Lauscha in Thüringen

Christbaumschmuck aus Glas gefertigt

Die Herstellung zählt zum immateriellen Kulturerbe.

30.11.2023 UPDATE: 30.11.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 33 Sekunden
Mundgeblasener Weihnachtsschmuck aus Lauschen. Foto: dpa

Von Dagmar Krappe

Es war im Jahr 1597 als Hans Greiner und Christoph Müller ihre Glashütte errichteten. Die beiden Glasmacher waren nicht neu im Gewerbe. Sie hatten vorher schon in verschiedenen Hütten gearbeitet. Holzmangel und Streitigkeiten mit dem Landesherrn führten sie auf die andere Seite des Lauschabachs. So entwickelte sich vor 425 Jahren die Siedlung Lauscha im Thüringer Schiefergebirge. Auch heute sind in der Region am Rennsteig noch zahlreiche Häuser mit schwarzen Schieferplatten verkleidet, die gegen raue Witterung schützen. Am Hüttenplatz, an dem die Mutterglashütte stand, beginnt die Wanderung auf dem sechs Kilometer langen Glashütten-Rundweg. "Über die Jahrhunderte eröffneten weitere Betriebe rund um den Ort", erzählt Gästeführer Werner Liebermann. "Zunächst erschufen die Glasmacher aus einem geschmolzenen Gemenge aus Quarzsand, Pottasche, Soda und Kalk Butzenscheiben, Medizin- und Trinkgläser." Die grüne Farbe entstand durch den Eisenoxidgehalt des Sandes und prägte den Namen Waldglas.

"Elias Greiner-Vetters-Sohn und sein Sohn Septimus gründeten 1853 die Seppenhütte, um in großer Stückzahl bunte Märbel, also Murmeln, herzustellen. Sie erfanden dafür extra ein Werkzeug, die Märbelschere", berichtet Werner Liebermann. "Aus der Seppenhütte wurde zu DDR-Zeiten ein volkseigener Betrieb. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist es die Elias-Glashütte." Von einer Tribüne aus können Besucher verfolgen, wie Glasröhren und -stäbe in unterschiedlichen Farben per Hand gezogen werden. Sie sind die Ausgangsbasis für Glasbläser und -gestalter, die daraus Baumbehang, Dekofiguren, Tier- und Puppenaugen fabrizieren. Im Gebäude ist auch das Museum für Glaskunst untergebracht. In zahlreichen Vitrinen wird die Entwicklung vom einfachen Waldglas über Prunkgefäße, Glasperlen, -augen bis zu gläsernen Christbaumkugeln präsentiert.

Die Fertigung von Hohlglasperlen für Rosenkränze, Halsketten oder Ohrstecker war ab Mitte des 18. Jahrhunderts der Übergang von der Hütten- zur Heimproduktion. Zunächst passierte dies vor einer primitiven Öllampe. Daher der Name Lampenglasbläserei. Ab 1820 kamen Blasebälge zum Einsatz, wodurch sich die Kraft der Flamme vergrößerte. Nun konnten die Glasbläser größere Kugeln herstellen. Der gläserne Christbaumschmuck war geboren. Nach und nach kamen aus der Natur bekannte Objekte wie Äpfel, Birnen, Nüsse, Tannen- und Eiszapfen, Glocken und Vögel hinzu. Wenige Jahrzehnte später schloss man alle Häuser ans zentrale Gaswerk an, was die Arbeit erheblich erleichterte.

Helmut Bartholmes fertigt in seiner Werkstatt "Thüringer Weihnacht" im nahen Neuhaus im Ortsteil Limbach mit ruhiger Hand und Geschick nach wie vor in altbekannter Weise. Sein Urgroßvater gründete um 1870 die Glasbläserei. Mithilfe eines Gasgebläserbrenners erhitzt er zunächst vorproduzierte Kristallglasröhren. "Durch das Erwärmen wird das Material zähflüssig", erklärt der Glasbläsermeister: "Je nachdem, wie kompliziert die Weihnachtsdeko ist, blase ich sie frei vor der Lampe oder in eine Keramikform ein." Im Anschluss verspiegelt eine Mitarbeiterin die Kugeln und Figuren von innen mit einer Sterlingsilbersalzlösung. "Diese Prozedur war in früheren Jahrhunderten sehr gesundheitsschädlich, da es sich damals noch um eine Blei-Zinn-Legierung handelte", sagt Helmut Bartholmes. Nach der Trocknung werden die Objekte in Lackfarbe getunkt oder erhalten unterschiedliche Farben mittels Airbrush-Pistole. Glas- und Porzellanmalerinnen sind für den finalen Pinselstrich verantwortlich oder tragen noch etwas Glimmer auf.

Im 19. Jahrhundert wurde der Weihnachtsbaumschmuck zur Massenproduktion in Lauscha und Umgebung. "Damals konnten sich Familien nicht wie heute selbst um den Verkauf der Ware kümmern. In der 15 Kilometer entfernten ehemaligen Weltspielwarenstadt Sonneberg gab es Großhändler, sogenannte ,Verleger’, die bereits Holzspielzeug sowie Tiere und Puppen aus Pappmaché in alle Welt vermarkteten", informiert Wanderführer Lothar R. Richter auf dem Glasbläserpfad. "Sie übernahmen zusätzlich den Vertrieb der Weihnachtsartikel. Die Ehefrauen der Glasbläser oder angeheuerte Lieferfrauen trugen in Körben und Holzgestellen, die sie sich auf den Rücken schnallten, bis zu 20 Kilo mit gläsernen Erzeugnissen zu Fuß nach Sonneberg."

Bevor sich der Weg in den dichten Fichtenwald oberhalb Lauschas hineinschlängelt, führt er an der staatlichen Berufsfachschule Glas vorbei. Sie wurde vor fast 120 Jahren eröffnet und ist europaweit die einzige Einrichtung, in der man sich zum Glasbläser mit Spezialisierung Christbaumschmuckgestalter ausbilden lassen kann. Nach einigen Kilometern gemächlich talwärts, ist Steinach erreicht. In einem wuchtigen Schiefergebäude am Ortsausgang befindet sich die Manufaktur Marolin. "Im Jahr 1900 mischte mein Urgroßvater, Richard Mahr, aus Ton, Kaolin, Kreide, Papierfasern und Pflanzenleim eine zähflüssige Masse zusammen, um daraus Krippenfiguren, Weihnachtsmänner, Engel oder Baumbehang herzustellen", sagt Evelyn Forkel und demonstriert, wie die leichten, aber nicht leicht zerbrechlichen Werke angefertigt werden. Hohlfiguren über zwölf Zentimeter entstehen mittels einer fließenden Papiermachémasse in Gipsformen. Für kleinere Figuren und Ansatzteile wie Arme, Beine oder Zubehör wird eine zähe Substanz wie Knetgummi in Formen gedrückt. "Jeden Artikel überziehen wir nach der Bemalung mit einer dunklen Patinierflüssigkeit, die ihm einen sowohl plastischen als auch nostalgischen Effekt gibt", erläutert Evelyn Forkel. "Dies gilt auch für Spielzeug, Märchenfiguren, Haus- und Wildtiere oder Osterhasen."

Kurz hinter der Fabrik folgt der einzige steile und schweißtreibender Anstieg auf den höchsten Punkt von knapp 650 Metern. Danach verläuft der Glasbläserpfad wieder stetig bergab Richtung Sonneberg. Vorbei an den Villen, die sich einst die Verleger bauen ließen. Nur noch wenige Fabrikanten stellen in der Stadt oder im Umland Spielsachen her. Umso interaktiver ist das Deutsche Spielzeugmuseum. Die Rolle der Verleger ist hier multimedial aufbereitet. An Hörstationen kann man den Weg vom Heimarbeiter bis zum Großhändler für Spielzeug und Glasschmuck nachvollziehen. Das Große Sonneberger Handelsprivileg von 1789 sicherte den Verlegern bis zum Ersten Weltkrieg das Monopol für den Handel mit Spielzeug und anderen Waren. Sie fuhren zu Märkten, Messen und Weltausstellungen. Dort präsentierten sie Produkte, Musterkarten oder -bücher, die Vorläufer der Kataloge.

Per Touchscreen kann man durch einige dieser Bücher mit gemalten und später fotografischen Abbildungen blättern. 1880 wurde Franklin Winfield Woolworth aus den USA auf die Lauschaer Glasartikel aufmerksam und ein großer Kunde. Weitere amerikanische Handelsketten folgten. Von der Weltausstellung von 1910 in Brüssel ist die Thüringer Kirmes erhalten. 67 lebensecht wirkende Papiermaché-Figuren tummeln sich auf einem Volksfest. Die Szene zeigt den Marktplatz eines kleinen Fachwerkstädtchens – mit Wirtshaus, Schießbude und Karussell. Dieses ist mit gläsernem Lauschaer Christbaumschmuck dekoriert.


> Informationen: 

> Anreise: Mit dem Auto über die A 6 Richtung Heilbronn, am Kreuz Weinsberg Wechsel auf A 81 / A 3 Richtung Würzburg, über A 7 zur A 71 Richtung Suhl/Erfurt, am Dreieck Suhl auf A 73 Richtung Eisfeld, Abfahrt Eisfeld-Nord. Die B 281 führt direkt nach Neuhaus am Rennweg, Lauscha oder Steinach. Mit der Bahn: RE nach Mannheim, ICE nach Eisenach, RB (Süd-Thüringen-Bahn) nach Sonneberg, Steinach, Lauscha oder Neuhaus am Rennweg. Zwischen Sonneberg und Neuhaus am Rennweg verkehrt die Süd-Thüringen-Bahn stündlich.

> Wandern: Sechs-Kilometer-Wanderung auf dem Lauschaer "Glashütten-Rundweg" zu ehemaligen und noch produzierenden Betrieben. 15-Kilometer-Wanderung auf dem "Glasbläserpfad" von Lauscha nach Sonneberg; www.outdooractive.com

> Museen: Glasmuseum Lauscha; www.glasmuseum-lauscha.de, Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg; www.deutschesspielzeugmuseum.de

Glas- und Papiermaché-Produktion (ganzjährig geöffnet): Elias Glashütte in Lauscha; www.farbglashuette.de

Thüringer Weihnacht in Neuhaus am Rennweg/OT Limbach; www.glas-bartholmes.de

Papiermaché Marolin in Steinach; www.marolin.de

Glaszentrum Lauscha; www.glaszentrum-lauscha.de

Am ersten und zweiten Adventwochenende findet jeweils von 10 bis 18 Uhr der Lauschaer Kugelmarkt statt. Dieses Jahr sind es jeweils Samstag und Sonntag, 2. und 3. sowie 9. und 10. Dezember.

> Weitere Infos: www.lauscha.de; www.thüringen-entdecken.de