Heidelberger Schrift älteste Quelle für Osterhase
Ist der Osterhase eine protestantische Erfindung? Medizinhistoriker Bauer zufolge zielte die Schrift auch gegen Katholiken.

Von Julia Lauer
Heidelberg. Osterhasen sind heute zum Osterfest in aller Welt erhältlich. Und daran hat auch Heidelberg einen Anteil. Denn in einer Schrift, die 1682 an der hiesigen Universität veröffentlicht wurde, fand der Osterhase erstmals Erwähnung: in einer Doktorarbeit der Medizin. Der Frankfurter Pastorensohn Johannes Richier reichte sie ein, Doktorvater war Georg Franck von Franckenau (1644 - 1704).
Axel W. Bauer, Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Mannheim, hat sich mit dem Werk, seiner Zeit und seinen Autoren beschäftigt. Im RNZ-Interview erklärt er, weshalb sich Mediziner damals für Osterbräuche interessierten, wie Forschung in dieser Zeit funktionierte – und weshalb diese Arbeit auch politisch-religiöse Ziele verfolgte.

Herr Professor Bauer, Sie sind Medizinhistoriker. Erhalten Sie häufig Interviewanfragen, um über den Osterhasen zu sprechen?
Bisher nur einmal, das war vor mehr als zehn Jahren. Damals sollte ein Beitrag für den SWR produziert werden, der schlussendlich aber nicht ausgestrahlt wurde.
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Die erste Erwähnung des Osterhasen findet sich in einer Heidelberger Dissertation aus dem Jahr 1682. Sie trägt den Titel "De Ovis Paschalibus / Von Oster=Eyern". Sie haben sich mit dem Wirken von Georg Franck befasst. Was ist das für eine Schrift?
Georg Franck von Franckenau war Professor der Medizin, der aus Naumburg stammte und 1672 an die Universität Heidelberg berufen wurde. Er gab die Reihe "Satyrae Medicae" heraus. Dabei handelt es sich um eine Schriftenreihe, deren Gegenstand medizinische Themen aus kulturhistorischer Perspektive waren. Sie wurden verfasst wie kleine Feuilletons. Es geht darin etwa um Hämorrhoiden oder um Bordelle – und das Thema von Heft 18 waren eben die Ostereier.
In dem Text ist die Rede von Eiern, die man versteckt und von denen es heißt, der Hase brüte sie aus. "In Südwestdeutschland, in unserer heimatlichen Pfalz, im Elsass wie auch in Westfalen heißen solche Ostereier Haseneier." Was erfahren wir noch in dem Text?
Es ist ein medizinisch-theologischer Text, der auf Neulatein – mit ein paar deutschen Zitaten – verfasst ist. Das ist ein recht schwieriges Latein, vielleicht werde ich die 16 Seiten eines Tages selbst übersetzen. Bisher liegt dieser Text noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Schon seit dem Mittelalter waren Eier zu Ostern verbreitet. Und die kursorische Lektüre des Textes zeigt, dass es darin zum Beispiel um Gepflogenheiten geht, wie die Eier gegessen wurden – ohne Salz und ohne Butter, heißt es da etwa, auch von Eiersalat und Eierkuchen ist die Rede. Daneben geht es in dem Text auch um die Exzesse beim Verzehr der Eier.
Nach der 40-tägigen Fastenzeit, in der die Menschen nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Eier verzichteten, griff man also erst recht zu?
So lässt sich das verstehen. In der Schrift ist von "Abusus" die Rede, von missbräuchlichem Verzehr nach Ende der Fastenzeit. Und die Völlerei führte bisweilen zu Problemen in Magen und Darm, vor allem zu Verdauungsschwierigkeiten.
Schon damals interessierten sich Mediziner wie Franck also für Ernährung?
Georg Franck sah Fragen der Ernährung als eine von mehreren Ursachen für Erkrankung und Genesung an. Dabei hatte er natürlich ein anderes Verständnis der Dinge als heutige Ärzte – Debatten um Cholesterin zum Beispiel führte man im 17. Jahrhundert selbstverständlich noch nicht. Franck war noch geprägt von den antiken Autoritäten Hippokrates und Galen, von der Vier-Säfte-Lehre, die Gesundheit und Krankheit mit der Zusammensetzung der Körpersäfte erklärte.
War das typisch für diese Zeit?
Die Medizin des 17. Jahrhunderts war eine Zeit des Umbruchs. Die antike Säftelehre hielt sich hartnäckig. Ein naturwissenschaftliches Verständnis, das von experimentellen Beobachtungen ausging, kam noch nicht gegen diese 1500 Jahre alte Lehre an. Georg Franck war ein aufgeschlossener Mediziner, er zählt aber zu den methodisch eher konservativen Vertretern seines Faches.
Manche ordnen die Schrift "Von Oster=Eyern" ihm zu, andere sehen seinen Doktoranden Johannes Richier als Autor. Können Sie das aufklären?
Wer der Autor war, lässt sich nicht genau sagen. Vermutlich haben die Schrift beide Mediziner gemeinsam verfasst. Eine neuere Erkenntnis ist, dass Doktoranden in der Frühen Neuzeit wohl nicht nur Geld gezahlt haben, um einen Doktortitel zu bekommen, die in Wirklichkeit aus der Feder des Doktorvaters stammte. Wissenschaftliche Arbeiten waren damals durchaus auch "Koproduktionen". Dafür spricht in diesem Fall auch die Verbindung von Geschichte, Theologie und Medizin als thematischer Hintergrund.
Wie meinen Sie das?
Der Doktorand, Johannes Richier, war Sohn eines reformierten Pastors aus Frankfurt am Main, der bei Franck in Heidelberg Medizin studierte. Er wollte Doktor werden – mit einem Thema, das ihm lag. Das dürfte bei den Osterbräuchen, einem ebenso medizinischen wie theologischen Manifest, der Fall gewesen sein. Im Hinblick auf Osterbräuche macht die Schrift religiöse Praktiken der Katholiken lächerlich und diskreditiert sie. Dazu gehört die Eierweihe, die bei Katholiken bereits seit dem Mittelalter verbreitet war. Zum evangelischen Pastorensohn Richier passt diese Kritik durchaus.
Und zu Franck? Auch er war Protestant, man weiß, dass er noch 1701 den Bau einer neuen evangelischen Kirche in Heidelberg finanziell unterstützte.
Wenn Franck zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Pfälzischen Erbfolgekrieg nicht in das protestantisch-reformierte Milieu von Heidelberg und der Kurpfalz gepasst hätte, hätte ihn Kurfürst Karl Ludwig nicht im Alter von 28 Jahren zum Professor berufen, und er wäre wenige Jahre später nicht Dekan der Medizinischen Fakultät und 1678 Rektor geworden. Doktorvater und Doktorand dürften hier auf einer Linie gelegen haben.
Findet sich in der Dissertation denn irgendein Hinweis darauf, warum in den protestantischen Gegenden ausgerechnet ein Hase die Eier ausbrütet?
Darauf geht die Schrift nicht ein, das ist ein separates Problem. Hasen haben viele Nachkommen, und das Ei ist ein sehr altes Symbol für die österliche Wiedergeburt – aber wie die Verbindung zwischen beidem entstand, lässt sich nicht exakt aufklären.
Können wir denn etwas aus dieser Schrift lernen, was uns für die Osterzeit hilft?
Medizin ist ein Teil der Kulturgeschichte und nicht nur der Naturwissenschaft. Und dass ein exzessiver Verzehr von Eiern auf den Magen schlagen kann, gilt sicher immer noch.