Von Christoph Schrahe
Die Generalprobe ging gründlich schief. Die Bilder aus Hintertux, wo sich Mitte Oktober Menschenmassen dicht gedrängt, als habe es Corona nie gegeben, langsam in die Seilbahn hoch ins Gletscherskigebiet wälzen, gingen durch die sozialen Medien. Und jeder, der sie sah, war fassungslos: Das soll der Neustart in die Wintersportsaison sein? Gibt es keine Lehren aus dem Ischgl-Desaster im Frühjahr? Meinen die Verantwortlichen es wirklich ernst mit ihren Bekundungen, dass die Gesundheit der Gäste absolute Priorität habe? Und ist es trotzdem eine gute Idee, im wahrscheinlich noch impfstofflosen Winter 2020/21 Skifahren zu gehen?
Aus Hintertux heißt es, Skiclubs und Rennteams, die sich allesamt zur Öffnung der Bahnen um 8.15 Uhr auf dem Vorplatz der Talstation versammelten, um nur ja keine Trainingsminute zu verlieren, hätten für jenen Andrang gesorgt. Mitarbeiter der Bergbahn hätten die Maskenpflicht kontrolliert. Schon kurze Zeit später sei der Spuk vorbei gewesen und die Freizeitskifahrer wären ohne Gedränge vom Parkplatz zum Einstieg durchmarschiert. Damit ist es seit dem 2. November auch vorbei. Zumindest in Österreich zwingt der Lockdown die Skigebiete, die momentan bereits geöffnet wären, zur Unterbrechung der Saison, die dank der besten herbstlichen Schneebedingungen seit Jahren nicht so vielversprechend gestartet war. Mindestens bis zum 7. Dezember stehen die Lifte nun erst Mal still.
Anders in der Schweiz: Dort haben die Gletscherskigebiete Zermatt, Saas Fee, Glacier 3000 und am Titlis in Engelberg an sieben Tagen die Woche geöffnet. Das kleine Areal am Diavolezzafirn oberhalb von Pontresina im Engadin öffnet mittwochs, samstags und sonntags. Hotels sind in der Schweiz ebenfalls geöffnet – wie die Skigebiete unter strenger Anwendung der Schutzkonzepte. Deutsche Touristen können problemlos in die Schweiz einreisen. Erst wenn die 14 Tage-Inzidenz in Deutschland um mindestens 60 höher läge als die Inzidenz in der Schweiz, träte eine Quarantänepflicht in Kraft.
Bleibt das Problem nach der Rückreise. Wegen der sehr hohen Fallzahlen ist die Schweiz als Risikogebiet eingestuft: Wer von dort zurückkehrt, der muss sich in eine zehntägige Quarantäne begeben. Eine Option ist das allenfalls für leidenschaftliche Schneesportler, die ohnehin im Homeoffice arbeiten und ein verständnisvolles und versorgungswilliges soziales Umfeld haben. Seit 1. November steht auch ganz Österreich mit Ausnahme der Enklaven Jungholz und Kleinwalsertal auf der Liste der Risikogebiete, seit 8. November ganz Italien, Frankreich schon seit 24. Oktober. Was, wenn sich an diesen Vorgaben auch nach einem eventuellen Ende des aktuellen Lockdowns nichts ändert? Dann bleiben für all jene, die sich nicht den Luxus leisten können, zehn Tage ihr Heim nicht zu verlassen, eigentlich nur die deutschen Skigebiete als potenzielle Winterurlaubsziele – und natürlich Jungholz und das Kleinwalsertal. Dazu müssen die Skigebiete aber erstmal wieder öffnen dürfen.
Deutschlands einziges Gletscherskigebiet auf dem Zugspitzplatt wollte eigentlich am 13. November in die Saison starten. Daraus wird nichts, obwohl die Zugspitzbahnen diesen Sommer 450000 Gäste beförderten, ohne dass es ein einziger Infektionsfall bekannt geworden ist. Die Hygienekonzepte greifen also.
Skifahrer sitzen im Lift am Stubaier Gletscher. Gesichtsschutz ist Pflicht. Fotos: Stefan Herbke / Tinga Horny / Zermatt BergbahnenAuch die anderen deutschen Top-Gebiete wären gut vorbereitet: Es gelten Abstandsregeln und die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Wartebereichen, Kabinen und sämtlichen Innenräumen. Überprüft würde das zum Beispiel in den Oberstdorfer Skigebieten durch eigens eingestellte Corona-Ranger. Die werden ebenso wie alle anderen Bergbahnmitarbeiter regelmäßig getestet, in einem eigens eingerichteten Testzentrum. Dazu kommen die regelmäßige Desinfektion von Innenbereichen und Seilbahnkabinen sowie die Registrierungspflicht in der Gastronomie.
Was allerdings passiert, wenn das Gros der deutschen Skifahrer im kommenden Winter gezwungenermaßen in Deutschland bleibt, das mag man sich eigentlich gar nicht ausmalen. Von den rund 50 Millionen Tagen, die deutsche Skifahrer in normalen Wintern zusammengenommen auf den Brettern stehen, entfielen bislang rund zwei Drittel auf Österreich. Bereits ein Bruchteil dieses Besuchervolumens würde die Kapazitäten der bayerischen Skigebiete bei weitem überschreiten.
Um Szenen wie in Hintertux zu vermeiden, wird man dann vielleicht doch nicht um die Maßnahmen umhinkommen, die in Nordamerika schon lange vor Beginn der Saison angekündigt und jetzt in den ersten geöffneten Skigebiete auch umgesetzt wurden. So verkaufen Skigebiete wie das seit 6. November geöffnete Keystone in Colorado in diesem Jahr in der Vorsaison keine Tageskarten. Zugang haben nur Inhaber von Saisonpässen und auch die müssen ihre Skitage vorab reservieren. Ähnlich wie im Sommer in den deutschen Schwimmbädern wird die Kapazität somit begrenzt.
Überall Desinfektionshinweise in Hotels und öffentlichen Gebäuden.Der Feldberg im Schwarzwald, das größte Skigebiet der deutschen Mittelgebirge und besonders bei Tagesausflüglern beliebt, was in der Vergangenheit an Spitzentagen regelmäßig zu langen Kassenschlangen führte, wird Liftkarten im Winter 2020/21 nur online verkaufen. So wisse man genau, wie viele Leute an welchem Tag kämen, heißt es von Seiten des Liftverbundes. Wenn das Infektionsgeschehen es erfordere, werde die Ticketzahl beschränkt. Mit dieser Strategie steht der Feldberg bislang zwar alleine, könnte aber rasch zum Vorbild werden, wenn anderswo die Dämme zu brechen drohen.
Viel wird auch davon abhängen, ob Hotels wieder öffnen dürfen, denn es ist nicht ausgemacht, dass die bei Schließungsverfügungen dauerhaft mit Skigebieten in einen Topf geworfen werden. Die Bergbahnbetreiber argumentieren zu Recht, dass ihre Gäste überwiegend draußen unterwegs sind – in den zahlreichen deutschen Skigebieten, die nicht über Kabinenbahnen verfügen, sogar ausschließlich. Geöffnete Skigebiete mit geschlossenen Hotels und Gastronomiebetrieben? Bisher undenkbar, aber warum nicht? Wenn das die Voraussetzung wäre, auch in der kommenden Saison bei der schönsten Sache der Welt, die man angezogen tun kann, Schnee, Natur und Fliehkräfte zu erleben, würden es wohl viele Wintersportler hinnehmen.
Dann allerdings blieben die in Frage kommenden Skiziele auf den Radius einer Tagesreise beschränkt. Glücklich dürfte sich schätzen, wer Pisten vor der Haustür hat. Wie vielen dieses Glück zuteil wird, wird von der Schneelage abhängen. Man kann also nur hoffen, dass es reichlich und bis in tiefe Lagen schneit im kommenden Winter – aber die Hoffnung haben Skifahrer sowieso immer.