Von Win Schumacher
Von der Terrasse ihres Blue Palace Resorts blickt Agapi Sbokou über das sanft gewellte Ägäische Meer hinüber zur Insel Spinalonga. Das Felseneiland war einst eine der letzten Leprakolonien Europas. Bis Mitte der 1950er Jahre versuchte man hier, die Seuchenkranken von den Gesunden fernzuhalten. Heute ist Spinalonga ein beliebtes Ausflugsziel für Kreta-Urlauber, die mit ein wenig Schaudern eine Pause von ihren All-inclusive-Badeferien in den nahen Hotelanlagen einlegen.
Vom Blue Palace kann Sbokou im Sommer sonst immer zusehen, wie Segel- und Motorboote zu Dutzenden das vorgelagerte Inselchen umschwirren. In diesem Jahr sind es deutlich weniger. Die Kreterin leitet gemeinsam mit ihrer Schwester Costantza die Phaea Resorts auf ihrer Heimatinsel. Kreta hatte bisher nur vereinzelte Covid-19-Fälle verzeichnet. Dennoch sind die Touristen im Juli nur zögerlich zurückgekehrt. "Wir haben im Blue Palace aktuell eine Belegungsrate von 20 bei 82 Prozent im letzten Jahr", sagt Sbokou. Das luxuriöseste der fünf Phaea Resorts wird sonst vorwiegend von Briten und Amerikanern gebucht. Der deutschsprachige Markt entwickele sich aber gerade ziemlich gut und Last Minute-Buchungen nähmen zu.
Essensplatz in Alonnisos. Foto: Win Schumacher"Machen wir uns aber nichts vor", sagt Sbokou, "das ist ein Sommer, in dem wir kein Geld machen werden." Viele Hotels auf Kreta haben gar nicht erst geöffnet, andere versuchen, mit Rabatten von bis zu 40 Prozent Gäste auf die Insel zu locken "Es ist unrealistisch zu sagen, es bestünde keine Gefahr", sagt Agapi Sbokou, "wir haben weltweit eine unsichere Lage. Dennoch sind wir, wenn wir uns alle an die bestehenden Maßnahmen halten, ziemlich zuversichtlich, dass wir den Sommer hier genießen können."
Griechenland insgesamt ist bisher sehr viel glimpflicher durch die Krise gekommen als die meisten anderen Mittelmeerländer. Insgesamt etwa 4300 (4279, Stand: 29. Juli) bestätigte Covid-19-Fälle und nur wenig mehr als 200 Tote (203, Stand: 29. Juli) verzeichnet das Land aktuell (Stand: 29. Juli). Das sind Zahlen, die in Spanien und Italien in manchen Regionen von einer einzigen Stadt übertroffen werden. Doch mit der schrittweisen Öffnung für ausländische Urlauber kräuselt sich die bereits abgeflaute Coronawelle der offiziellen Statistik in den letzten Wochen wieder stärker. Während im Mai und Juni die Zahl der bestätigten Neuinfektionen nur vereinzelt über 20 am Tag lag, wurde sie in den letzten Tagen meist mit mehr als 30 angegeben. Viele Griechen verfolgen die Entwicklung mit Sorge.
Anfang Juli wurde eine Reihe an Neuinfektionen auf Touristen aus Serbien und Bulgarien zurückgeführt. Einige der griechischen Nachbarstaaten hatten bis Juni ebenfalls recht geringe Fallzahlen, zuletzt aber deutliche Anstiege verzeichnet. Serben ist die Einreise inzwischen untersagt. Einreisende aus Rumänien und Bulgarien müssen einen negativen Coronatest vorlegen.
Griechenland sei "absolut und zu hundert Prozent" ein sicheres Reiseland, wirbt Tourismusminister Harry Theocharis. Den jüngsten Anstieg der Zahlen führt er auf eine erhöhte Testrate bei der Einreise zurück. "Das bereitet uns kein Kopfzerbrechen." Das Land habe durch umfassende Hygienemaßnahmen und strikte Vorgaben bei den Grenzkontrollen die Situation im Griff. Seit dem 1. Juli müssen Einreisende im Vorfeld ihres Abflugs ein Online-Formular mit persönlichen Angaben ausfüllen. Die Daten werden mit einem Algorithmus ausgewertet und die Passagiere erhalten vorab einen QR-Code. Dieser entscheidet darüber, ob der Einreisende bei der Ankunft getestet wird.
Der Strand von Mátala an der Südküste der griechischen Insel Kreta. Foto: Win SchumacherLängst nicht alle Griechen, die vom Tourismus leben, geben sich so selbstsicher wie ihr Minister. "Wir verfolgen alle gebannt die Statistiken zur Pandemie", sagt Mari Daskalantonakis, Geschäftsführerin von Grecotel, der größten griechischen Hotelkette. "Die Situation in Griechenland ist im Moment sehr gut. Doch wir werden sehr vorsichtig sein. Wenn sich etwas ändert, werden wir reagieren." Bereits jetzt hat Grecotel wie die meisten Hotelketten strenge Hygieneregelungen eingeführt. Das Personal wird regelmäßig auf Covid-19 getestet. Von den 32 Hotels der Kette hat bisher lediglich die Hälfte geöffnet, unter anderem nur zwei ihrer sieben Hotels auf Kreta. Die Grecotels auf Rhodos und Kos werden wohl auch im August nicht öffnen. "Sie sind stark an die Veranstalter gebunden", sagt Daskalantonakis. "Die haben es aber leider nicht geschafft, akzeptable Belegungszahlen zu erreichen."
"Wir haben nur ein Viertel bis ein Fünftel des Umsatzes, den wir normalerweise im Juli haben müssten", sagt Michael Karavás vom Münchner Griechenland-Spezialist Attika Reisen. "Die Leute wollen fliegen. Aber es herrscht eine Unsicherheit bei den Kunden, was die Flüge und Hotelöffnungen betrifft."
Hotels und Restaurants müssen eine Reihe staatlich verordneter Hygiene- und Abstandsregeln einhalten. Für ihre Mitarbeiter und für Reiseführer herrscht eine weitgehende Maskenpflicht. Sie gilt auch für Touristen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis und auf Fähren, seit neustem auch in Banken, Supermärkten und Bäckereien. Wer glaubt, auf den griechischen Inseln stünde die Zeit still, wird vor Ort ein anderes Bild vorfinden.
Griechenlands Tourismusbranche hatte zunächst gehofft, davon zu profitieren, dass viele Sommerurlauber zögern, in diesem Jahr nach Italien oder Spanien zu fliegen. Die Türkei und Ägypten fallen als Konkurrenten aufgrund vorerst weiter bestehender Reisewarnungen auch weitgehend weg. Dennoch blieb der Ansturm auf das Land bisher aus.
Das Gonia-Kloster ist eines der größten Klöster auf Kreta. Foto: Win Schumacher"Der Trend geht noch stärker zu den kleineren, weniger bekannten Inseln wie Paros, Skopelos, Alonnisos und Karpathos", sagt Karavás. Dort fühlten sich die Urlauber sicher. Der 81-jährige Gründer von Attika Reisen hat sich gerade selbst für ein paar Tage in sein Häuschen auf Paros zurückgezogen.
"Wenn hier irgendwo jemand hustet, weiß es am nächsten Tag die ganze Insel", sagt Michalis Reissis über die Situation auf Karpathos. Der 36-Jährige organisiert mit Karpathos Travel als einer von nur drei lokalen Veranstaltern Touren auf seiner Heimatinsel. "Gerade jetzt ist es etwas ganz Besonderes, hier zu sein", sagt er, "man ist an manchen Stränden ganz allein. In diesem Sommer kann man auch den Inselalltag wirklich authentisch erleben." Die Inselregion ist ein Rückzugsort für seltene Tierarten, wie Eleonorenfalken, Delfine und die bedrohten Mittelmeer-Mönchsrobben. Ihnen allen dürfte eine Auszeit vom sommerlichen Touristenandrang sehr gelegen kommen.
Im Nordpindos-Nationalpark, Griechenlands Schutzgebiet mit der größten Landfläche, war es in den letzten Wochen besonders still. "Auch sonst herrscht hier außer in der Vikos-Schlucht nur wenig Andrang", sagt Nikolaos Kyriazis, Forsttechnologe und Nationalpark-Sprecher. "Wanderer haben eigentlich immer genügend Platz." In der Gegend gingen die Meinungen in der Bevölkerung zur Rückkehr der Touristen auseinander, sagt er. Manche fürchten einen Anstieg an Neuinfektionen, andere die wirtschaftlichen Folgen durch die Flaute. "Wenn wir das Virus nicht ausmerzen, werden viele in Hotels und Restaurants ihre Arbeit verlieren."
Blieben Besucher auf längere Zeit weg, sei nicht auszuschließen, dass in Folge gar die Wilderei im Park zunehme. Er hofft, dass Griechenland-Urlauber in diesem Sommer statt des alljährlichen Cluburlaubs auf Kreta oder Kos einmal ganz andere Seiten des Landes erkunden. "Wir haben hier die größte Schlucht der Welt. Touristen können auf den Spuren von Bären, Wölfen und Balkangämsen wandern. Wo ist das sonst schon möglich?" In den wilden Pindos-Bergen, so scheint es, können Touristen jedenfalls getrost Menschen und Viren aus dem Weg gehen.
Informationen zu Griechenland-Reisen unter www.discovergreece.com