Heidelberger Uniklinikum startet Aufklärung
Unabhängige Kommission wird zusammengestellt – CDU setzt Ministerin Bauer unter Druck – Klinikchefin las "Bild"-Interview gegen

Im Zentrum der Brustkrebstest-Affäre: die Frauenklinik des Universitätsklinikums. Foto: Alex
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Die Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg, Irmtraut Gürkan, sagte es am Donnerstag selbstbewusst: "Die Uniklinik ist die ideale Plattform, um wissenschaftliche Ideen zum Wohl des Patienten umzusetzen." Das Tochterunternehmen Technology Transfer Heidelberg (TTH) sei erfolgreich in der Vermarktung von Forschungsergebnissen. Über 20 Ausgründungen habe TTH seit 2012 betreut – und vier davon seien sogar geeignet, als "Blockbuster" auf dem Markt zu reüssieren.
Die Heiscreen NKY GmbH nannte Gürkan dabei allerdings nicht. Dabei hätte das thematisch eigentlich gut gepasst, denn ihren Vortrag hielt die Kaufmännische Direktorin am Donnerstagmorgen beim "Ersten Deutsch-chinesischen Life-Science-Forum" in Heidelberg. Dabei ging es um die wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit von Forschern und Firmen beider Länder. Und die Heiscreen NKY, an der TTH mit 80 Prozent beteiligt ist, will schließlich mit dem am Uniklinikum entwickelten Bluttest für Brustkrebs den asiatischen Markt erobern – gemeinsam mit dem chinesischen Pharmaunternehmen NKY Medical.
Nicht nur diese wirtschaftlichen Verflechtungen sind es, wegen derer das Universitätsklinikum seit Wochen nicht aus den Schlagzeilen gerät. Auch die übertriebene PR-Kampagne zum Brustkrebs-Bluttest, dessen Wirksamkeit noch vollkommen unsicher ist, und schließlich die Ausbootung des ursprünglichen Entwicklerteams werfen weiterhin viele Fragen auf.
Hintergrund
Was dem Uniklinikum vorgeworfen wird
> Das
Was dem Uniklinikum vorgeworfen wird
> Das PR-Desaster: Mit einer Pressemitteilung fing alles an: Am 21. Februar 2019 gab das Uniklinikum eine Meldung an die Medien, in der von einem "revolutionären" Bluttest zur Entdeckung von Brustkrebs die Rede war. Und der sei auch schon "marktfähig". Sieben Fachverbände und zahlreiche Wissenschaftler liefen Sturm: Sie kritisierten die PR als unverantwortlich, der Test sei definitiv nicht marktfähig. Und ob er die vollmundigen Versprechungen halten werde, sei mehr als fraglich. Schließlich könne die Details niemand überprüfen - denn eine wissenschaftliche Veröffentlichung gibt es noch nicht, die zugrunde liegende Studie ist noch nicht einmal abgeschlossen.
> Das verschwiegene China-Geschäft: Eine Ausgründung des Universitätsklinikums soll den Bluttest vermarkten, die Heiscreen GmbH. So viel machte das Uniklinikum auch öffentlich. Dabei verschwieg es aber, dass eine zweite Firma, die Heiscreen NKY GmbH, den Bluttest in China vermarkten soll. Bei beiden Heiscreen-Firmen ist die Technology Transfer Heidelberg GmbH (TTHD), eine 90-prozentige Tochter der Uniklinik, jeweils größter Anteilseigner. Die TTHD ist für Ausgründungen von Erfindungen am Uniklinikum zuständig. Seit anderthalb Jahren fliegen die angeblichen Bluttest-Erfinder, Frauenklinik-Chef Christof Sohn und Projektleiterin Sarah Schott, regelmäßig nach China zur Partnerfirma NKY Medical Holdings. Auch ein weiteres Detail verschwieg das Uniklinikum: Der Hockenheimer Unternehmer Jürgen Harder, der Sohn seit Jahren gut kennt, ist mit 39,2 Prozent an der Heiscreen GmbH beteiligt.
> Der Umgang mit Mitarbeitern: Jahrelang forschte ein Team um die Molekularbiologin Rongxi Yang an der Uniklinik an dem Brustkrebs-Bluttest - mit überragendem Erfolg: Yang räumte viele Preise ab und warb das renommierte Exist-Stipendium vom Bundeswirtschaftsministerium zur Gründung eines Start-ups ein. Alles lief perfekt, Yang stellte auch den Kontakt zu der chinesischen Firma NKY Medical Holdings her, arbeitete eng mit TTHD zusammen. Doch in einer denkwürdigen Sitzung im März 2017 verließen die TTHD-Geschäftsführer unter fadenscheinigen Gründen den Saal und ließen die Zusammenarbeit platzen. Wenig später wurde Yang die Leitung des Projekts entzogen - zugunsten Sarah Schotts. Yang und ihr Team verließen daraufhin die Uniklinik.
Jetzt soll eine unabhängige Kommission alle Fragen beantworten. "Das wird alles restlos aufgeklärt", sagte die Leitende Direktorin des Universitätsklinikums, Annette Grüters-Kieslich, gestern gegenüber der RNZ. Die Kommission nehme jetzt ihre Arbeit auf. Ihr Leiter, Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, führe gerade Gespräche mit potenziellen Mitgliedern des Gremiums.
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Wann die Kommission ein erstes Ergebnis vorlegen könne, sei unklar. Grüters-Kieslich schätzt aber zumindest, dass dies nicht mehrere Monate dauern wird. Das Gremium arbeite ehrenamtlich, lediglich Aufwandsentschädigungen wie etwa Reisekosten würden den Mitgliedern erstattet.
Dass die Kommission nun zügig ihre Arbeit aufnimmt, dürfte auch Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer freuen. Denn die CDU-Landtagsfraktion hat einen Antrag eingebracht, mit dem sie versucht, die Ministerin ihres grünen Koalitionspartners unter Druck zu setzen. 15 Fragen zu den Hauptvorwürfen gegen das Uniklinikum hat die CDU gesammelt.
"Wir fordern die Aufklärung der Vorgänge rund um den Brustkrebs-Bluttest", sagt die CDU-Abgeordnete Marion Gentges. "Die PR-Kampagne ohne vorherige Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in einer Fachpublikation, das komplexe Netzwerk wirtschaftlicher Nutznießer und das Ausscheiden führender Köpfe des Forscherteams im Jahr 2017 werfen Fragen auf." Vor dem Hintergrund dieses besonderen Falls müsse zudem grundsätzlich über die Verwertung von Forschungserfolgen gesprochen werden.
Bauer begrüßt die Einsetzung der Kommission, wie sie auf RNZ-Anfrage mitteilte. Es sei zunächst Aufgabe des Aufsichtsrats des Uniklinikums – der sich am heutigen Freitag zu einer Sondersitzung trifft –, die Aufklärung des Sachverhalts voranzubringen. "Darüber hinaus hat das Wissenschaftsministerium das Klinikum auch selber um Aufklärung gebeten", so Bauers Pressestelle.
Den Stein ins Rollen hatte am 21. Februar eine Pressemitteilung des Uniklinikums ("Forscher des Uniklinikums entwickeln ersten marktfähigen Bluttest für Brustkrebs") gebracht – sowie ein Artikel in der "Bild"-Zeitung am selben Tag. "Weltsensation aus Heidelberg" hieß es auf der Titelseite des Boulevardblatts – daneben posierten Frauenklinik-Chef Christof Sohn und die Wissenschaftlerinnen Sarah Schott und Tania Witte Tobar, die sich als wesentliche Entwickler des Bluttests darstellten.
Auf RNZ-Anfrage teilt die Pressestelle des Universitätsklinikums nun mit, dass Klinikchefin Annette Grüters-Kieslich am Tag zuvor "eine Korrektur-Anfrage" für den Text des Interviews mit Christof Sohn im Innenteil der "Bild"-Zeitung erhalten habe. Es sei ihr vorher aber nicht bekannt gewesen, dass die Heiscreen GmbH eine Medienpartnerschaft mit der Zeitung eingegangen sei. Diese Firma wurde gegründet, um den Brustkrebs-Bluttest zu vermarkten. Hauptanteilseigner ist die TTH, aber auch der Unternehmer Jürgen Harder sowie Christof Sohn und Sarah Schott sind beteiligt.
Kritik am Uniklinikum wegen reißt derweil nicht ab
Nun hat sich in Sachen Brustkrebs-Bluttest auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven, zu Wort gemeldet. "Wir haben keine Daten zu diesem Test, es ist völlig offen, ob er irgendetwas taugt", so Nettekoven gegenüber der RNZ. Mit so einer Erfindung dürfe man nicht an die Öffentlichkeit gehen, solange keine vernünftigen wissenschaftlichen Publikationen vorlägen. "Das führt nur zu Ängsten bei den Betroffenen, zu unnötigen Untersuchungen - und in der letzten Konsequenz vielleicht sogar zu unnötigen invasiven Eingriffen."
Nettekoven sagt deutlich: "Das ist unsauber, das ist absolut nicht in Ordnung, das macht man einfach nicht." Er verstehe nicht, wie der Vorstand des Universitätsklinikums diese Öffentlichkeitsarbeit habe zulassen können. Dass nun eine Kommission alles untersuchen soll, findet Nettekoven gut. "Das muss ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden - insbesondere auch, welche Rolle die wirtschaftlichen Interessen dabei spielten."
Ähnlich äußerte sich auch Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft: "Wenn aus wirtschaftlichen Interessen unüberprüfbare Ergebnisse an die Öffentlichkeit gegeben und damit ungerechtfertigte Erwartungen geweckt werden, wirft das einen Schatten auf das Image der Forschung." Kämen Geld und Wissenschaft in einer Hand zusammen, stelle sich die Frage nach Interessenkonflikten.
Bereits im Februar hatten sieben medizinische Fachgesellschaften das Uniklinikum scharf für die PR-Kampagne zu dem Brustkrebs-Test kritisiert. Auch zahlreiche Mediziner und Wissenschaftler haben in den letzten Wochen immer wieder ihr Entsetzen über diese Verletzung wissenschaftlich-ethischer Standards geäußert.