Auf den Spuren der "kleinen Nazis"
Neuer Band "Täter, Helfer, Trittbrettfahrer" erforscht die Biografien von NS-Belasteten in Heidelberg

Wolfgang Proske (Mitte) mit Viktor Fichtenau (l.), der über den "Wehrhistoriker" Paul Schmitthenner, und Jan Ohnemus, der über den Juristen Eugen Ulmer schrieb. Foto: Rothe
Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Sie waren überall. In der Verwaltung, an den Universitäten, in den Gerichtssälen, Krankenhäusern und Schulen. Menschen, die sich der mörderischen Ideologie des Nationalsozialismus bereitwillig unterwarfen. Menschen, die andere in den Tod schickten, Rassenlehren propagierten oder bewusst wegsahen. Ihre Geschichten offenlegen - das ist das Ziel des Sozialwissenschaftlers Wolfgang Proske. Im Rahmen der von ihm ins Leben gerufenen Buchreihe "Täter Helfer Trittbrettfahrer" nehmen mehr als 100 Autoren jene NS-Täter in den Blick, die bislang hinter prominenten Namen zurückstanden. Nun wurde im Universitätsarchiv der siebte von zehn Bänden vorgestellt. Er enthält 21 biografische Studien über NS-Belastete aus Nordbaden und dem Nordschwarzwald.
"Es war an der Zeit, auch auf regionaler Ebene nach Tätern zu suchen", so Proske. Er habe die "kleinen Nazis" in den Mittelpunkt der Untersuchung rücken wollen, nicht nur die Top-Täter, sagt er. Deshalb gründete Proske im Jahr 2008 sein eigenes Forschungsprojekt - mit dem Ziel, Licht ins Dunkel der nationalsozialistischen Vergangenheit Baden-Württembergs zu bringen. Basierend auf archiviertem Quellenmaterial beleuchten die bisher erschienenen sieben Bände die Vergangenheit bislang kaum berücksichtigter NS-Täter. "Wir wollen dazu beitragen, die ganze Bandbreite des Verhaltens im Nationalsozialismus aufzuzeigen", so Proske.
Im neuesten Band geht es etwa um Paul Schmitthenner. Der sei zwar "kein klassischer Täter" gewesen, aber durchaus ideologisch verantwortlich, wie Viktor Fichtenau sagt. Fichtenau studiert Geschichte in Heidelberg und hat sich intensiv mit Schmitthenner beschäftigt. Dieser war 1938 und 1945 als Rektor der Ruperto Carola tätig, machte Karriere in der Badischen Regierung und unterrichtete als Wehrwissenschaftler. Eine Karriere, die sich als regelrechte "Anbiederung an den Nationalsozialismus" lesen lässt, so Fichtenau. Schmitthenner habe seine Aufgabe auch darin gesehen, das Volk zur Wehrhaftigkeit zu erziehen, um künftige Kriege zu gewinnen. Gerade die Universität sah er dabei als Hauptstätte wehrpolitischer Erziehung. "Er verlangte von den Studenten soldatische Disziplin", sagt Fichtenau.
Teil des Systems war auch Professor Eugen Ulmer, Mitglied von Sturmabteilung und NSDAP. Als Kriegsrichter war Ulmer an Todesurteilen gegen sogenannte Fahnenflüchtige beteiligt. Doch nach dem Untergang des Dritten Reichs wurde Ulmer - im Gegensatz zu Schmitthenner - schnell rehabilitiert, machte auch in der Bundesrepublik Karriere. Ulmer, so urteilte eine Spruchkammer, sei "höchstens als Mitläufer" zu behandeln, nicht als "Belasteter". Ein Urteil, das den Juristen aus heutiger Sicht keinesfalls freispreche, so der Heidelberger Geschichtsstudent Jan Ohnemus. Er hat sich durch zahlreiche Gerichtsakten gearbeitet - und bezeichnet Ulmer durchaus als Täter. Schließlich habe dieser als Richter in einigen Fällen deutlich härter geurteilt als es die damaligen Gesetze verlangt hätten.
Fünf weitere Heidelberger werden in dem Buch behandelt - darunter Carl Neinhaus (Oberbürgermeister bis 1945 und ab 1952) sowie der Psychiater Julius Deussen, der in der Psychiatrischen Universitätsklinik an der Ermordung von Kindern beteiligt war.
Täter, Helfer oder Trittbrettfahrer? Eine eindeutige Bewertung ist 70 Jahre später nicht immer einfach. "Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß. Die meisten untersuchten Personen bewegten sich irgendwo zwischen den Extremen", sagt Proske. Und es gebe noch viele weiße Flecken, die es mittels weiterer Forschungen zu füllen gelte.
Info: Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Band Nr. 7, 19,99 Euro, ISBN: 9783945893081.



