Die Katastrophe in der Heidelberger Hotellerie
Viele Zimmer, riesige Kosten und null Gäste - "Kredite helfen nicht" - Existenzangst auch bei den Mitarbeitern

Von Birgit Sommer
Heidelberg. "60 Zimmer, null Gäste." So sieht es im Heidelberger Hotel Vier Jahreszeiten bei Thomas Weil aus. "Wir haben innerhalb von fünf Tagen 500.000 Euro Umsatz storniert bekommen", entsetzt sich Caroline von Kretschmann, die Chefin des Hotels Europäischer Hof mit 165 Mitarbeitern und monatlich 400.000 Euro Personalkosten. "Das reißt einem den Boden unter den Füßen weg", sagt ein anderer Heidelberger Hotelier, "die Kurzarbeit kann kein Mensch überleben."
Es ist ein absoluter Albtraum, der die Hotellerie in Heidelberg plagt. Noch schlimmer: Ein gutes Erwachen ist keinesfalls garantiert. "Niemand wird in zwölf Wochen den Schalter einfach umlegen können", sagt Mike Neuhaus vom Arthotel, "wir werden dann erst mal auf niedriger Flamme weiterarbeiten".
Thomas Weil, in vierter Generation im Hotelwesen tätig – auch die Gaststätte "Schnookeloch" gehört zu ihm – bewacht derzeit sein leeres Foyer, bestätigt Stornierungen und schreibt E-Mails. An den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), an den CDU-Bundestagsabgeordneten Karl A. Lamers, an das Innenministerium in Stuttgart, an Oberbürgermeister Würzner. Vom Innenministerium bekam er keine Antwort, Würzner schickte Weils Schreiben an das Amt für Wirtschaftsförderung weiter, das ihn bedauerte und trösten wollte: Wenn die Krise beendet sei, seien die Hotelbetten wieder voll.
Hintergrund
Was helfen würde
"Wir sind einer existenziellen Gefahr ausgesetzt", sagt Caroline von Kretschmann, die geschäftsführende Gesellschafterin des Hotels Europäischer Hof in Heidelberg. "Unser Geschäftsmodell bricht zusammen, wir sind auf die Hilfe des
Was helfen würde
"Wir sind einer existenziellen Gefahr ausgesetzt", sagt Caroline von Kretschmann, die geschäftsführende Gesellschafterin des Hotels Europäischer Hof in Heidelberg. "Unser Geschäftsmodell bricht zusammen, wir sind auf die Hilfe des Bundes, der Länder und der Banken angewiesen." Ihre Kernforderungen für die Branche, die sie auch an alle Hotelier-Kollegen schickte:
> Zinsfreie Kredite für laufende Kosten, die langfristig zurückgezahlt werden können, zum Beispiel über zehn Jahre. "Für unsere Produkte gibt es keine Nachholbarkeit: Ein Zimmer, welches nicht verkauft wurde, kann nicht noch einmal verkauft werden. Ein Tisch, der nicht belegt wurde, kann nicht später nochmals belegt werden." Der aktuelle Ansatz, zum Beispiel in zwei Jahren verzinste KfW-Kredite zurückzahlen zu müssen, werde dann in zwei Jahren zu einem Massensterben von Hotels und Restaurants führen.
> Tilgungsfreie Förderungen für Dauerschulden wie Mieten, Pachten oder Nutzungsvergütungen. Auch die Vermieter könnten nicht auf diese Dauerschulden verzichten, da sie häufig selbst Zinsen zahlen und tilgen müssten. "Die berechtigte hoheitliche Einschränkung von Bewirtung und Übernachtung entzieht den Hoteliers und Gastronomen die Geschäftsgrundlage, die Fixkosten laufen aber weiter." Diese Verluste seien zukünftig nicht mehr aufzuholen.
> Sofortige und 100-prozentige Kostenübernahme der Gehälter für Kollegen in Kurzarbeit durch die Agentur für Arbeit."Viele sind auf Trinkgelder angewiesen und kommen durch monatelange Kurzarbeit in existenzielle Probleme", so von Kretschmann.
> Wenn das politische Versprechen eingehalten werden solle, dass sich nach der Krise alle Unternehmen und Arbeitnehmer nicht schlechter stellen sollten als vorher, müsse die Regierung alle Kosten der Unternehmen, die von den Zwangsschließungen betroffen seien, während der Krise übernehmen, findet von Kretschmann. "Als Vergleich könnten die Durchschnittskosten des letzten Jahresabschlusses herangezogen werden." bik
Lachen kann Weil darüber nicht, schließlich muss er jeden Monat 40.000 Euro Pacht aufbringen – für das "Schnookeloch" und sein Hotel, für das er zusätzlich noch ein Gästehaus in der Unteren Straße angemietet hat. Von seinen Vermietern habe nur einer ein Einsehen, erklärt Weil, ein Verwandter. Den anderen sei egal, wo er sein Geld herbekomme. Schadensersatz nach dem Infektionsschutzgesetz gibt es nur, wenn tatsächlich die Geschäftsgrundlage wegfällt, etwa bei Quarantänemaßnahmen oder Tätigkeitsverbot. Weils Betriebsunterbrechungsversicherung gilt sogar für Pandemien. Doch solange sein Betrieb nicht von der Bundesregierung explizit geschlossen wird, so lange er Hotelgäste, die etwa aus familiären Gründen dringend übernachten müssen, aufnehmen könnte und so lange er sein Restaurant als "Take-away" führen darf, fühlt sich keine Versicherung zur Zahlung verpflichtet.
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Caroline von Kretschmann vom Europäischen Hof berichtet dasselbe. "Wir bekommen die Geschäftsgrundlage entzogen – was ich richtig finde, es muss ja alles getan werden, um das Virus zu stoppen", sagt die Hotelchefin. Aber Mittel, die man verzinsen und zurückzahlen müsse, könnten da nicht helfen. "Selbst wenn ich jetzt einen Kredit über drei Millionen Euro bekomme – wie soll ich den je zurückzahlen?"
"Kredite bekommt nicht jeder", weiß Thomas Weil. "Die Banken sagen, dass die allgemeinen Regeln der Kredit- und Darlehensvergabe weiter gelten. Kriege ich mit 58 Jahren also noch einen Kredit?" Da müsste der Staat schon seine Ausfallbürgschaften für die Hausbank auf 100 Prozent aufstocken. Sollte Weil den von der Bundesregierung beabsichtigten mittelständischen Sofortkredit von 15.000 oder 30.000 Euro bekommen, hat er ein bisschen Zeit für Hotel und Restaurant gewonnen.
Dem Hotelier ist bewusst, dass er nicht alleine so dasteht. "In Heidelberg sind 50 Prozent der Hotels und 90 Prozent der Restaurants Pachtbetriebe." Die Ausweitung des Hotelangebotes rund um die Bahnstadt mit 2500 Betten habe schon im Januar und Februar zu Dumpingpreisen in Heidelberg und den Nachbarorten geführt, sodass bei vielen die Reserven aufgebraucht seien. Hinzu kommen in den letzten Wochen die Absagen für Tagungen und Meetings. Touristen dürfen sowieso nicht mehr unterwegs sein.
"Prall gefüllte Auftragsbücher waren innerhalb von drei Tagen leer", sagt ein weiterer Heidelberger Hotelier, "für die Branche ist das ein Desaster". Bis vor Kurzem klagten die Hoteliers und Gastwirte über Mitarbeitermangel. Jetzt müssen sie ihre Leute in Kurzarbeit schicken – mit geringerem Verdienst, Trinkgelder und Zuschläge für Wochenende und Feiertage fallen weg. Existenzangst macht sich breit.
Der Europäische Hof ist nun praktisch geschlossen. "Die schlimmste Krise seit 150 Jahren", findet Caroline von Kretschmann. "In Kurzarbeit auf 40 oder 33 Prozent des Gehaltes verzichten zu müssen, ist ein harter Einschnitt", hat sie den Mitarbeitern geschrieben. Noch hofft sie auf mehr Geld von der Agentur für Arbeit für ihre Leute.
Aber sie hat ihnen auch schon gesagt: "Sollte jemand in vollkommene Not geraten und völlig verzweifelt sein, melden Sie sich, bitte, bei meinen Eltern und mir. Wir würden dann schauen, wie wir privat helfen können. Sie sind für uns alle wie erweiterte Familienmitglieder." Eine Auszubildende hat ihr am Sonntag ein Dank-Schreiben auf den Schreibtisch gelegt: "... wir haben die besten und fürsorglichsten Chefs, die man sich nur wünschen kann ..."