Heidelberg

Endlich konnte der Erfolg beim Bürgerentscheid gefeiert werden

Im April verhinderte ein Bürgerentscheid die Verlagerung des Ankunftszentrums - Am Sonntag luden die Initiatoren deshalb zum Fest

21.06.2021 UPDATE: 22.06.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden
Mehr als zwei Monate nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid nahm das Bündnis BAFF den internationalen Tag des Flüchtlings zum Anlass, um nachträglich seinen unerwartet klaren Sieg zu feiern. Foto: Philipp Rothe

Von Natascha Koch

Heidelberg. Unter großen Linden in den Landschadhöfen hinter Wieblingen wird am Sonntag ein Lied angestimmt: "Nun sitzen wir in großer Rund‘, mit Groß und Klein und Alt und Jung und wollen besingen, was uns gelungen: 70 Prozent!” Ein Jahr ist es her, dass sich der Gemeinderat für eine Verlegung des Ankunftszentrums für Flüchtlinge aus dem Patrick-Henry-Village entschieden hat. Neues Ziel sollten die Wolfsgärten sein, nicht weit entfernt von den Landschadhöfen. Ein Jahr, in dem aber auch hart dagegen angekämpft wurde – bis im April die Bürger Heidelbergs dann selbst entscheiden durften. Mit einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent erreichte der Bürgerentscheid, den das Bündnis für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt (BAFF) initiiert hatte, letztendlich sein Ziel. Und am 20. Juni, dem internationalen Tag des Flüchtlings, darf der unerwartet klare Sieg – 70 Prozent stimmten mit "Ja" – auch endlich gefeiert werden.

Die Besucher sind in lockerer Runde versammelt. In einem Sitzkreis von Bänken bedienen sie sich am Kaffee und Kuchen, hören den Rednern zu. "70 Prozent ,Ja’ – das sind 70 Prozent für Klimagerechtigkeit, 70 Prozent für Bodenschutz und Biodiversitätsschutz", sagt etwa Cornelia Wiethaler, Leiterin des AK-Umweltpolitik im Naturschutzbund Heidelberg (Nabu). Sie hatte von Beginn an den Beschluss kritisiert, weil auf den Wolfsgärten wertvoller Ackerboden zerstört worden wäre. "Mir bleibt ein Moment besonders in Erinnerung, ein Spruch von einem Landwirt", sagt Wiethaler. "Er stand hier an den Wolfsgärten und sagte: ‚Das müssen wir halten! Da müssen wir drum kämpfen!‘" Denn es sei eben auch um die Existenzen der Landwirte gegangen. "Das Jahr war nicht leicht", so Wiethaler. "Aber es hat gezeigt, dass wir politisch was erreichen können, dass sich die Menschen nicht an der Nase herumführen lassen."

Aber in der Debatte ging es nicht nur um den Klimaschutz. Auch die Lebensbedingungen der Flüchtlinge, die im Ankunftszentrum wohnen sollten, wurden kritisiert. Das neue Zentrum hätte sich zwischen zwei Autobahnen und einem Bahngleis befunden. Kontakt zur restlichen Stadt hätte es laut BAFF kaum gegeben.

"Wisst ihr eigentlich, was Wolfsgärten sind?", fragt Marion Herz am Mikrofon. Sie zitiert den Kulturwissenschaftler Gerhard Schröller und erklärt, dass Wolfsgärten einst geschaffen worden seien, um Wölfe einzufangen und zu schlachten, da sie als gefährlich und böse galten. "Für mich spiegelt das den Rassismus gegen Fremde wider", sagt die Kulturwissenschaftlerin, die ebenfalls Teil des BAFF ist. "Dass gesagt wird, die Wölfe fressen uns das Fressen weg, die Flüchtlinge fressen uns das Fressen weg, dass sie unschuldige Mädchen reißen und isoliert werden müssen. Auch in diesem Sinne waren die Wolfsgärten nie zum Wohnen geeignet." Jaswinder Pal Rath sieht das ähnlich. Er ist Vorsitzender des Migrationsbeirats und ist mit seiner Familie gekommen, um zu feiern. "Der Sieg ist schonmal ein Zeichen. Man kann aber nur hoffen, dass die Menschen irgendwann verstehen: Niemand verlässt sein Zuhause freiwillig", sagt er.

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Zwischen den Reden unterhält die Band "Je Veux" die Feiernden mit Musik, unter den Bänken streicheln Kinder die Hofkatze. Die Freude und Erleichterung über den Sieg werden an jeder Ecke betont. Doch es geht auch um den Blick nach vorne, die viele Arbeit, die noch bevorstehe. "Es war ein komplexes Thema, und die Heidelberger haben zum Glück zugehört", sagt Nina Gray, SPD-Kreisvorsitzende. "Aber es muss klimapolitisch ein Zeichen gesetzt werden. Es sollte jetzt klar sein, dass die Bürgerschaft das nicht mit sich machen lässt, wenn diese überholte Baupolitik immer weiter fortgesetzt wird.” Dabei würde es jetzt besonders auf den Gemeinderat angekommen, auf die Grünen und die CDU, die gegen den Bürgerentscheid waren. "Ich hoffe, dass die Grünen wieder ihren Kompass finden und zurückkehren zu einer offenen, progressiven und linken Politik", sagt Gray.

Auch Oberbürgermeister Eckart Würzner wollte eigentlich zu der Veranstaltung kommen, wegen "terminlicher Überschneidung" hinterließ er jedoch lediglich ein Grußwort. Er bedankte sich für das klare Signal des Bürgerentscheids und wünschte den Teilnehmern eine schöne Veranstaltung. Dorothee Hildebrandt, Vertrauensperson beim Bürgerbegehren, liest den Teilnehmern die Worte vor. Unabhängig von den weiteren Herausforderungen, die bevorstehen, freut sie sich auch erstmal über das Zeichen, das gesetzt werden konnte. "Dass das in die Gesellschaft hineinwirkt, dass wir uns Eindruck und Respekt in der Stadt verschafft haben, das hat uns gezeigt: Da ist was möglich", sagt sie.

Das sei aber nur mit der Zusammenarbeit aller möglich gewesen. Jetzt könnte man natürlich danke sagen, sagt sie. "Aber ich sage eher: Wir beglückwünschen uns alle gegenseitig."

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