Heidelberg

"Die immense Verschuldung kann ich als Stadtkämmerer so nicht gutheißen"

Finanzbürgermeister Hans-Jürgen Heiß geht in den Ruhestand. Trotzdem will er noch den Ankauf der Flächen in PHV managen. Er mahnt zur Sparsamkeit, hat aber nichts gegen den kostenlosen Nahverkehr.

08.10.2021 UPDATE: 09.10.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 44 Sekunden
Immer wieder mahnte er die Stadträtinnen und Stadträte zur Sparsamkeit. Trotzdem wird er von allen Fraktionen sehr geschätzt. Damit ist Hans-Jürgen Heiß Heidelbergs beliebtester Spaßverderber. Foto: Philipp Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Er ist wohl der beliebteste Bürgermeister Heidelbergs: Einstimmig wählte der Gemeinderat Hans-Jürgen Heiß vor acht Jahren ins Amt. Es gab nicht eine Enthaltung, das schaffte nicht einmal die neue Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen. Und bis heute fliegen Heiß, dem lässigen 62-jährigen Parteilosen mit Drei-Tage-Bart und häufig offenem Hemdkragen die Sympathien aller Fraktionen zu. Kaum einer kann hochkomplexe Finanzthemen so erklären wie er, begegnet all seinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe und ist bei allem Erfolg doch so bescheiden. Ende Oktober endet seine Amtszeit, bereits nächsten Mittwoch wird er offiziell verabschiedet. Im RNZ-Abschiedsinterview spricht er über seinen siebten und letzten Doppelhaushalt und die Zukunft des Patrick-Henry-Village. Heiß ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und einen Enkel.

Herr Heiß, Sie sind erst 62 Jahre alt. Warum gehen Sie jetzt schon in den Ruhestand?

Weil meine achtjährige Amtszeit als Bürgermeister Ende Oktober abläuft und ich damit ohne Abschläge in den Ruhestand gehen darf. Ich freue mich darauf, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen und allgemein mehr Freizeit zu haben. Übrigens gehe ich der Stadt Heidelberg auch nicht ganz verloren. Ich werde meine nebenamtliche Geschäftsführertätigkeit in der Konversionsgesellschaft noch weiterführen, um insbesondere den Ankauf der Patrick-Henry-Village-Flächen von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) über die Bühne zu bringen. Das ist noch ein persönliches Ziel von mir.

Wann wollen Sie das Ziel erreichen?

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(lacht) Das hängt sehr vom Verhalten der Bima ab. Die Ankaufsverhandlungen für das südliche PHV-Gebiet – vom ehemaligen Impfzentrum bis zum Ankunftszentrum – haben gerade begonnen. Gemeinsam mit der Bima haben wir einen gemeinsamen Wertgutachter beauftragt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Fläche im ersten Halbjahr 2022 ankaufen können.

Apropos PHV: Können Sie mit dem Ankunftszentrum auf dieser Fläche leben oder bedauern Sie es, dass es nicht in den Wolfsgärten gebaut wurde?

Ich persönlich bedauere das schon. Die Wolfsgärten waren ein guter alternativer Standort, davon bin ich noch immer überzeugt. Trotzdem akzeptiere ich natürlich das Ergebnis des Bürgerentscheids, den wir nun umsetzen müssen. Ich schaue noch vorne und rechne damit, dass der Gemeinderat bis zum Jahresende über den neuen Standort des Ankunftszentrums in PHV entscheiden wird.

Glauben Sie auch, dass diese große Flüchtlingsunterkunft in den neuen Stadtteil integriert werden kann?

Planerisch lässt sich das schon machen, davon bin ich überzeugt. Natürlich wird es aber dadurch schwieriger, über die kritische Größe von Einwohnern zu kommen, die ein neuer, eigenständiger Stadtteil braucht. Die Fläche des Ankunftszentrums steht ja nun nicht mehr für Wohnen und Gewerbe zur Verfügung. Im Moment sieht es aber so aus, dass das trotzdem passt.

Abgesehen davon läuft es ja relativ rund mit der Konversion.

Meine Zwischenbilanz fällt in der Tat sehr positiv aus. Im Moment haben wir drei der fünf Konversionsflächen in einer erfolgreichen Entwicklung. Uns ist gelungen, die Flächen in der Südstadt – also das Mark-Twain-Village und die Campbell Barracks – zeitnah zu entwickeln. Heute leben dort schon rund 1000 Menschen und es gibt viel günstigen Wohnraum. Dadurch haben wir es geschafft, dass die Nachnutzung der US-Flächen von vielen Heidelbergern nicht mehr als Problem, sondern als große Chance gesehen wird.

Wie sehen Sie die Konversion als Finanzbürgermeister? Hat das nicht alles den städtischen Haushalt belastet?

Nein. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir den gesamten Aufwand für die Herstellung der Infrastruktur in der Südstadt – von der Wasserversorgung über Abwasser bis zum Internetanschluss – aus den Verkaufserlösen für baureife Grundstücke refinanzieren konnten. Dadurch wurde der städtische Haushalt nicht belastet, abgesehen von den eigenen Investitionsprojekten wie dem Bau der Schule und des Karlstorbahnhofs.

Und mit Ausnahme des "Anderen Parks", der ja auch teurer wird als ursprünglich gedacht.

Auch dafür werden die Kosten zum großen Teil von unserer Entwicklungsgesellschaft getragen. Das liegt natürlich vor allem an der Förderung von Bund und Land, die wir für den Park bekommen haben. Aber Sie haben schon recht: Die Kostensteigerung ist ärgerlich.

War es in Ihren Augen sinnvoll, die Bereiche Finanzen und Konversion in einem Dezernat zusammenzuführen?

Unbedingt. Für mich war es ein wichtiger Erfolgsfaktor, dass wir die finanziellen Auswirkungen für die Stadt und die Entwicklungschancen immer gemeinsam gedacht haben. Das hat sich bewährt und soll auch so fortgeführt werden. Mein Nachfolger als Leiter des Kämmereiamtes, Wolfgang Polivka, wird auch weiterhin für die Konversion verantwortlich sein.

Aber nicht mehr als Bürgermeister.

Ja, das ist aber nicht schlimm. Als meine Stelle geschaffen wurde, wollte man gegenüber der Bima und unseren Partnern in der Entwicklungsgesellschaft zeigen, wie hoch der Stellenwert der Konversion für Heidelberg ist. Sie ist jetzt aufs Gleis gesetzt, daher braucht man keinen eigenen Bürgermeisterposten mehr dafür.

Als Kämmerer und seit 2013 als Finanzbürgermeister haben Sie sieben Doppelhaushalte verantwortet und damit 14 Jahre die finanziellen Geschicke der Stadt mitbestimmt. Wie erleichtert waren Sie, als der aktuelle Haushalt vom Regierungspräsidium genehmigt wurde?

Sagen wir mal so, dieser letzte Doppelhaushalt ist ein ganz besonderer. Er war sehr von Corona geprägt. In meinen Augen kommen wir damit in der mittelfristigen Finanzplanung an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit. Die immense Verschuldung kann ich als Stadtkämmerer so nicht gutheißen. Schließlich hat uns auch das Regierungspräsidium dringend empfohlen, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. In meiner letzten Sitzung im Haupt- und Finanzausschuss am 27. Oktober werden wir noch einmal darüber reden müssen.

Der Gemeinderat hat für die nächsten beiden Jahre ein Investitionsvolumen von 200 Millionen Euro beschlossen. Wie sehen die Empfehlungen des Regierungspräsidiums konkret aus?

Die Investitionsprojekte sollen priorisiert und manche auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Wo würden Sie selbst den Rotstift ansetzen?

Da will ich mich jetzt zurückhalten. Meine zentrale Botschaft ist: Man sollte bei der Priorisierung auch darauf achten, was die Stadtverwaltung überhaupt arbeitstechnisch stemmen kann. Ich habe über die sieben Doppelhaushalte die Erfahrung gemacht, dass wir immer mit einem sehr ehrgeizigen Investitionsprogramm geplant haben, aber dann gar nicht alles abarbeiten konnten. Weil schlicht das Personal und die Zeit fehlten oder die Projekte noch nicht planungsreif waren. Das war zum Beispiel beim Schulcampus Mitte so. Das erklärt auch, warum wir immer so große Haushaltsreste bilden. Wir übertragen oft Finanzmittel in der Größenordnung von 35 Millionen Euro auf das nächste Jahr.

Wie könnte man noch die finanzielle Situation für die Stadt verbessern?

Wir müssen wieder höhere Überschüsse im Ergebnishaushalt erwirtschaften, damit wir wieder einen soliden Grundsockel haben, um das Investitionsprogramm zu stemmen.

Das geht nur über Steuer- und Gebührenerhöhungen oder Einsparungen.

Und wenn man beides kombiniert, hat man den größten Effekt. Ich denke, dass das in den nächsten Haushaltsberatungen intensiv diskutiert wird.

2020 mussten Sie wegen Corona eine Haushaltssperre verhängen. Und Sie haben den Gemeinderat überzeugt, auf 17 Bauprojekte zu verzichten. Dennoch haben Sie viel Beifall von den Stadträten bekommen, als Sie ihren letzten Haushalt eingebracht haben. Was ist das Geheimnis des beliebtesten Spaßverderbers in Heidelberg?

Dass ein Vertrauensverhältnis zwischen uns im Kämmereiamt und den politischen Entscheidungsträgern besteht. Mir war es immer wichtig, dass unsere fachliche Auskunft verlässlich ist und die Stadträte nicht die Sorge haben müssen, dass wir unsere eigene Politik betreiben. Es geht dabei auch um Ehrlichkeit und Transparenz. Es ist und war mir wichtig, dass wir als Finanzverwaltung als neutral eingestuft werden, und dass wir trotzdem die politischen Schwerpunkte des Gemeinderates akzeptieren und entsprechend umsetzen.

Trotzdem ist es schon ungewöhnlich, dass Sie von links bis rechts Lob bekommen.

Ich freue mich sehr darüber. Als ich 2013 einstimmig zum Bürgermeister gewählt wurde, war das für mich ein hochemotionales Erlebnis. Für mich war das bis dahin unvorstellbar. Dazu muss man aber auch wissen, dass das Vertrauensverhältnis über Jahre entstanden ist, schließlich war ich schon seit 2007 Stadtkämmerer.

Apropos politischer Schwerpunkt: Was halten Sie als Kämmerer von der Idee von einem kostenlosen Nahverkehr?

Diesen Plan sollte man nicht nur aus fiskalischer Sicht bewerten. Schließlich geht es darum, das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung dauerhaft zu verändern. Ich finde es gut, dass der Oberbürgermeister das schrittweise umsetzen will. Die erste Phase, dass der Nahverkehr nur am Wochenende kostenlos ist, halte ich aus Sicht des Kämmerers für machbar. Klar ist aber auch allen, dass die dritte Stufe, ein wirklich kostenloser Nahverkehr für alle und jederzeit, nur mit einer Bundesfinanzierung funktionieren kann.

Sie haben als 19-Jähriger die Ausbildung bei der Stadt begonnen. Haben Sie es jemals bereut?

Nein. Ich habe schon während meiner Ausbildung im Rathaus und dann an der Hochschule in Kehl gemerkt, dass mir das liegt. Dazu muss man auch sagen, dass ich mit Ludwig Fischer im Personal- und Organisationsamt gleich einen Chef hatte, der viel Vertrauen in mich gesetzt und mir viel Verantwortung übertragen hat. Im Kämmereiamt unter meinem Vorgänger Walter Lenz hat sich das fortgesetzt. Was mir dabei aber auch sehr am Herzen liegt: Ich hatte während meiner gesamten beruflichen Laufbahn immer ein Team aus hochkompetenten und sehr motivierten Leuten um mich herum, auf die ich mich hundertprozentig verlassen konnte. Ich habe einige Kollegen und eine Kollegin, mit denen ich schon seit 30 Jahren in unterschiedlichsten Funktionen zusammenarbeite. Und diese persönlichen Kontakte werde ich am meisten vermissen.

Hans-Jürgen Heiß (links) bei der Verabschiedung seines Vorgängers als Kämmerer, Walter Lenz (rechts), im Januar 2008. Mit dabei: OB Eckart Würzner. Foto: Kresin
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