Wann Wildunfälle als unvermeidbar gelten
Auto gegen Reh, Reh gegen Auto, Auto gegen Baum: Ein Wildunfall beschäftigte das Oberlandesgericht Oldenburg. Ein Fahrer forderte Schadenersatz von einer anderen Fahrerin.
Oldenburg. (dpa-tmn) Ein Wildunfall kann selbst dann als unabwendbar gelten, wenn die nach Maßstäben eines Idealfahrers einzuhaltende Geschwindigkeit überschritten wird. Das zeigt eine Entscheidung (Az.: 11 U 3/23) des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg, auf die die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hinweist.
Schwerer Wildunfall in der Dämmerung
Im konkreten Fall ereignete sich ein schwerer Wildunfall auf einer Landstraße, die zwischen einem Waldstück und einem Feld verlief. Dort kamen sich den Angaben zufolge in der Dämmerung zwei Autos entgegen. Als sie sich begegneten, lief ein Reh aus dem angrenzenden Feld auf die Fahrbahn. Dieses prallte zuerst mit dem einen Auto zusammen und wurde dann von der Wucht gegen den entgegenkommenden Wagen geschleudert.
Dort durchschlug es die Frontscheibe und schlug auf den Kopf des Fahrers. Dieser verlor die Kontrolle über sein Auto und kam von der Straße ab, prallte gegen mehrere Bäume. Erst in einem Graben kam das Fahrzeug zum Stehen. Der Mann wurde schwerstverletzt.
Im Nachgang klagte dieser gegen die Fahrerin des entgegengekommenen Autos auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Er warf ihr vor, zu schnell gefahren zu sein. Er war der Ansicht, dass die Kollision durch ein angepasstes Tempo hätte verhindert werden können. Die Sache mussten Gerichte entscheiden.
War die Frau den Umständen entsprechend viel zu schnell gefahren?
Die Frau war den Angaben zufolge mit 80 bis 90 km/h unterwegs. An der Stelle galt Tempo 100. Im Verfahren wurde ermessen, dass ein besonders vorausschauender Fahrer die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h aufgrund der Sichtverhältnisse unterschritten und sein Tempo auf 70 bis 80 km/h beschränkt hätte, auch um gegebenenfalls auf auftauchende Wildtiere besser reagieren zu können und diese frühzeitig auf dem Feld bemerken zu können.
Doch eine weitere Reduzierung der Geschwindigkeit sei von einem Idealfahrer indes nicht zu erwarten gewesen, so die Ausführungen. Ein Sachverständiger berechnete zudem: Nur wenn die Frau mit knapp über 40 km/h gefahren wäre, hätte sie den Unfall verhindern können.
Das OLG Oldenburg wies am Ende eine Revision des Klägers zurück.
Zwar hätte die Fahrerin die idealtypische Geschwindigkeit überschritten. Dies war aber nicht ursächlich für den Unfall. Selbst bei einer geringeren Geschwindigkeit und größtmöglicher Sorgfalt hätte sie den Zusammenstoß mit dem Reh nicht vermeiden können. Und auch ohne einen Zusammenprall mit dem Auto der Frau wäre das Reh laut OLG "vermutlich" mit dem Wagen des Klägers zusammengestoßen.