Von Heiko P. Wacker
Sommer, Sonne, Badestrand: Der Bulli ist ein Schönwettermobil, das weiß man doch! Nun ja, vielleicht. Er ist aber auch ein Schlechtwettermobil. Denn was für Kleider gilt - es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur die falschen Klamotten - das gilt auch für einen Camper. Wir haben es ausprobiert, neulich auf den Lofoten. Nördlich des Polarkreises, im arktischen Winter: Auf der Jagd nach dem Polarlicht.
Das haben natürlich auch schon andere VW-Besitzer gesehen, so viel steht fest. Immerhin hatte bereits der Ur-Bulli - in diesem Jahr feiert er übrigens seinen 70. Geburtstag - das Fernweh-Gen. Trotz bescheiden anmutender 24,5 PS, die der klassische Luftboxer im Heck so aus dem Ärmel schüttelte. Inzwischen sind wir in der sechsten Generation angelangt, der VW Transporter hat sich längst zum veritablen Alleskönner gemausert. Potente Motorisierungen mit flockigen 204 PS sind heute ebenso real wie Allradantrieb oder eine Differenzialsperre. Von so etwas konnte man in den 50er-Jahren allenfalls feucht träumen.
Entsprechend entspannt starten wir ab Bodø nach Nordwesten, Richtung Stamsund, dem wohl wichtigsten Verkehrsknoten im westlichen Teil der Lofoten. Angelaufen wird die Stadt, mit rund 1500 Einwohnern immerhin die viertgrößte auf den 80 Inseln, von den Schiffen der Hurtigruten, der traditionellen Postschifflinie, die die komplette Westküste Norwegens erschließt. Streng nach Fahrplan verkehren diese kombinierten Fracht- und Passagierschiffe von Bergen nach Kirkenes, kehren dort um, und sind nach 12 Tagen wieder in Bergen. Und weil die Schiffe an einer der wohl schönsten Küsten der Welt entlangfahren, steigt die Zahl der mitreisenden Touristen kontinuierlich.
Beliebt nicht nur bei Katholiken: Der an Holzgestellen getrocknete Stockfisch.
Daneben haben alle Schiffe eine wichtige Rolle als Transportmittel entlang der norwegischen Küste zu erfüllen: Einst mussten Waren und auch Autos noch mühsam und zeitaufwendig per Kran auf Deck gehievt werden, heute geht das schnell und effizient per Luke und Lastenaufzug. Beides befindet sich stets an der Backbordseite, also links, und ist gerade groß genug für einen Bulli - und wieder einmal schätzt man die kompakten Abmessungen des T6. Da meint man, in engen Dörfern im Burgund, im Straßengewirr von Marrakesch oder im irischen Hinterland schon genug mit dem treuen Hannoveraner erlebt zu haben - und dann schiebt man ihn hier per Lastenaufzug in einen Schiffsbauch. Mehr oder minder auf den Millimeter, aber perfekt passend, das geht mit keinem "normalen" Wohnmobil. Na, wer sagt’s denn!
Und dann, dreieinhalb Stunden später: Stamsund. Der Himmel gibt sich grau, peitschend jagt der Regen übers Deck - so, als wollten die Lofoten gleich mal klar machen, wer das Sagen hat. Denn hier, gut 100 Kilometer nördlich des Polarkreises, hat ganz eindeutig die Natur die Hosen an, bestimmt das Wetter oft genug des Menschen Tagesplan. Wir werden später noch darauf zurückkommen.
Spezialität: Pils der Lofoten.
Doch der Himmel kann nicht nur grau, er kann auch blau: strahlend, klar, als ob sich eine nordische Gottheit mal eben die Mühe gemacht hätte, jedes Luftmolekül durchzuwaschen. Wer sich nach reiner, frischer Luft sehnt - hier gibt es sie. Fast wundert man sich, dass die Lofotinger noch nicht auf die Idee kamen, ihre Luft in Dosen zu exportieren - nach Stuttgart beispielsweise, wenn mal wieder Feinstaubalarm angesagt ist. Ihren größten Exportschlager kennt man ja auch bis nach Südeuropa: den Dorsch. Getrocknet auf langen Holzgestellen direkt an der Küstenlinie wird aus den Kabeljauhälften im Laufe der Zeit der legendäre Stockfisch, den man nicht nur in der katholischen Fastenzeit schätzt.
Steht man unter solch einem Gestell, dann riecht es recht aufdringlich - gerade, wenn darauf Fischköpfe zu Bündeln gepackt ebenfalls dem Wetter ausgesetzt werden, um später beispielsweise gen Südafrika zu schippern. Das kommt einem so unwirklich vor wie das abendliche Bereiten des Nachtlagers im Bulli, der inzwischen an einem verschneiten Strand parkt, weshalb man sich ein wenig Mühe gibt, und die vor Dreck und Schneematsch starrenden Stiefel quasi beim Hüftschwung ins Auto abwirft. Gleich werden sie in der Trittstufe der Schiebetür im warmen Luftstrom der Standheizung trocknen, während sich die Sitzbank in wenigen Handgriffen zum Bett wandelt.
Bei schönem Wetter nächtigt man natürlich "oben", das gemütliche Doppelbett im elektrohydraulischen Aufstelldach verzückt auch Erwachsene, hat es doch den unbeschreiblichen Charme eines Baumhauses. Und weil VW im Falle des Zeltstoffs seit dem Start der sechsten Transporter-Generation auf Kunststoff setzt, und weder Wassereintritt noch Schimmelbildung mehr ein Thema sind, kann man das Dach auch bei Regen ohne böse Überraschungen nutzen. Indes stürmt es bereits in den frühen Abendstunden - und weil es zur Nacht hin noch heftiger werden soll, verbleiben Dach und Schlafstatt eben unten. Gemütlich ist es hie wie da, auch weil die Standheizung auf leiser Stufe vor sich hinfächelt. Später wird eine normale Decke vollkommen genügen, während es draußen tobt.
Mit Spikes an den Rädern durch enge, vereiste Gassen.
Und doch ist man dem Sturm nicht gram, verspricht er doch Schneisen in der Wolkendecke, durch die man Sterne, vor allem aber das Polarlicht zu erblicken hoffen darf. Eine Garantie gibt es nicht, immerhin aber entsprechende Vorhersagen, die jedoch nichts nützen, bleiben die Wolken dicht. Wenn es dann aber doch zu tanzen beginnt, das Aurora borealis, dann ist alle Theorie - elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes ionisieren Sauerstoff- und Stickstoffatome in der Erdatmosphäre - vergessen, dann blickt man nur noch staunend zum Himmel, ergriffen gar, weder Kälte noch Wind achtend. Und noch Stunden später, wenn man sich wieder fröstelnd in den Bulli verzieht, tanzen die Lichter hinter geschlossenen Lidern. Man möchte zum Lyriker werden.
Der nächste Morgen: Regen peitscht knapp über den Gefrierpunkt, dafür voll gegen die Fenster, während sich am Strand ein paar Surfer tummeln. "Das Wasser hat ja gut sieben Grad, im Sommer ist es auch nich’ viel mehr", verkündet einer mit lakonischem Schulterzucken. Norwegens Küsten bleiben dank Golfstrom eisfrei, und die atlantischen Wellen, die scheinen sich hier ganz besonders gut reiten zu lassen. Ja nun, jeder, wie er’s will.
Wir hingegen betrachten die Wellen lieber vom Lenkrad aus - immerhin macht der Ritt über die vereisten Straßen dank der Spikes mächtig Laune, zumal gleich alle vier Pneus am Eis reißen. Geradezu leichtfüßig lässt sich der ja doch rund 2,5 Tonnen wiegende Hannoveraner über die kleinen und kleinsten Strecken dirigieren. Doch Obacht, die Tunnel sind hier gerne unbeleuchtet, dienen aber Schafherden oder dem Wild zuweilen als Unterstand. Außerdem ragen die Felsen - die Lofoten scheinen stellenweise komplett aus Stein zu bestehen, die Krume ist oft erbärmlich dünn - erfrischend nah an die Fahrbahn, da helfen im Zweifelsfall auch all die modernen Assistenzsysteme nichts mehr. Und an einer Kaltverformung der schicken Bulli-Außenhaut hat niemand Interesse.
Kein Interesse wiederum zeigt das Wetter am Fahrplan der Hurtigruten, wie sich ein paar Tage später herausstellt: Viel zu rasch geht die Reise zu Ende, steht der Rückweg an. Doch auch, wenn die Schiffe länger als andere Verkehrsmittel den Unbilden des arktischen Winters zu trotzen vermögen, so gibt es doch auch hier eine Grenze, und für das Schiff dann keinen Weg hinaus aufs Meer. Wie gesagt - hier im Norden hat die Natur das Sagen, und bringt zuweilen die Fahrpläne durcheinander. Aber manchmal lässt die Natur eben auch die Nordlichter tanzen. Dann ist alles vergeben - und der Mensch schweigt stille …