Nachhaltiger Konsum

Die Krisen gehen auch an den Unverpackt-Läden nicht spurlos vorbei

Corona-Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine mit all ihren Folgen setzen vielen Unverpackt-Läden zu. Eine Händlerin in der Heidelberger Bahnstadt musste bereits aufgeben. Dem Inhaber von "Annas Unverpacktes" ist jedoch nicht bang.

28.03.2023 UPDATE: 28.03.2023 06:00 Uhr 5 Minuten, 18 Sekunden
„Annas Unverpacktes“ im Heidelberger Stadtteil Neuenheim: 286 Unverpackt-Läden gibt es derzeit noch in Deutschland, vor einem Jahr waren es noch 337. Fotos: Marco Partner

Von Marco Partner

Heidelberg. Einkaufen ganz ohne Plastikumhüllung, in Zeiten des Klimawandels einen Konsumstil führen, ohne unnötigen Müll zu produzieren. Seit nun fast zehn Jahren gibt es verpackungsfreie Läden, können umweltbewusste Kundinnen und Kunden ihr Mehl, ihre Nudeln oder Nüsse wiegen lassen und in mitgebrachten Schraubgläsern oder Säckchen verstauen. Doch die zunächst stetig steigende Nachfrage bekam zuletzt eine Delle: 2022 gab es in Deutschland zwar so viele Unverpackt-Läden wie noch nie, gleichzeitig aber ist die "Unverpackt"-Branche auch von so vielen Schließungen betroffen wie nie zuvor. Leidet die Nachhaltigkeit als Erste unter den derzeit stark steigenden Preisen?

Für Sibylle Klessen ging ein Traum zu Ende. Im November 2019 eröffnete sie den Unverpackt-Laden "mitohne" in der Bahnstadt in Heidelberg. Mit einem großen Sortiment an trockener Ware wie Reis, Buchweizen oder Müsli. Drei Jahre später aber musste sie den Laden wieder dicht machen. "Wenn man sieben Stunden im Laden steht und nur noch zehn Kunden bedient, lohnt es sich nicht mehr. Auch Werbeaktionen und Studenten-Rabatte haben nicht gezogen", erklärt sie, warum sie im Herbst 2022 die Reißleine zog.

Seit 2018 führt Andreas Wille den Laden, in dem er selbst früher Stammkunde war.

An sich ist das Thema den Menschen in Deutschland durchaus wichtig. Mehr als drei Viertel achten laut einer Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey beim Einkauf auf Faktoren wie plastikfreie Verpackung, niedrigen CO2-Fußabdruck oder Tierwohl. Und je jünger die Kundinnen und Kunden, desto eher sind sie demnach bereit, für nachhaltige Produkte tiefer in die Tasche zu greifen. "Wir sehen noch viel Potenzial beim Thema Nachhaltigkeit", hieß es 2021 bei McKinsey. Doch haben die Krisen der letzten Zeit auch hier ihre Spuren hinterlassen.

Ein Rückgang bei der Anzahl der Kundinnen und Kunden sei bereits kurz nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine spürbar gewesen, erzählt Sibylle Klessen. In dessen Folge explodierten die Energiepreise, stieg die Teuerung insgesamt auf immer neue Rekordhöhen. "Aufgrund der viel diskutierten Energiekrise waren die Leute verängstigt. In der Inflation müssen sie auf jeden Cent achten", betont Sibylle Klessen. Vor allem Studenten kamen seltener. Die Preise in Klessens Laden aber stiegen nur bedingt. "Es gab Lieferengpässe, die meisten Preise aber waren stabil, schließlich handelt es sich zum Großteil um getrocknete Ware, die schon im Vorjahr geerntet wurde", verrät sie.

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Bundesweit wird über Schließungen berichtet. Zählte man im Januar 2022 noch 337 Unverpackt-Läden, waren es zum Januar 2023 nur noch 286, teilt der Verband der Unverpackt-Läden mit. Meist werden steigende Lebensmittelpreise, Inflation und Energiekrise als Ursachen genannt. Weitet man aber die zeitliche Perspektive und schaut sich bei etablierten Unverpackt-Läden um, findet sich noch ein weiterer Grund.

Seit 2015 gibt es den Laden "Annas Unverpacktes" im Heidelberger Stadtteil Neuenheim. Nicht nur Nudeln und Nüsse, auch Mini-Brezeln, vegane Süßigkeiten oder Schokolinsen gibt es hier, meist in durchsichtigen Gefäßen. Der Inhaber heißt gar nicht mehr Anna, sondern Andreas Wille. Früher selbst Stammkunde, hat er den Laden 2018 übernommen. Und somit schon die eine oder andere Krise mit- und überlebt.

"Während Corona wurden vor allem kleine Läden gemieden, auch aus hygienischen Bedenken", erzählt er. Dabei ist es in dem kleinen Geschäft sauberer als in manchem Supermarkt. "Viele dachten auch, wir hätten geschlossen, Pendler sind weggefallen und das Kaufverhalten hat sich geändert", erinnert sich Wille. Durchaus auch mit positiven Effekten. "Restaurants und Cafés waren geschlossen, die Leute im Homeoffice haben während der Lockdowns mehr Lebensmittel eingekauft und auch ausgewählter. Das haben wir gespürt", sagt er.

So oder so ähnlich sah die Situation in vielen Unverpackt-Läden aus. Doch gibt es auch feine Unterschiede: In Neuenheim etwa konnte sich "Annas Unverpacktes" über die Jahre eine Stammkundschaft aufbauen – in der Bahnstadt jedoch war das Geschäft gleich zu Beginn von Unruhe geprägt. "Studenten, die in den ersten Monaten regelmäßig kamen, waren plötzlich nicht mehr da", erinnert sich Sibylle Klessen. "Während Corona haben Leute eingekauft, die danach nicht mehr gekommen sind. Es war ein ständiger Wechsel, die Kundschaft ist nie mehr geworden, aber immer anders."

Schon bei der letzten Jahreshauptversammlung des Unverpackt-Verbandes habe sie deutlich weniger Mitglieder angetroffen. "Die Unverpackt-Szene ist bunt. Mit viel Enthusiasmus, und manchmal weniger BWL", sagt Sibylle Klessen. "Ich denke, viele Läden wurden auch von einer grünen Welle mitgetragen. Doch als man anfangen musste zu rechnen, wurden Schwächen aufgedeckt." Sie selbst kalkulierte viel – und zog frühzeitig den Schlussstrich. "Sonst hätte ich mich irgendwann verschuldet", betont sie.

Auch "Annas Unverpacktes" verzeichnet noch nicht den gleichen Umsatz wie vor der Pandemie. Mit dem Begriff "Krise" aber ist Andreas Wille vorsichtig. "Es ist nicht wegzudiskutieren, dass Unverpackt-Läden schließen mussten und es manchen Läden schlecht geht", sagt er. "Aber es ist auch nicht so, dass die Preise in Nullkommanix durch die Decke geschossen sind oder es von heute auf morgen keine Unverpackt-Läden mehr geben wird."

Tatsächlich sind mit Blick auf die Lebensmittelpreise gerade Verpackungen großen Preisschwankungen unterworfen. "Wir haben stabile Produkte wie Haferflocken, da ist der Preis seit fünf Jahren unverändert", sagt Andreas Wille. Bei Sonnenblumenöl oder exotischen Produkten wie Cashews oder Macadamia sei hingegen ein Anstieg zu verzeichnen. Ob die Kunden nun eher zu Erdnüssen greifen, kann Wille nicht sagen. Was aber auch in Neuenheim auffällt: Die Studenten betreten gefühlt seltener den Laden und achten beim Einkaufen mehr aufs Geld als auf die Vermeidung von Verpackungsmüll.

Dass auch große Supermärkte inzwischen eine Unverpackt-Ecke eingerichtet haben, empfindet Wille weniger als Konkurrenz. Und doch hat auch das Auswirkungen. "Vor fünf Jahren gab es festes Shampoo fast nur in Unverpackt-Läden, das hat uns stabilen Umsatz gebracht", sagt er. Wenn nun größere Firmen auf solche Trends aufsprängen, führe das bei Unverpackt-Läden zu Umsatzrückgängen. Dennoch fügt er hinzu: "An sich ist es aber gut, wenn das Thema Verpackung dadurch ins Bewusstsein rückt."

Rund 226 Kilogramm Verpackungsabfall produzierte jeder Einwohner Deutschlands im Jahr 2020 durchschnittlich laut Umweltbundesamt. 18,8 Millionen Tonnen Müll fielen im Land insgesamt an. Damit liegt Deutschland weit über dem EU-Durchschnitt. Reduzieren lässt sich dieser Verpackungsmüll etwa, indem man seine Einkäufe in mitgebrachte Behälter und Beutel füllt – wie

Die meisten Kundinnen und Kunden betreten seinen Laden aus Überzeugung, erklärt Andreas Wille in seinem Laden in Neuenheim – nicht einem Trend folgend, sondern aus moralischen Gründen. "Wir haben super viele Stammkunden, eine gewachsene Treue. Auch darum ist mir nicht bang vor schwierigen Phasen", betont er. "Das Thema nachhaltiger Konsum ist ja in den letzten Jahren nicht weniger wichtig geworden."

Sibylle Klessen dagegen suchte vergeblich einen Nachfolger. Beim Ausverkauf betraten viele Kunden wohl erstmals einen Unverpackt-Laden und kauften große Bügelgläser, erzählt sie – ohne sie mit dem bis zu 80 Prozent reduzierten Reis aufzufüllen.

Im Mai soll in ihrem früheren Lädchen am Gadamerplatz in der Bahnstadt ein Wein- und Feinkostladen eröffnen. "Ich denke, das passt besser", sagt Sibylle Klessen und ist froh darüber, dass ihre kleine Schar an Stammkunden nun zumindest zu "Annas Unverpacktes" gewechselt ist. "Sie wollten nicht mehr zum gewohnten Verpackungs-Einkauf zurückkehren", meint sie. Es ist schließlich ein Ritual, mit eigenem Gefäß oder Stoff-Beutelchen einzukaufen – ohne Verpackung, ohne Müll.


> Ein Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland gab bei einer Umfrage im Jahr 2020 an, bereits in einem Unverpackt-Laden eingekauft zu haben. Demnach waren 72 Prozent der Befragten mindestens ein Mal in einem solchen Laden. Allerdings befanden sich unter ihnen nur wenige, die regelmäßig in einem verpackungsfreien Laden einkaufen. Lediglich vier Prozent der Befragten gaben im Januar 2020 an, mehrmals pro Woche in einem Unverpackt-Laden ihre Lebensmittel zu besorgen. Demgegenüber erklärten etwa 35 Prozent der Befragten, weniger als ein Mal im Monat den Unverpackt-Laden zum Einkaufen zu nutzen.

> Allerdings zeichneten sich keine großen Unterschiede zwischen Personen mit einem niedrigen Nettohaushaltseinkommen und einem hohen Nettohaushaltseinkommen ab. Rund zwölf Prozent der befragten Unverpackt-Laden-Kunden mit einem Nettohaushaltseinkommen von unter 1000 Euro betraten ein Mal pro Woche einen verpackungsfreien Laden. Bei denjenigen, die über ein Nettohaushaltseinkommen von mehr als 5000 Euro verfügen, erledigten 19 Prozent ein Mal in der Woche ihren Einkauf im Unverpackt-Laden.

> Für diejenigen, die noch nie in einem Unverpackt-Laden waren, bestand 2020 demnach einer der Hauptgründe in der Entfernung zum nächsten verpackungsfreien Laden. Fast 80 Prozent der Befragten gaben das an. Nichtsdestotrotz fühlten sich rund 95 Prozent der Befragten, die noch nicht in einem Unverpackt-Laden eingekauft haben, von der Möglichkeit angesprochen, verpackungsarm einzukaufen. Rund 31 Prozent gaben allerdings an, sie gingen davon aus, dass die Produkte dort teurer seien.

> Die meisten Unverpacktläden gab es im Jahr 2021 in Berlin (14), es folgten Köln (12), Hamburg (10), München (8) und Leipzig (5).

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