Erinnerung an eine finstere Nacht
Dabei war die Pogromnacht nur eine von vielen schlimmen Nächten für die Juden in Heidelberg und Deutschland - Antisemitismus ist auch heute ein Problem

Etwa 250 Heidelberger trotzten gestern Abend dem Regen und der Kälte, um der Juden der Stadt zu gedenken, die während der Nazi-Diktatur ermordet und deportiert wurden - aber auch, um ein Zeichen zu setzen für ein tolerantes Miteinander. Foto: Philipp Rothe
Von Denis Schnur
Heidelberg. Am 9. November 1938 kamen die SA-Männer in die Mantelgasse. Mit Holzwolle und Benzin setzten sie die Synagoge in der Altstadt in Brand. Die Feuerwehr rückte zwar an, sorgte jedoch nur dafür, dass die Flammen nicht auf die Nachbargebäude übergriffen. 79 Jahre ist das nun her, und noch immer treffen sich jedes Jahr Hunderte Heidelberger am Synagogenplatz, um an "einen der schrecklichsten Tage der deutschen Geschichte" zurückzudenken, wie es Bürgermeister Wolfgang Erichson gestern Abend vor etwa 250 Zuhörern, die Regen und Kälte trotzten, formulierte.
Dabei war die Pogromnacht nur eine von vielen schlimmen Nächten für die Juden in Heidelberg und Deutschland. 1940 wurden etwa Tausende Menschen aus Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland in das Internierungslager Gurs deportiert. Von rund 1000 Heidelberger Juden überlebten nur wenige die Nazi-Diktatur. "So zerstörten die Nationalsozialisten das jüdische Leben in Heidelberg", sagte Erichson.
Der Integrationsbürgermeister richtete den Blick aber auch auf die heutige Zeit und machte deutlich, warum das Gedenken für ihn so wichtig ist: "Heute stehen wir hier und halten die Erinnerung wach. Denn Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind in Deutschland nicht überwunden." Rund ein Fünftel der Deutschen hege laut Studien noch immer Vorurteile gegen Juden. "Diese Tatsache muss uns wachrütteln", forderte Erichson - gerade jetzt, wo in Deutschland Rechtspopulisten den Einzug ins Parlament geschafft hätten, wo dort Menschen säßen, "die wieder die alten Vorurteile verbreiten und versuchen, die Menschen im Land gegeneinander aufzuhetzen." Die Erinnerung, so Erichson, verpflichte dazu, sich entschieden gegen diese Gefahr für die Menschenwürde zu engagieren. "Das sind wir all jenen schuldig, derer wir heute gedenken."
Auch Janusz Pawelczyk-Kissin, Rabbiner der jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg, betonte, dass Juden in Deutschland noch immer unter Vorurteilen und Antisemitismus litten. "Ich habe den Eindruck, dass das zu schwach wahrgenommen wird", erklärte der Rabbiner und forderte, dem entschieden entgegenzutreten: "Denn wohin eine solche Politik der Vereinfachung führt, wird uns gerade heute und hier wieder in Erinnerung gebracht."
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Es ist das 27. Mal, dass Pawelczyk-Kissin an der Gedenkveranstaltung teilnimmt. Bei den ersten Malen war er selbst Student und las mit Kommilitonen die Namen der ermordeten Heidelberger Juden vor. Gestern waren es 18 seiner Nachfolger, die fast 20 Minuten lang die mehr als 150 Namen laut vorlasen. Denn nicht einer von ihnen soll vergessen werden.



