Baden-Württemberg

Der Kocher-Jagst-Radweg führt durch schöne Wiesentäler

Dort kann man wahre Schätze entdecken, wohl behütet von heimatverbundenen Menschen

21.05.2021 UPDATE: 22.05.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 1 Sekunde
Alte Mühlen bei Forchtenberg. Fotos: Karin Kura

Von Karin Kura

Kocher und Jagst fließen in respektvollem Abstand parallel zueinander und münden am Ende beide in den Neckar. Mitten durch das Hohenloher Land suchen sich die Flüsse ihren Weg. Und um es gleich vorweg zu sagen: Die Hohenloher sind keine Schwaben. Nein, sie sind Franken. Denn Franken gibt es nicht nur in Bayern, sondern auch in Baden-Württemberg. Der Unterschied ist den Menschen wichtig. Das trifft auch auf Frank Winkler zu, der eine Weinstube und Pension in Forchtenberg am Kocher betreibt. Mundart ist seine Leidenschaft, und in der Band Annâweech, was so viel wie "trotzdem" bedeutet, da wird Hohenlohisch gesungen. Und der "klingt nicht so breit wie das Schwäbische", wie Winkler erklärt.

Forchtenberg am Kocher liegt 44 Radkilometer von Schwäbisch Hall entfernt. Die Stadt ist übrigens auch fränkisch geprägt, nicht schwäbisch, wie der Name vermuten lässt. Und sie gehört zu den schönsten in ganz Süddeutschland. Dort startet die Tour. Der Plan ist, den Kocher hinunter zu radeln, die Jagst hinauf. Das sind rund 200 Kilometer Flusslandschaften, insgesamt zählt der Radweg 332 Kilometer. Mitten durch weite Wiesentäler führt der Weg hinter Schwäbisch Hall luftig-lauschig am Waldrand entlang. Ein paar Kocher-Seitenwechsel über hölzerne Torbrücken, die alten Bohlen klappern unter den Reifen. Weinberge folgen, die Reben gedeihen auf Hängen aus Muschelkalk, den hat besonders die Silvaner-Traube gern.

Jenseits des Radwegs entlang von Kocher und Jagst gibt es viel zu entdecken.

Dann kommt Forchtenberg mit seinem mittelalterlichen Kern, umgeben von einer gut erhaltenen Stadtmauer. Nicht nur für die Sprache, auch für den Erhalt alter Häuser engagiert man sich hier. Da gibt es etwa Ferdinand Fröscher, ein junger Winzer und gerade dabei, die historische Kelterei zu renovieren. Einen Weinausschank hat er dort bereits eingerichtet, ein paar Gästezimmer sollen hinzukommen. "Forchtenberg ist so schön wie Schwäbisch-Hall, nur eben kleiner", meint der 30-Jährige. Auf jeden Fall besitzt der gut 5000 Einwohner zählende Ort eine absolute Seltenheit: Die vielleicht älteste Turmuhr der Welt; sie stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Am nächsten Tag geht es weiter. Durch Mais und Getreidefelder, mal über einen Platten-Grasweg, mal auf einem alten Bahndamm schnurgeradeaus wie bei Ohrnberg. Dann schwingt sich hinter Bad Friedrichshall, wo der Kocher in den Neckar mündet, der Radweg sanft durch Wiesen. Und plötzlich ist sie da: die Jagst. Ein Strom in Blassgrün. Er wirkt wild, ursprünglich. Die Jagst bietet einen der letzten ökologisch noch weitgehend intakten Flusslebensräume in Baden-Württemberg. Kiesiges Flachwasser dient als Laichplatz und Kinderstube vieler Fische, beheimatet auch den Flussuferläufer, Muscheln, Schnecken und anderen Kleintiere.

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Immer wieder versteckt sich der Fluss zwischen mächtigen alten Bäumen, darunter verwachsene Weiden, manchmal lugt zwischen den Bäumen eine Ansammlung gelber Sumpfdotterblüten aus dem Wasser hervor. Man fährt durch Minidörfer, weniger geschäftig geht es hier zu als am Kocher. Dafür beschenkt einen das Jagsttal mit mehr Steigungen, aber noch kommen sie moderat daher.

Burge des Götz von Berlichingen in Jagsthausen.

Es ist schwül heute. Kurze Zeit später zieht ein schwarz drohender Gewitter-Himmel auf. In Möckmühl nur ein kurzer Blick auf das Rathaus-Fachwerk in Gelb. Dann schnell weiter. Bis nach Jagsthausen. Domizil des legendären Götz von Berlichingen, der Ritter mit der eisernen Hand. Seine Nachfahren leben noch heute im edlen Ensemble von Rotem Schloss, Weißem Schloss und der Götzenburg. Bekannt ist der kleine Ort für die Burgfestspiele, die coronabedingt nunmehr zum zweiten Mal ausfallen müssen. Es ist schön, im Hof des Roten Schlosses zu sitzen und den Tag bei einem Wein ausklingen zu lassen.

Morgens prasselt der Regen gegen die Fensterscheibe. Mit einem ausgedehnten Frühstück lässt sich das Nass aber gut aussitzen. Gegen zehn Uhr geht’s los. Bei fast schon ohrenbetäubenden Vogelgesängen. Tief hängt der Himmel. Immer wieder beeindrucken an diesem Radweg die ausgedehnten Tal-Wiesen, manchmal mit blühenden Blumen bestückt. Das macht einfach gute Laune. Über kleine steinerne Brücken wechselt der Weg die Uferseite. Es gibt so viel Zeit und Raum, das satte Grün der Natur auf sich wirken zu lassen.

Mit einem Problem haben Radler allerdings zu kämpfen: Sie könnten fast verhungern und verdursten an der Jagst, wenn Montag ist. Denn montags ist alles zu. Ruhetag. Zumindest gegen den Durst helfen da zwei Trinkstationen, eine steht in Unterregenbach. In Form einer großen alten Truhe, gefüllt mit Durstlöschern. Wer sich hier auf dem Gelände von Hans-Jörg Wilhelm umschaut, der staunt nicht schlecht: Da gibt es eine alte Kirche, dazu ein herrschaftliches Pfarrhaus, das wie ein kleines Schloss anmutet.

Im Keller verborgen liegt eine Krypta. Sie war Teil einer über tausend Jahre alten großen Kirchenanlage mit zwei Basiliken. Ein religiöses Zentrum, auch ein Wallfahrtsort, und irgendwie alles viel zu riesig für das 50-Einwohner-Dorf im Tal der Jagst. Warum und von wem wurde ausgerechnet hier nichts Geringeres als die damals größte Kirche Württembergs gebaut? Die Krypta, vielleicht für Angehörige der Herzöge von Schwaben gedacht, blieb leer. Seit vielen Jahren tüfteln Archäologen am sogenannten "Rätsel von Unterregenbach".

Abstecher zum Winzer, etwa zu Hans-Jörg Wilhelm.

Das Rätsel in seinem Keller lässt auch Hans-Jörg Wilhelm nicht los, regelmäßig führt er Besucher-Gruppen zur Krypta. Neben der Archäologie hat der 49-Jährige noch eine zweite Leidenschaft: Er produziert Birnen-, Quitte- und Apfel-Schaumwein. Wilhelm trägt einen Strohhut, unter dem ein kleiner Zopf hervor lugt, ein kleines Bärtchen ziert sein Kinn. "Es ist ein aufwendiger Prozess, Schaumwein herzustellen", sagt er, "eine Flasche liegt schon mal achtzehn Monate lang auf Gärung." Er erzählt, dass von der Ernte auf den Streuobstwiesen bis zum fertigen Produkt ungefähr zwei Jahre vergehen. "Am Ende fühlt es sich fast wie ein Geschenk an", sagt Wilhelm und lacht.

Ein paar Kilometer hinter Unterregenbach kommt er, der erste wirklich steile Berg dieser Tour. Bei Hessenau. Genau richtig zur Stärkung steht dort ein Trinkautomat mit Flaschen zum Herausziehen. Man hat die Wahl, entweder auf der recht befahrenen Straße ins wenige Kilometer entfernte Kirchberg zu radeln, oder über Wirtschaftswege sein Ziel zu erreichen. Dann allerdings über knackige Steigungen. Die Entscheidung fällt für die Route abseits der Straße. Das wird hart, wenn man so mit Fahrrad ohne Motor unterwegs ist. Die E-Bikes dominieren. Aber es gibt noch ein paar andere von der motorlosen Sorte. Sie sind leicht zu erkennen als diejenigen, die am Berg kleben bleiben. Und schieben. Gut zu wissen: Echt steile Abschnitte sind auf der gesamten Radstrecke sehr selten.

Kirchberg liegt oben. Die idyllische Kleinstadt überragt das Schloss, eine ehemalige Residenz der Fürsten von Hohenlohe-Kirchberg. Dazu gibt es ein barockes Stadttor mit Stadtturm, angrenzend liebevoll restaurierte Häuser. Alles auch ein bisschen grün-alternativ angehaucht. Aber noch immer ist Montag. Und auch in Kirchberg ist alles geschlossen. Einzig eine Pizzeria hat zum Take-away geöffnet. Hungrige Radler und auch zwei Wanderer sammeln sich am Restaurant, gehen dann mit der dampfenden Pizza gleich um die Ecke zu einer Sitzbank. Davor stehen ein langer Tisch und Stühle, aufgestellt von den Kirchbergern, als Treffpunkt. Es kommt immer mal jemand zum Schwätzen vorbei, zum Beispiel die Besitzerin vom Töpferladen gleich gegenüber. Schwätzen, das ist wichtig im Ländle. Egal, ob Hohenlohisch oder Schwäbisch.


Kocher-Jagst-Radweg: Vom ADFC als 4-Sterne-Route ausgezeichnet, ist der Radweg fast ausnahmslos asphaltiert und in beide Richtungen gut ausgeschildert. Er dreht eine 332 Kilometer weite Runde, dafür werden sechs Radfahrtage empfohlen. Praktisch ist, dass man über 13 Querverbindungen die Route individuell zusammenstellen kann (www.kocher-jagst.de).

An- und Abreise: Bei Start in Schwäbisch Hall: Züge aus Stuttgart und Nürnberg (jeweils ca. 1,5 Stunden Fahrt) steuern den Bahnhof Schwäbisch Hall-Hessental an, dort steigt man in die Regionalbahn um. In wenigen Minuten ist das Stadtzentrum erreicht. Mit dem Auto über die A 6 aus Richtung Heilbronn. Endpunkt könnte Crailsheim sein, von dort kommt man mit der Bahn in 20 Minuten zurück nach Schwäbisch Hall-Hessental. Wer die gesamte Runde (332 km) fährt, startet und endet die Radtour in Aalen.

Übernachten: "Oma Marie", Forchtenberg, DZ ab 60 Euro (www.oma-marie.de); Kloster Schöntal, DZ ab 75 Euro (www.kloster-schoental.de); Hotel Post Faber, Crailsheim, DZ ab 102 Euro (www.postfaber.de)

Allgemeine Infos: www.hohenlohe.de