Mathias schaut, welche Schäden der nächtliche Besucher angerichtet hat. Das Kennzeichen ist fast abgerissen. Foto: privat
Von Sarah Kringe
Irgendetwas rüttelt von außen an unserem Bus. Ich setze mich im Bett auf. Vor einigen Tagen hat sich in Serbien eine Rotte Schweine am Bus geschubbert. Genauso fühlt es sich jetzt an. Nur dass wir mittlerweile in den rumänischen Bergen sind, wo es keine Schweinerotten mehr gibt. Dafür wilde Bären, von denen wir bereits einige am Straßenrand beobachtet haben. Neben mir ist auch Mathias aufgewacht. "Was ist das?", flüstere ich. "Keine Ahnung, aber hörst du das Schnaufen?", kommt es aus der Dunkelheit zurück. Ich lausche angestrengt. "Könnte auch der Wind sein", murmele ich. Heute Nacht parken wir an einem Bergflüsschen in einer einsamen kleinen Schlucht in den Fagarascher Bergen.
Plan habenVon hier will ich am nächsten Tag die Transfagarasan radeln, die bekannteste Karpatenquerung Rumäniens. Das Prestigeprojekt von Diktator Ceausescu verbindet die Walachei mit Transsilvanien und ist, wie mir eine Website mit der vielversprechenden Adresse quaeldich.de verrät, ein Muss für alle Fahrradfreaks.
Das Rütteln hört zwar nach ein paar Sekunden wieder auf, trotzdem denke ich beim Einschlafen noch lange an die Bären, die wir auf der Fahrt in die Berge vom Auto aus gesehen haben. Am nächsten Morgen stellen wir fest, dass unser vorderes Kennzeichen fast vollständig abgerissen ist. Im Blech sind Bissspuren. Während wir noch den Umstand verdauen, dass in der Nacht irgendein großes Tier versucht hat, unser Kennzeichen zu klauen, bekommt Mathias eine automatische Warn-SMS der nächstgelegenen Kommune. Wir verstehen zwar kein Rumänisch, können uns aber zusammenreimen, dass irgendwo in der Nähe vor einem Bären gewarnt wird. Wo genau und ob das Tier besonders aggressiv ist oder einen Hang zu ausländischen Nummernschildern hat, können wir nicht entziffern.
Mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch steige ich wenig später auf mein Fahrrad. Mathias macht das Versorgungsfahrzeug und will mich mit dem Bus kurz vor dem Pass wieder treffen, da er meine Leidenschaft für kilometerlanges Bergaufstrampeln nicht unbedingt teilt. Während ich allein durch den tiefen karpatischen Nadelwald rolle, wird mir immer mulmiger.
Manchmal kommt minutenlang kein Auto vorbei, die Bäume stehen wie eine Mauer rechts und links der Straße. Ich hatte gedacht, hier ähnlich viele Fahrradfahrer zu treffen wie auf der Hochalpenstraße zum Großglockner. Dass ich weit und breit die einzige Radlerin bin, steigert meine Nervosität. Was mache ich, wenn, so wie gestern, plötzlich ein Bär vor mir auf die Straße läuft und ich nicht im sicheren Auto sitze? Ich erinnere mich, dass Mathias mir erzählt hat, dass man in Bärengebieten viel Lärm machen soll, damit die Tiere einen rechtzeitig hören und sich nicht erschrecken und angreifen. Ich schaue auf meinen Lenker: Natürlich hat mein Fahrrad keine Klingel. Aus Mangel an Alternativen beginne ich zu singen.
Mein Repertoire ist allerdings beschränkt und besteht hauptsächlich aus Songs von den Ärzten. Zudem werden die Steigungen immer steiler und das Singen kostet mich wertvolle Atemluft. Während ich zu Beginn noch aus vollem Hals "Scheint die Sonne auch für Nazis?" schmettere, lasse ich bei "Zu Spät" bereits jede zweite Zeile ausfallen und "Schrei nach Liebe" keuche ich mehr, als dass ich singe. Ob es an meinen Gesangskünsten liegt, die Bären die Ärzte nicht mögen oder ob ich einfach Glück habe – kein Bär streckt heute die Schnauze aus dem Wald.
Kurz vor "Westerland" erreiche ich die Baumgrenze und habe endlich freie Sicht. Das Panorama ist gigantisch: Vor mir die 2500 Meter hohen Gipfel, hinter mir die Serpentinen, die aus dem dunklen Wald herausführen. Mittlerweile hat der Verkehr so stark zugenommen, dass ich mir mehr Sorgen mache, über den Haufen gefahren als vom Bären gefressen zu werden. Ich quäle mich noch weitere neun Kilometer den Berg hinauf und bin unendlich froh, als Mathias, wie verabredet, kurz vor dem Pass auf mich wartet. Bären sehen wir an diesem Tag übrigens keine mehr und als wir abends am Lagerfeuer sitzen und ich Mathias von meinen Gesangseinlagen erzähle, komme ich mir etwas albern vor. Trotzdem beschließe ich im Stillen, bei nächster Gelegenheit eine Klingel für mein Fahrrad zu kaufen.
Fi Info: In loser Reihenfolge berichtet uns Sarah Kringe an dieser Stelle von ihrem Wohnmobil-Abenteuer mit ihrem Freund Mathias.