Von Manfred Probst
Kuba, karibischer Sehnsuchtstraum. Ein ambivalentes Faszinosum unter Palmen, an dessen Puderzuckerstränden die revolutions-mythisch geschwängerte Brandung des von türkis bis dunkelblau leuchtenden Meeres in weißem Schaum ausläuft. Als ein sozialromantisch verklärtes Utopia, so hat sich die größte Antilleninsel in jungen Jahren in mein Bewusstsein geschlichen. Wirkungsstätte des Freiheitskämpfers Che Guevara, dessen weltberühmtes Porträt überlebensgroß im Flur unserer WG prangte.
Einige Jahrzehnte später nun sitze ich auf der Insel, auf einer gemieteten, fast neuen BMW F 800 GS, hinter mir meine Sozia Claudia. Die extreme Mangelwirtschaft der "Sonderperiode in Friedenszeiten" gilt seit Beginn des 21. Jahrhunderts als überwunden, der Tourismus mit weit über zwei Milliarden US-Dollar jährlich als die wichtigste Devisenquelle des Landes. Neben den Pauschalangeboten erfreuen sich Individualreisen zunehmender Beliebtheit. Seit 2010 gibt es die Möglichkeit, Kuba auch auf einem modernen Mietmotorrad zu erkunden.
Dass sich aus der Schnapsidee des Dänen Michael Christiansen und einigen Freunden, 2005 eine Motorradtour durch Kuba zu organisieren, die erste und bislang einzige Motorradvermietung westlicher Bikes entwickelte, ahnten sie wohl selbst nicht. Heute hat das Unternehmen 28 BMW und Harley Davidson während der Saison von November bis April auf der Insel. Danach müssen die Motorräder nach Europa reimportiert werden. Bürokratische Auswüchse des "Sozialismus unter Palmen".
Wir strecken unsere Nasen in den milden Fahrtwind, lassen den morbiden Charme der durchaus lebendigen und lebensfrohen Hauptstadt Havanna hinter uns. Neugierig auf die bevorstehenden Erfahrungen rauschen wir auf dem Highway A 4 Richtung Westen. Das Anbaugebiet des Tabaks, aus dem die begehrten, erstklassigen kubanischen Zigarren gerollt werden, ist unser Ziel. Neben der etwas holprigen Betonpiste wogen weite Zuckerrohrfelder, die sich im Dunst vor den schroff und steil aufragenden Kalksteinhügeln der Cordillera de Guaniguanico verlieren.
Kurz vor der Provinzhauptstadt Pinar del Rìo biegen wir rechts ins Vinalestal ab. Im gleichnamigen Ort haben wir Glück und finden eine gemütliche Unterkunft bei "Miriam y Luisa". Diese "Casas particulares" genannten Privatherbergen finden sich nahezu in jedem Ort. Hinter dem Häuschen wird im "Casa el Mojito", einer mit Palmwedeln bedeckten Hütte, ein köstliches Abendessen serviert. Anschließend zum Sundowner und etwas darüber hinaus der erfrischende Drink des Hauses.
Nach einem ausgiebigen sowie köstlichem Frühstück zeigt uns ein Verwandter von Miriam gleich in der Nachbarschaft ein Trockenhaus für den Tabak. Da er einige Zeit in der DDR studiert hat, spricht er ein wenig Deutsch und erklärt die einzelnen Schritte von der Pflanze bis zur fertigen Zigarre. Nun wird es aber Zeit, sich aufs Bike zu schwingen und die Gegend zu erforschen. Malerisch schlängelt sich die Straße durch rote Erde, die Tabakpflanzen sattgrün nährend. Palmen, Kiefern, dazwischen tropisches Gewächs, einfache Holzhütten, bestellte Felder, bizarre Höhlen.
Aus diesem friedlichen Idyll ragen prägend einzelne mächtige Kegelkarstfelsen, die sogenannten Mogotes, hervor. Sie verzaubern das Tal von Vinales zu einem Meisterwerk der Natur. Entspannt kurven wir weiter an die Nordküste. Über einen schmalen Damm gelangen wir auf die Koralleninsel Cayo Jutías. Palmenbesäumter schneeweißer Sandstrand erstreckt sich über Hunderte von Metern. Nur wenige Leute tummeln sich am türkis-funkelnden Nass.
Nach einem erquickenden Bad tuckern wir zurück zu unserem Quartier, geben uns dem turbulenten Nachtleben des Ortes Vinales hin. Jede Menge Menschen, darunter zahlreiche Touristen, bevölkern die Hauptstraße und die vielen Lokale. Vor der Kirche auf dem Dorfplatz ertönt aus riesigen Boxen Rumba, Mambo, Salsa. Die Menge wiegt sich im Rhythmus, feiert das Wochenende. Für uns geht es am nächsten Morgen schon wieder hinaus aus dem Garten Eden, da wir uns für die nächsten Tage einer Reisegruppe von Edelweiss-Bike-Travel anschließen möchten, Treffpunkt Havanna.
Am Abend treffen wir Jens, den Reiseführer von Edelweiss-Bike-Travel, der uns die weiteren vier Teilnehmer vorstellt. Carlos, ein kubanischer Guide, wird morgen noch zur Truppe stoßen. So rattern wir tags darauf wohl geführt wieder hinaus aus Havanna, diesmal in Richtung Südosten. Unspektakulär landen wir mit einigen Stopps gemütlich am späten Nachmittag in der legendären Schweinebucht und lassen den Tag unterhaltsam bei einem üppigen wie schmackhaften Abendbuffet ausklingen.
Am nächsten Morgen geht es zunächst malerisch an der Küste entlang. Ohne größere Höhenunterschiede biken wir gemütlich unter strahlender Sonne landeinwärts über Cienfuegos nach Trinidad. Das sechzigtausend Einwohner zählende Städtchen, hinter den Escambray-Bergen an der Südküste, wurde wohl schon mit jedem positiven Attribut beschrieben. Und fürwahr gibt es wohl nur wenige, die sich ihrem kolonialen Flair entziehen können. Unzählige Bars, Restaurants und Galerien mit aller Art von Kunst oder was sich dafür hält, versuchen flanierende Touristen anzulocken.
Der Reiseplan zwingt uns leider, das herausgeputzte Städtchen am nächsten Morgen schon wieder zu verlassen. Alsbald werden wir von den Krümmungen unseres Weges, bis hin zur Haarnadelkurve, über den Pico de Potrerillo getröstet. Auf gut neunhundert Meter Höhe schlängelt sich das Teerband - immer wieder schöne Ausblicke freigebend - über tropische Wälder, weite Täler, gratige Bergketten. Wir trödeln dahin, halten mal hier und mal dort, versuchen die Etappe über das Escambray-Gebirge in die Länge zu ziehen, zu intensivieren. Zumal genügend Zeit ist, im nächsten Etappenziel gemütlich bei Tageslicht einzureffen.
Weite Puderzucker-Strände säumen die Koralleninsel Cayo Santa Maria, der Nordküste vorgelagert, zu erreichen über einen 46 Kilometer langen Damm. Hier müssen wir uns von den übrigen Reisegefährten verabschieden, da unser Motorrad morgen in Havanna erwartet wird. Wir genießen nochmals die Fahrt zurück übers Meer. Der Rückweg auf der Carretera Central nach Havanna führt uns über die Stadt Santa Clara. Natürlich lassen wir es uns hier nicht nehmen, der letzten Ruhestätte Che Guevaras einen Besuch abzustatten.
Ehrfürchtige Stille herrscht in dem schummrig beleuchteten Mausoleum, in das 1997 seine sterblichen Überreste gebettet wurden. Noch ein wenig mit diesem Pathos aufgeladen, rollen wir ein paar Stunden später über den berühmten Malecón von Havanna. Zum Glück bleiben uns noch einige Tage ohne Motorrad, in diese verrückte, quirlige Karibikmetropole einzutauchen.