Das lange Hoffen auf eine neue Niere
Am 17. Juni 1950 wird erstmals eine Niere von Mensch zu Mensch übertragen. Sie arbeitet damals nur einige Monate. Nun ist die Medizin weiter. Doch in Deutschland gibt es seit Jahrzehnten ein Problem.

Bei einer Dialyse wird bei den meisten Patienten das Blut außerhalb des Körpers von Schadstoffen gereinigt, weil die eigenen Nieren das nicht mehr schaffen. Das Verfahren wurde erstmals vor bald 80 Jahren in den Niederlanden erfolgreich eingesetzt.
In Deutschland unterziehen sich heute bis zu 100.000 Menschen dauerhaft dieser Prozedur. Das heißt in der Regel: dreimal die Woche über jeweils mehrere Stunden unter ärztlicher Beobachtung an der Maschine hängen. Nur so wird das Überleben gesichert.
Die Behandlung ersetzt die körpereigene Funktion aber nicht vollständig, so dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen schleichend verschlechtert. Der einzige Ausweg: eine fremde Niere. Sie ist in Deutschland das am häufigsten benötigte Organ.
Als die Transplantation in ihren Kinderschuhen steckt
Vor 75 Jahren wird am 17. Juni 1950 in einem kleinen US-Krankenhaus in einem Vorort von Chicago weltweit erstmals erfolgreich eine Niere von Mensch zu Mensch übertragen. Der Chirurg Richard H. Lawler setzt einer 44-jährigen Patientin in einem 45-minütigen Eingriff das Organ einer Verstorbenen ein. Das Transplantat funktioniert zunächst, muss aber nach zehn Monaten entfernt werden, weil der Körper es abstößt. Lawler führt nie wieder diese Art von Operation durch. "Ich wollte einfach nur anfangen", sagt er später.
In Deutschland erfolgt ein erster solcher Eingriff 1963: In West-Berlin setzen Wilhelm Brosig und Reinhold Nagel einer 21-Jährigen das Organ ein. Nur wenige Tage darauf stirbt sie. Ein halbes Jahr später gelingt denselben Urologen ein erster langfristiger Erfolg bei einer 25-Jährigen, die eine Spende ihrer Mutter erhält. In der DDR gibt es solche Transplantationen ab 1966. Bis heute fanden in Deutschland rund 100.000 Nieren neue Besitzer.
Wie Patienten zu einer neuen Niere kommen
Es gibt die Möglichkeit, dass ein gesunder Partner, Verwandter oder eine emotional nahestehende Person freiwillig eine Niere spendet. So wie bei Bettina Lange. Oder auch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2010 diesen Schritt für seine Frau Elke Büdenbender ging.
Lange und ihr Mann haben sich ungefähr ein Jahr auf die Operation vorbereitet. Sie musste behandelt werden, damit das Organ auch zu ihren Körperwerten passt. "Nach der Operation hat man zwei chronisch kranke Menschen", sagt die 68-Jährige. Regelmäßig geht das Paar zum Gesundheitscheck.
Empfänger nehmen danach heftige Medikamente ein, die das Immunsystem runterfahren, damit die Niere vom Körper nicht abgestoßen wird. Dadurch haben sie ein höheres Infektionsrisiko. Sie sollten auf ihre Ernährung achten und etwa Blauschimmelkäse oder gewisse Zitrusfrüchte meiden.
Viele gesunde Spenderinnen oder Spender können trotz regelmäßiger Untersuchungen bald nach der Transplantation ihr bisheriges Leben weiterführen. Sie verfügen nach Angaben des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) über noch etwa 70 Prozent der ursprünglichen Nierenleistung, was für ein normales Leben ausreiche.
Fremdspenden machen etwa zwei Drittel aus
Die meisten Dialysepatienten sind aber auf die Organe Verstorbener angewiesen. Von den 2.075 hierzulande transplantierten Nieren im Jahr 2024 kam nach Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) rund ein Drittel aus Lebendspenden, die restlichen 1.433 von Gestorbenen.
Guido Lambrecht aus Chemnitz lebt mittlerweile mit seiner dritten fremden Niere. "Die erste hat bei mir acht Jahre gehalten, die zweite fünfeinhalb Jahre. Seit 2018 lebe ich mit der dritten", sagt der 57-Jährige.
Schon im Teenageralter wird bei ihm eine chronische Niereninsuffizienz festgestellt, mit 22 kommt er an die Maschine. "Ich habe die Dialyse nie als Last gesehen, sondern als eine Notwendigkeit. Dann ist das für mich okay, und ich kann damit leben und weitermachen."
24 Jahre alt ist er bei der ersten Transplantation in Berlin-Friedrichshain. Als sich nach der Operation herausstellt, dass die Niere funktioniert, hätten ihn "Glücksgefühle sondergleichen" durchströmt, sagt er. "Ja, das ist dann schon Wahnsinn. Dasselbe war auch 2018." Nachdem die beiden ersten Spenderorgane versagt hatten, musste er zwischenzeitlich wieder an die Dialyse.
Mangel an Freiwilligen
In Deutschland ist die Spendenbereitschaft seit Jahrzehnten überschaubar. 2024 gab es nach DSO-Angaben 953 Gestorbene, denen 2.855 Organe - davon 1.391 Nieren - entnommen wurden. Mit 11,4 Spenderinnen und Spendern pro Million Einwohner nimmt die Bundesrepublik im europäischen Vergleich einen hinteren Platz ein. In Portugal etwa liegt der Wert rund dreimal so hoch, in Spanien noch höher.
Verteilt werden die Organe nach festgelegten medizinischen Kriterien über die Vermittlungsstelle Eurotransplant, der acht europäische Länder angehören. Deutschland erhält von dort mehr Transplantate, als es hineingibt.
Das Warten kann sich hinziehen
Fast 6.400 als transplantabel eingestufte Patienten standen nach DSO-Angaben Ende 2024 auf der Warteliste für eine neue Niere. Manche Mediziner schätzen den tatsächlichen Bedarf sogar auf bis zu 30.000 Menschen.
Die Wartezeit zwischen Dialysebeginn und Operation dauert lange. Bei 18- bis 64-Jährigen sind es einer Studie des Universitätsklinikums Kiel von 2024 zufolge rund sieben Jahre. Kranke Kinder, die Nieren junger Menschen benötigen, werden bevorzugt behandelt, bei ihnen geht es schneller. Genauso bei über 65-Jährigen, da sie über das Programm "Alt für Alt" Organe von über 65-Jährigen erhalten können. Weil mehr Ältere sterben, ist das Angebot hier höher, doch haben diese Transplantate eine kürzere Lebensdauer.
Eine Ursache der langen Wartezeiten: der fortwährende ausgeprägte Mangel an Spendern. Nach aktueller Gesetzeslage nämlich sind in Deutschland Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung zulässig. Teile in Politik und Gesellschaft unterstützen daher die Einführung einer Widerspruchslösung. Damit würden alle als Organspender gelten, solange sie nicht widersprechen.
Eine solche Regelung galt über Jahrzehnte in der DDR - und auch nach der Wende zunächst in den ostdeutschen Kliniken, bevor eine bundesweite Gesetzgebung dem ein Ende machte.
Guido Lambrecht erhielt 1992 nach den alten Regeln seine erste Niere bereits nach zwei Jahren Wartezeit, bei der zweiten waren es schon fünfeinhalb, und bei der dritten sieben Jahre. Er sagt: "Kurioserweise habe ich immer die durchschnittliche Wartezeit eingehalten."
- Aufsatz über Geschichte der Nierentransplantation in Deutschland
- Jahresbericht Organspende und Transplantation in Deutschland 2024, Nieren ab S. 88
- Kieler Studie über Wartezeiten bei Spendernieren
- Liste regionaler Selbsthilfegruppen für Nierenpatienten
- "New York Times" über Richard H. Lawler
- Aufsatz über Geschichte der Nierentransplantation weltweit
- CBS-Bericht über Richard H. Lawler
- Lambrecht beschreibt seine eigene Krankheitsgeschichte
- "Bunte"-Interview mit Steinmeier und Büdenbender über Transplantation
- Deutsche Gesellschaft für Nephrologie über Herausforderungen auf dem Gebiet
- Bettina Lange bei einem Statement zur Organspende 2021
- Transplantationszentrum Marburg über Lebensmittel nach Nierentransplantation
- Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit über Nierenlebendspende
- Informationen über Eurottransplant
- Deutsche Nierenstiftung über Dialyse