenwerkes, Marstallhof 1, sein. Denn viele wissen gar nicht, dass sie Anspruch auf die Förderung haben. Außerdem informieren die Experten auch über Studienkredite. Man erreicht sie unter 06221 / 54-5404.
> Das Studierendenwerk hilft auch darüber hinaus. So können besonders bedürftige Studis etwa Zuschüsse für das Mensa-Essen beantragen. Außerdem gibt es eine Sozialberatung für Studierende in finanzieller Not. Infos: www.studentenwerk.uni-heidelberg.de
> Der Studierendenrat bietet Studierenden, die unverschuldet und plötzlich in Geldnöte geraten, ein Notfallstipendium. Infos: www.stura.uni-heidelberg.de/notlagenstipendium
> Bei den Tafeln können sich auch Studierende mit wenig Geld günstig mit Lebensmitteln versorgen. Infos: www.heidelberger-tafel.de dns