Wohnprojekt wird nicht fertig – 176 Bewohner betroffen
Noch mindestens vier weitere Wochen soll es dauern, bis der Neubau fertig ist. Etliche müssen in der Zwischenzeit ausweichen. Zum Beispiel auf die Couch von Freunden.

Von Simon Sagebiel
Heidelberg. Eigentlich wollten sie zum Vorlesungsstart nächste Woche einziehen. Doch wenn am Montag das neue Semester an der Universität Heidelberg richtig losgeht, dann ist der Neubau des Collegium Academicum (CA) noch nicht fertig. Deshalb müssen sich jetzt 176 Studierende, Azubis und Doktoranden mindestens vier weitere Wochen gedulden – und viele von ihnen stehen bis dahin ohne Wohnung da.
Der Baufortschritt des selbstverwalteten studentischen Wohnprojekts auf dem Hospital-Gelände in Rohrbach hat sich immer wieder verzögert. Ursprünglich war der Einzug in den vierstöckigen Holzneubau sogar schon vor gut einem Jahr geplant. Dennoch gibt sich Informatikstudent Karl Kraus, der seit sieben Jahren dabei ist, betont gelassen: "Das ist fast so ein Naturgesetz, irgendwas geht halt immer schief." Für die Verzögerung gibt es Gründe: Corona, der Krieg in der Ukraine, daraus resultierende Lieferprobleme von Materialien und fehlendes Personal bei Bauunternehmen. "Es ist üblich, dass Projekte sich verschieben", sagt Kraus.
Johanna Scherzinger, Studentin der Sonderpädagogik, ist eine von denen, die in den Neubau einziehen werden. Die 22-Jährige erzählt, dass erfahrene Bauleute den ursprünglich geplanten Einzugstermin ohnehin für unrealistisch gehalten hätten: "Ein Bauarbeiter hat sich umgedreht, die Baustelle angeguckt und gelacht." Scherzinger sagt: "Wir sind alle Fachfremde, die sich das Wissen nur angeeignet haben."
Das Collegium Academicum (CA), bei dem Studierende selbst zu Bauherren wurden, ist bundesweit einmalig. Das selbstverwaltete Wohnprojekt steht in der Tradition des gleichnamigen Wohnheims, das es bis Ende der 1970er-Jahre in der Altstadt gab. Besonderheiten beim neuen CA sind der nachhaltige Bau, aber auch das flexible Wohnkonzept: Einige Wände sind variabel, sodass die einzelnen Wohnungen und WGs flexibel an die Bedürfnisse ihrer Bewohner angepasst werden können. Es wird eine Aula und viele Gemeinschaftsräume geben – sowie eine Holzwerkstatt, in der jeder seine Möbel selbst bauen oder reparieren kann.
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Zum CA gehört zudem ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der US-Army, das bis nächstes Jahr für 80 Bewohner saniert werden soll. Rund 50 davon sollen junge Leute sein, die nach der Schule ein Orientierungsjahr absolvieren – ein wichtiger Teil des CA-Bildungskonzepts. Finanziert wird das ganze Projekt aus einem Mix von Bundes- und Landesfördermitteln, zinsvergünstigten Bankkrediten sowie Darlehen von Privatpersonen in Form von Direktkrediten und Spenden.
Viele CA-Mitstreiter hatten bis zuletzt gehofft, dass es bis Vorlesungsbeginn klappt – und müssen nun improvisieren. Sonderpädagogikstudentin Scherzinger etwa wohnte bis Mitte Juni noch in WGs, kommt seitdem bei wechselnden Freunden unter, die gerade im Urlaub sind. Die 22-Jährige bleibt optimistisch: "Ich habe immer irgendwelche Leute, zu denen ich gehen kann."
Auch Lisanne Weinreich lebt momentan aus nur einem Rucksack. Bis September hat die Musiktherapiestudentin in einer WG in Kirchheim gewohnt. "Ich wusste, es ist risikoreich, auszuziehen", sagt die 20-Jährige. Dennoch habe sie sich bewusst für den Auszug aus der Wohnung entschieden, um eine stressfreie Übergabe an den Nachmieter zu garantieren. Seitdem kommt sie in der WG eines Freundes unter – das Wohnzimmer dort wurde kurzerhand zu ihrem Schlafzimmer umfunktioniert.
Auch CA-Mitstreiter Jan Dumke musste improvisieren. Der 22-Jährige schläft jetzt in Mannheim auf der Couch eines Bekannten. "Mit dem funktioniert das eigentlich ganz gut." Um seinen Gastgeber nicht zu sehr zu belasten, plant Dumke jedoch, Ende des Monats nochmal die Couch zu wechseln.
Andere künftige CA-Bewohner haben Zwischenlösungen über das Projekt selbst gefunden, wie Jonas Wahn erzählt, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. "Es hat sich ein eigenes Team im Projekt entwickelt, das sich dafür verantwortlich fühlt." Obwohl schon einige in verschiedene Unterkünfte vermittelt werden konnten, sind doch noch viele auf der Suche. Die Studierenden bleiben aber zuversichtlich: "Wir hatten so viele Rückschläge, wir haben es immer gemanagt bekommen", sagt Kraus. Und Scherzinger ergänzt: "Wenn man etwas ausprobiert, kann es auch mal sein, dass etwas nicht klappt." Aber ein Gutes habe das Ganze: "So wird die Vorfreude auf den Einzug immer größer."
Info: Wer übergangsweise Wohnraum anbieten kann, kann sich per E-Mail an collegiumacademicum@posteo.de wenden. Gesucht wird alles – von WG-Zimmern bis hin zu Gartenhütten.



