Schutzengelmuseum Bretten

Engel-Exponate aus sechs Jahrhunderten

Wer meint, Schutzengel seien eine Spezialität des christlichen Glaubens,
liegt falsch.  Selbst die Römer vertrauten schon den  himmlischen Helfer.

03.12.2023 UPDATE: 03.12.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 23 Sekunden
Die Idee eines schützenden Begleiters findet sich zu allen Zeiten und überall auf der Welt.  Foto: Deutsches Schutzengel-Museum Bretten

Von Heiko P. Wacker

Das kurpfälzische Amtsstädtchen Bretten ist weit über den Kraichgau hinaus für sein Peter-und-Paul-Fest bekannt, aber auch für Philipp Melanchthon, den wohl berühmtesten Sohn der Stadt. Kaum 200 Schritte von dessen Geburtsort entfernt wiederum findet sich das im Herbst 2007 eröffnete Schutzengelmuseum: Wer hinter dem sentimental angehauchten Namen jedoch nur kitschige Devotionalien erwartet, der wird bei seinem Besuch eines Besseren belehrt.

"Gerade auch den Begriff ‚Kitsch‘ muss man ja erklären", mahnt Linda Obhof. "Jedes Objekt ist ein Kind seiner Entstehungszeit, Geschmäcker und Zeiten ändern sich", meint die Leiterin des Museums, das vor mehr als 15 Jahren maßgeblich von ihrem Vorgänger, dem kürzlich verstorbenen Historiker Dr. Peter Bahn, in Bretten aufgebaut wurde. Der promovierte Volkskundler sprach bei seinen Rundgängen zwar auch gerne vom "Kitsch", und verwies hierbei zumeist auf die Porzellanfigur eines hübschen Mädchens mit Engelsflügeln und einer Uhr: "Das, was wir heute als Kitsch abtun, das war früher Kunst, ernsthafte Kunst." Peter Bahn sprach deshalb lieber von populärer Volkskultur.

Inzwischen ist das Zepter in jüngere Hände übergegangen, mit Linda Obhof zog ein wahrlich frischer Wind ins Museum, das mit seiner Südfassade die Optik der Brettener Fußgängerzone bereichert. Dabei stand das veritable Fachwerkgebäude aus dem Jahr 1707 lange Zeit leer, fast zu lange. Es verfiel, war schließlich ein Schandfleck in der Stadt, bis Mitte der 1990er-Jahre die Rettung nahte: Brettener Bürger hatten mit der Sanierung des 1585 errichteten "Gerberhauses" schon Großes geleistet, doch die Sanierung des Schweizer Hofs durch die "Bürgerinitiative Brettener Heimat- und Denkmalpflege" sollte am Ende mehr als 36.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden verschlingen. Wobei Fachfirmen und die Denkmalstiftung Baden-Württemberg die Arbeiten ebenfalls unterstützten. Im Oktober 2001 konnte das Gebäude erstmals präsentiert werden – dass das hier logierende Museum die postalische Adresse "Engelsberg 9" hat, ist natürlich mehr als passend.

Die Idee eines schützenden Begleiters findet sich zu allen Zeiten und überall auf der Welt. Während des Ersten Weltkriegs auf Postkarten. Foto: Wacke

Linda Obhof realisierte im Jahr 2021 eine umfassende Erneuerung des Deutschen Schutzengelmuseums Bretten, das zahlreiche Exponate zum Thema Schutzengel, Schutzgeister und Schutzgötter zeigt. Mit ihren Taschenlampenführungen weiß sie auch die kleinen Besucher zu begeistern. Besonders reizvoll sind die Originale aus sechs Jahrhunderten – verblüffend ist auch die Vielfalt der Darstellungen. "Wir haben Holz-, Kupfer- und Stahlstiche, es gibt Ölgemälde, Lithografien, Ikonen, Bücher bis hin zur bemalten Eierschale mit Schutzengelmotiv. Im Museum zeigen wir zudem Porzellan-, Ton- und Holzstatuen, Eisengusswerke, Schutzengelkerzen oder historische Foto-Postkarten", zählt die Museumsleiterin auf, während wir bei den alten Postkarten stehen bleiben. Denn selbst in der Propaganda des Ersten Weltkriegs hatte der Schutzengel seinen Dienst zu leisten, und zwar hinter allen Fronten: Stets symbolisiert ein passend gewandetes Mädchen den schützenden Begleiter, der Protagonist schleicht mit dem Karabiner durchs Gebüsch oder liegt in Deckung – natürlich nicht im morastigen Schützengraben, sondern sauber und gepflegt hinter einem Trog, nicht einmal der Mantelsaum ist staubig. "Ein Engel schützt mit milder Hand Dein Leben fern im Feindesland", verkündet eine Karte der Sammlung. "Verblüffenderweise bricht diese Art der Postkartenpropaganda nach dem Ersten Weltkrieg ab, für den Zweiten ist keine einzige derartige Darstellung belegt", wunderte sich Peter Bahn schon vor Jahren. Besonders kurios findet Linda Obhof in diesem Zusammenhang: "Wir haben in der Sammlung, es ist auch ausgestellt, das Cover der Kinderzeitschrift ,Schutzengel’ von 1941, auf dem Adolf Hitler hinter zwei Kindern positioniert ist – ganz in der gewohnten Manier des Engels, der über Kinder in Gefahrensituationen wacht." Ohne Frage ein verstörendes Bild. Sehr viel friedvoller gibt sich da die am 2. November dieses Jahres erschienene Briefmarke "Die Botschaft des Engels: Euch ist heute der Heiland geboren". Die Marke zu 85 Cent wird mit einem Zuschlag in Höhe von 40 Cent für die Wohlfahrtspflege verkauft, zu haben ist das kleine Stück weihnachtlicher Philatelie an jedem Postschalter.

Doch zurück ins Museum, das Exponate aus dem katholischen, aber auch aus dem protestantischen und orthodoxen Bereich zeigt, aus dem Islam, dem Buddhismus, dem Hinduismus, den indigenen Kulturen Nordamerikas sowie der antiken römischen Religion. "Das verwundert manche Besucher, die die Figur des Schutzengels zumeist mit dem katholischen Glauben in Kontakt bringen", erklärt Linda Obhof. "Dabei haben wir in den Sammlungen alleine schon Dutzende Konfirmationsfotografien mit Schutzengeln." Zumeist musste oder durfte die Assistentin des Fotografen wie bei den Soldatenkarten in ein passendes Kostüm mit Flügeln schlüpfen, um dann fürs Foto die segnende Hand über die heranwachsenden Protestanten zu halten. Auf ganzen Bilderserien ist die junge Dame stets dieselbe – nur die Kinder wechseln, Akkordarbeit im Fotostudio, aufgepeppt mit Vorhängen, die wie Strahlen wirken und voluminösen Wolkenkulissen, die das Himmelreich auf Erden abbilden sollen.

Die bestehende Sammlung wird durch verschiedene Ankäufe, aber nicht zuletzt auch durch Schenkungen und Dauerleihgaben von privater Seite ständig ergänzt und erweitert. Zudem steht seit zweieinhalb Jahren eine bequeme Sitzecke mit einer Medienstele im Foyer des Museums. "Mit der mobilitätseingeschränkte Gäste eine digitale Führung durch das Museum mit all seinen spannenden Themen erleben können", erläutert die Leiterin des Museums.

Dieses sorgte schon bei seiner Eröffnung bundesweit für Schlagzeilen: "Seitdem ist die Sammlung stetig gewachsen", erklärt Linda Obhof, während sie zu den Exponaten fremder Religionen führt: "Ob man sich nun die ‚Laren‘ der Römerzeit anschaut – eine solche Figur wurde nicht weit von Bretten gefunden –, das Rollbild der ‚Weißen Tara‘, eines buddhistischen Schutzwesens, unseren hinduistischen Hausaltar oder die Suren, die uns die Grüne Moschee aus Bretten zur Eröffnung überreicht hat – überall auf der Welt finden wir die Idee eines schützenden Begleiters." Linda Obhof hält kurz inne, schaut sich im Museum um: "Das ist für viele unserer Besucher irgendwie auch ein tröstlicher Gedanke, gerade in der Adventszeit."


> Infos: 

> Anfahrt: Leider befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Museum keine behindertengerechten Parkplätze. Diese finden sich auf dem Marktplatz sowie am Rathaus, vom Bahnhof Bretten sind es rund 700 Meter zu Fuß bis zum Museum. Die Anreise mit der Bahn ist von Heidelberg in rund einer Stunde und mit einem Umstieg in Bruchsal möglich. Für die Anreise mit dem Auto über die A 5 / B 35 sollte man rund 45 Minuten einkalkulieren.

> Öffnungszeiten: Samstags, sonntags, feiertags 11 bis 17 Uhr, mittwochs 15 bis 19. Uhr. Der Eintritt ist frei, Sonderführungen für Gruppen ab zehn Personen sind auch außerhalb der Öffnungszeiten jederzeit möglich, eine telefonische Anmeldung ist über die Stadtinformation Bretten (Tel.: 07252 / 583710) möglich.

> Besondere Tipps: Schutzengelbasteln für Kinder (6-10 Jahre): 6. Dezember 2023, 17 bis 18 Uhr; bei diesem Workshop begibt man sich in die wundersame Welt der Schutzengel. An diesem Tag in der Vorweihnachtszeit bastelt man gemeinsam weihnachtliche Schutzengelfiguren aus buntem Vlies." (Dauer: ca. 60 Minuten.)

Taschenlampenführung für Kinder (6 bis 11 Jahre): Dienstag, 12. Dezember 2023, 17 bis 18 Uhr; glitzernde Bilder, bunte Engelsflügel und Masken indigener Kulturen führen in die internationale Welt der Schutzengel. Welche Kids sind mutig und erforschen das Schutzengelmuseum bei Dunkelheit mit Taschenlampen? (Dauer: ca. 45 Minuten.)

Die Teilnehmerzahl ist in beiden Fällen begrenzt, eine Voranmeldung bei der Tourist-Info (07252 / 583710, touristinfo@bretten.de) bis zum 29. November bzw. 6. Dezember 2023 ist notwendig, die Teilnahmegebühr von 4 Euro wird am Tag der Führung an der Museumskasse entrichtet.

> Kontakt: Deutsches Schutzengel-Museum Bretten Telefon: 07252 / 972800; E-Mail: schweizerhof@bretten.de; www.erlebe-bretten.de