Die magische Stadt Kolumbiens

Mit "Gabo" durch Cartagena de Indias

02.02.2017 UPDATE: 03.02.2017 06:00 Uhr 4 Minuten, 3 Sekunden

Eine bunt gekleidete Palenquera in den Straßen von Cartagena.

Von Rainer Heubeck

Am Spätnachmittag, wenn die Hitze nachlässt und die tief stehende Sonne ein weiches Licht auf die meterdicken Steinmauern wirft, mit denen sich die spanischen Stadtherren einst vor englischen und französischen Piraten schützten, dann wandeln sich die fensterähnlichen Öffnungen in der Stadtmauer von Cartagena de Indias in kleine romantische Fluchtburgen.

Hintergrund

■ Allgemeine Auskünfte erteilt Procolombia, Herr Jewgeni Patrouchev, Telefon 069/1302-3832, www.colombia.travel.

■ Anreise: Mit KLM

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■ Allgemeine Auskünfte erteilt Procolombia, Herr Jewgeni Patrouchev, Telefon 069/1302-3832, www.colombia.travel.

■ Anreise: Mit KLM (www.klm.com) und/oder Air France (www.airfrance.com) über Amsterdam oder Paris nach Bogota, von dort Inlandsflug mit Avianca (www.avianca.com) oder Viva Colombia (www.vivacolombia.co) nach Cartagena, ab 860 Euro retour.

■ Pauschal reisen: Die Best of Travel Group bietet individuelle Rundreisen durch Kolumbien, in die Aufenthalte und Besuche in Cartagena eingebaut werden können. Information und Buchung: Cruising Reise GmbH, Leonhardtstraße 10, 30175 Hannover, Telefon 0511/37-444-70, www.cruising-reise.de.

■ Übernachten: In Cartagena wohnt man idealerweise mitten im Zentrum in einem kleinen Boutiquehotel, ein knappes Dutzend solcher Häuser stehen auf der Website (www.evocahotels.com) zur Auswahl, darunter das Hotel Alfiz, das in einem stilvoll renovierten Stadthaus untergebracht ist und über eine umfassende Márquez-Bibliothek verfügt (Calle Cochera del Gobernador 3, Telefon 0057-5/66-00-006, www.alfizhotel.com, Doppelzimmer ab 180 Euro).

■ Essen und Trinken: Ausgezeichnet zu Abend isst man im Restaurant Cande (Centro Histórico, Calle Estanco del Tabaco No. 35-30, www.restaurantecande.com), das auf Fisch und Meeresfrüchte spezialisiert ist (Filete de Robalo/Fisch in Kokosmilch gedünstet rund 15 Euro). Anschließend geht man ins Café Havana, in dem auch Hillary Clinton schon ausgelassen gefeiert hat: Café Havana, Calle de la Media Luna con Calle de Guerrero, Esquina, http://cafehavanacartagena.com.

■ Gabo-Tour: Der Audioguide "La Cartagena de Gabo" kann bei Tierra Magna ausgeliehen werden (www.tierramagna.com), die Tour wird in fünf verschiedenen Sprachen angeboten, darunter auch Deutsch. Für den Rundgang sollten mindestens vier Stunden eingeplant werden.

■ Adelante: "Los Incontados - Die Nichterzählten", Mapa Teatro, 17. Februar 2017, 18.30 Uhr, 18. Februar 2017, 20.30 Uhr, Marguerre-Saal, Theater Heidelberg, Schauspiel | Performance.

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Junge Pärchen, halb verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit, genießen hier die Abendstunden, legen das Smartphone zur Seite, um zu reden oder zu knutschen. Wer ein Stück an der Wallanlage entlang läuft, der stößt auf das Café del Mar, einen der angesagten Treffpunkte in der Stadt. Am frühen Abend betrachten Touristen und Einheimische hier den Sonnenuntergang, am späten Abend wandelt sich die Bar in einen Nachtschwärmer-Treff, in dem Lounge- und Elektromusik ertönt.

Folgt man der Stadtmauer weiter auf die andere Seite der Altstadt, stößt man auf die Plaza de Santa Teresa. In deren Nähe stand einst ein Militärkrankenhaus, das nahezu direkt in die Stadtbefestigung integriert war. In diesem Krankenhaus landete ein junger Journalist im Jahr 1955 einen echten Scoop. Er interviewte dort einen Matrosen, der im Meer über Bord gegangen war, dramatische Tage auf See verbrachte und dann doch noch gerettet wurde. Die abenteuerliche Geschichte erschien als mehrteilige Serie in der kolumbianischen Tageszeitung "El Espectator", später wurde daraus das Buch "Bericht eines Schiffbrüchigen".

Weil darin zu lesen war, dass das Marineboot wohl vor allem deshalb gekentert war, weil es zu viel Schmuggelgut geladen hatte, gefiel die Veröffentlichung den Regierenden gar nicht. Der junge Journalist, der später den Literaturnobelpreis bekommen sollte, verbrachte die kommenden Jahrzehnte denn auch zum Großteil außerhalb Kolumbiens, vor allem in Mexiko, wo er im April 2014 hochbetagt starb. Seine letzte Ruhestätte freilich hat er mittlerweile in Cartagena - die Urne mit seiner Asche wurde im Mai 2016 in die kolumbianische Küstenstadt überführt und im Innenhof des ehemaligen La Merced-Klosters beigesetzt.

Nach Cartagena de Indias kam Gabriel García Márquez, in Kolumbien meist schlicht "Gabo" genannt, im Jahr 1948, weil das politische Klima in der Hauptstadt Bogotá zu unsicher für ihn wurde. Das erfährt man auf einem Márquez-Rundgang durch Cartagena, der seit einiger Zeit per Audioguide möglich ist. Seine erste Nacht in der Küstenstadt verbrachte Márquez, dessen in der fiktiven kolumbianischen Stadt Macondo spielender Roman "100 Jahre Einsamkeit" später zum Welterfolg wurde, angeblich auf einer Parkbank an der Plaza de Bolívar.

Das Hotel, in dem er unterkommen wollte, war bereits geschlossen. Später arbeitete Márquez bei der Tageszeitung "El Universal" und war dort so eifrig, dass er nachts häufig vor Erschöpfung auf den Papierrollen einschlief. Ein paar Meter von dem ehemaligen Zeitungsgebäude in der Calle San Juan de Dios entfernt hat heute die "Iberoamerikanische Stiftung für neuen Journalismus" ihren Sitz. Diese Stiftung hat Márquez im Jahr 1994 gegründet, um unabhängigen Journalismus in Kolumbien zu fördern.

Das Gebäude der Zeitung, der Sitz der Stiftung, das ehemalige Wohnhaus Gabos, von dem aus Márquez und dessen Familienangehörige, die vor allem dort wohnten, einen Blick über die Stadtmauer hatten, die Plaza de Bolívar, wo der Autor auf einer Parkbank schlief - all diese Orte sieht man bei der Audioguide-Tour durch die Stadt, die auch auf Deutsch angeboten wird. Doch viel mehr noch als den Spuren von Gabriel García Márquez folgt man während der Tour dem Leben von Figuren, die seiner schier unendlichen Fantasie entsprungen sind: Etwa Fermina Daza und Florentino Ariza.

Die beiden stehen im Zentrum der Liebesgeschichte, die Florentino Ariza zwar nicht 100 Jahre Einsamkeit, doch dafür mehr als fünfzig Jahre sehnsüchtiges Schmachten bereitete, einer grandiosen Erzählung, die als Roman und als Film zum Welterfolg wurde - und die wie kaum ein anderes Buch von Márquez die Kolonialstadt Cartagena de Indias, im Roman auch die Stadt der Vizekönige genannt, zur Bühne machte: Die Liebe in den Zeiten der Cholera.

Mit diesem Werk im Gepäck sieht man etliche altehrwürdige Straßen und Plätze in der Stadt mit anderen Augen - etwa den Parque Fernández Madrid im Stadtteil San Diego, eine grüne, schattige Oase in der Altstadt, um die herum sich einige Hostels, Cafés und In-lokale angesiedelt haben, und nordwestlich von der, in der Calle 38, die unscheinbare Iglesia Santo Toribio steht - eine Kirche, aus der die Gesänge und das Orgelspiel weit über den Platz zu hören gewesen sein sollen, weshalb Márquez diesen Platz in seinem Buch als "Parque de los Evangelios" bezeichnet. In diesem Park, so schrieb Márquez in seinem Weltbestseller, wartete der junge Florentino im Schatten der Mandelbäume Stunde um Stunde darauf, Fermina für einen Moment zu Gesicht zu bekommen.

Wer Cartagena de Indias mit dem Márquez-Audioguide durchstreift, der besucht die schönsten und belebtesten Teile der Altstadt. Etwa die Plaza de la Aduana, den früheren Zollplatz, an dem sich jetzt die Touristeninformation befindet. Und die Plaza de los Coches mit dem Uhrturm, einer Art Wahrzeichen der Stadt. Früher waren die Tore unterhalb des Uhrturms der Haupteingang zur Altstadt, die soziale Stellung bestimmte, wer durch welchen Torbogen zu gehen hatte.

Auf der Plaza de los Coches erlebt der Flaneur auch heute noch einen Hauch des turbulenten Treibens, das zu Gabos Zeiten und früher hier geherrscht haben muss: Da sind Straßenhändler mit kleinen Handwagen unterwegs und bieten Getränke feil, einige Meter weiter stehen bunt gekleidete dunkelhäutige Frauen, so genannten Palenqueras, und hoffen auf Trinkgeld für ein Foto, daneben warten Pferdekutscher auf Fahrgäste, mit denen sie über die Kopfsteinpflasterstraßen Cartagenas holpern können.

Das koloniale Cartagena war eine zutiefst katholische Stadt, die spanische Inquisition hatte hier eine ihrer drei außereuropäischen Niederlassungen. Am Colegio de la Presentación, der Mädchenschule, herrschten strenge Sitten, ebenso wie im Kloster Santa Clara. Dort war Márquez in Oktober 1949 als junger Zeitungsreporter dabei, als die Gebeine eines Mädchens exhumiert wurden. Welche Geschichte sich dahinter verbergen könnte, das hat sich der Meister des "magischen Realismus" mit viel Fantasie ausgedacht und im Roman "Von der Liebe und anderen Dämonen" grandios erzählt.

Gabos Wohnhaus, von dem aus er direkt auf das Meer der Karibik blicken konnte, ist ganz in der Nähe des Klosters, das heute als Luxushotel fungiert. Womöglich befand sich der Einstieg zu einem Geheimgang in die Mädchenschule Colegio de la Presentación ja sogar im Garten seines Anwesens - nur wenige Meter entfernt von der majestätischen Stadtmauer, an der sich allabendlich die Liebespärchen treffen.