"Dann packte ich die Polizisten am Revers"
Esther Bejarano stellt sich immer wieder den Fragen von jungen Leuten. Am Dienstag traf sie Zehntklässler aus Wiesloch.

Von Julia Lauer
Heidelberg. Wie war das damals im Lager? Wie kam sie ins Mädchenorchester? Und wie gelingt es ihr, über all das zu sprechen? Drei Schüler hatten gestern Morgen Gelegenheit, der Musikerin und Auschwitzüberlebenden Esther Bejarano im Hotel Holländer Hof all ihre Fragen zu stellen. Die 95-Jährige beantworte sie gefasst und konzentriert, das Gespräch schien ihr Freude zu bereiten. Adni Bulliqi, Alina Ewert und Alexander Koyro waren dazu aus Wiesloch gekommen – sie sind Zehntklässler der Gemeinschaftsschule, die seit gestern Nachmittag Esther Bejaranos Namen trägt.

> Im Vernichtungslager Auschwitz spielte Esther Bejarano 1943 im Mädchenorchester. Wie kam es dazu, dass sie dort Mitglied wurde? Zunächst war Esther Bejarano zur Zwangsarbeit eingeteilt. "Ich musste Steine schleppen, und meine Kräfte sind geschwunden", erinnert sie sich. Sie hörte davon, dass die Dirigentin ein Orchester zusammenstellte. Bejarano konnte Klavier spielen, doch ein Klavier gab es in Auschwitz nicht – aber ein Akkordeon. Darauf sollte sie den Schlager "Bel Ami" spielen. Mit den Klaviertasten des Instruments kam sie sofort zurecht, anders als mit den Knöpfen. "Ich habe alles Mögliche ausprobiert", sagt Bejarano im Rückblick. Ihr gelang, das Lied zu spielen. "Wenn ich nicht so ein gutes musikalisches Gehör gehabt hätte, hätte ich das nicht geschafft."
Hintergrund
Wiesloch hat Schule nach Esther Bejarano benannt
Wiesloch. (seb) "Eine würdigere Namensgeberin" hätte es kaum geben können: Da war man sich einig, als gestern die nach Esther Bejarano benannte Gemeinschaftsschule in Wiesloch eingeweiht wurde. Der
Wiesloch hat Schule nach Esther Bejarano benannt
Wiesloch. (seb) "Eine würdigere Namensgeberin" hätte es kaum geben können: Da war man sich einig, als gestern die nach Esther Bejarano benannte Gemeinschaftsschule in Wiesloch eingeweiht wurde. Der Neubau für rund 20 Millionen Euro bietet auf 6500 Quadratmetern Platz für je zwei Ganztagsklassen der Jahrgänge 5 bis 10.
"Wir sind stolz, Ihren Namen tragen zu dürfen", sagte Schulleiterin Bärbel Kröhn zum Ehrengast: Für die Schülerinnen und Schüler sei Bejarano "ein Vorbild", die Inspiration, gegen Rassismus und für Völkerverständigung einzustehen.
Sie setze sich unerschütterlich gegen Faschismus ein, hob Oberbürgermeister Dirk Elkemann Esther Bejaranos Mut und Beharrlichkeit hervor. Die Namensgeberin selbst ließ überwiegend die Musik sprechen, gemeinsam mit der Band "Microphonie Mafia". Sie bot an, mit der Schule in engem Kontakt zu bleiben: "Ich bin immer für euch da."
> Zu welchen Anlässen wurde in Auschwitz musiziert? Freien Zugang zu den Instrumenten hatten die Lagerinsassen nicht. "Wir mussten am Tor stehen und Märsche spielen, wenn die Kolonnen zur Zwangsarbeit ausgerückt sind", erzählt Bejarano. Später habe die Schutzstaffel das Orchester auch dann spielen lassen, wenn neue Züge mit Menschen ankamen, die ermordet werden sollten. Es sei ein Vernichtungslager im wahrsten Sinne des Wortes gewesen: Entweder man fiel bei der Arbeit tot um oder man wurde sofort vergast. "Wir haben gewusst, dass diese Menschen in den Tod gehen", erinnert sich Esther Bejarano. Sie und die anderen Orchestermitglieder mussten dastehen und spielen. Hinter ihnen standen Mitglieder der SS, mit geladenen Gewehren. "Wir standen da mit Tränen in den Augen", erzählt Bejarano. "Das war das Schlimmste für mich in Auschwitz, das kann man nicht beschreiben."
> Immer wieder vor Schulklassen über ihre Erlebnisse in Auschwitz zu sprechen, über das Leid, das sie erfahren hat, über die Ermordung ihrer Eltern durch die Nationalsozialisten: Wie ist das für sie? Auch wenn sie ihre Geschichte immer wieder erzählt hat und sie dabei auch gefasst wirkt – es bleibt doch eine Konfrontation, die schmerzt. "Wenn ich etwas erzähle, denke ich automatisch daran: Wie war das damals?", erzählt sie den Schülern. Es habe viel Zeit gebraucht, bis sie ihr Schweigen gebrochen habe. "Ich habe jahrelang nicht darüber gesprochen." Nach dem Krieg war sie nach Israel ausgewandert, hatte eine Familie gegründet. "Ich habe meinem Mann nichts erzählt, ich wollte ihn nicht belasten." Sie hätte es aber auch nicht gekonnt, meint sie.
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> Wie kam es dazu, dass sie schließlich doch Worte für ihre Geschichte fand? Als sie viele Jahre später aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt war und eine Boutique in Hamburg führte, hatten Rechte einen Infotisch in der Nähe ihres Geschäfts aufgebaut. Das war in den 1970er-Jahren. "Das darf doch nicht möglich sein, dass es in Deutschland wieder Nazis gibt", habe sie damals gedacht, erinnert sich Bejarano. Auch die Polizei war vor Ort, es kam zu einem Wortwechsel. Sie sei verärgert gewesen über die Polizisten. "Dann habe ich die Polizisten am Revers gepackt. Ich habe ihnen gesagt: Sie dürfen diese Menschen nicht schützen", erzählt Bejarano. Die Rechten forderten die Polizisten auf, sie zu verhaften, rechtfertigten die Verbrechen der Nationalsozialisten. "Ich habe gedacht: Jetzt reicht es." Das sei der Punkt gewesen, an dem sie die Kraft fand, ihre Geschichte zu erzählen.
> Wie war es für sie zu hören, dass die Gerbersruhschule in Wiesloch nun ihren Namen tragen würde? Zunächst habe sie sich erschrocken, als sie davon erfuhr, gestand Bejarano den Schülern. "Aber dann habe ich überlegt, dass es schön ist, wenn eine Schule nach mir benannt wird, und ich habe mich sehr gefreut."