Auch Oma und Opa kaufen gern im Internet
Ein Abgesang auf den stationären Einzelhandel hält Handelsexperte Jörg Funder für verfrüht.



Professor für Unternehmensführung im Handel
Von Tillmann Bauer
Mannheim. Es gibt zwei Arten von Menschen: Die einen haben alle Geschenke im Spätsommer beisammen, die anderen hetzen auf den letzten Drücker in die Stadt oder bestellen per Express-Versand – Vorweihnachtszeit ist Geschenke-Zeit! Wir haben mit Handelsexperte Prof. Dr. Jörg Funder – kurz vor dem Nikolaustag – über die Entwicklung gesprochen.
Jörg Funder, haben Sie schon alle Geschenke beisammen?
(lacht) Tatsächlich noch gar keine. Und ich kann auch generell sagen: Es wird schwer in diesem Jahr für den Einzelhandel.
Warum?
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Die Menschen schnallen den Gürtel enger. Letztes Jahr hatten die Deutschen noch über 500 Euro zur Verfügung, jetzt sind wir in diesem Jahr bei circa 40 Prozent weniger: Jeder Deutsche hat im Schnitt genau 300 Euro, die er für Weihnachtsgeschenke ausgeben wird.
Sind Sie Online- oder Offline-Käufer?
Sowohl als auch. Das hängt von der Produktkategorie ab.
Trifft das auf die Allgemeinheit zu?
Ja. Knapp 78 Prozent der Deutschen machen es von der Produktkategorie abhängig, ob sie online oder offline kaufen.
Heißt konkret: Alles, was man mal in der Hand gehabt haben will, kauft man offline?
Na ja, es geht dabei auch viel um Verfügbarkeiten. Je später im Weihnachtsgeschäft, desto höher ist der Online-Anteil. Und wir sehen auch, dass ein großer Teil des Budgets schon im November ausgegeben wird, um die Rabatt-Tage wie den "Singles-Day", "Black Friday" oder "Cyber Monday" mitzunehmen. Das sind natürlich typische Rabatt-Aktionen, die vorwiegend im Online-Handel stattfinden.
Wie ist die Entwicklung in diesem Jahr?
Wir gehen stark davon aus, dass der Online-Anteil weiter steigt. Insbesondere aufgrund der großen Bedeutung der Rabatt-Tage. Dazu kommt: Der "Black Friday" lag fast unmittelbar vor dem ersten Advent. Deshalb erwarten wir da nochmal ein moderates Wachstum im Online-Segment von 4,9 Prozent. Also gehen wir davon aus, dass der stationäre Einzelhandel erneut schrumpfen wird.
Macht die Altersstruktur beim Einkauf noch einen Unterschied?
Nein, das gibt’s kaum noch. Die Konsumenten haben alle gelernt, dass sie online fast alles – und zwar gut – kaufen können. Das Internet ist für Jedermann. Auch Oma und Opa kaufen gerne online.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise gezeigt?
Im stationären Einzelhandel gab es natürlich negative Entwicklungen, weil viele Geschäfte aufgrund der Infektionszahlen nicht öffnen durften. Die Einkaufsmöglichkeiten waren schlicht beschränkt und eben fast nur der Online-Einkauf möglich. Das hat für einen rapiden Anstieg gesorgt. Tatsächlich sehen wir jetzt aber beim Weihnachtsgeschäft, dass vermehrt der Wunsch aufkommt, stationär einzukaufen. Da geht’s auch darum, dass man sicher gehen will, dass man sein Geschenk auch wirklich bekommt. Das ist aber vorwiegend in den Städten so. Im ländlichen Raum sehen wir nach wie vor einen sehr großen Online-Anteil.
Werden Menschen immer offline einkaufen?
Definitiv. Also den Abgesang auf den stationären Einzelhandel zu machen, wäre falsch. Und das wird auch nicht passieren. Die Rolle ist aber einfach eine andere. Wenn man Weihnachtsstimmung, Beratung, Service haben und sicher gehen will, sein Geschenk zu bekommen, dann wählt man den stationären Einzelhandel. Genauso wird es aber immer den Online-Handel geben – es ändert sich lediglich die Struktur der Geschäfte. Die kleinen und mittelständigen, häufig vom Eigentümer geführten Unternehmen, werden nicht in der Lage sein, die gleichen Online-Kanäle wie große Ketten- und Handelsunternehmen haben. Dort geht’s um andere Wege.
Könnte Einkaufen über Virtual Reality bald ein Thema sein?
Solange wir die Problematik haben, dass wir VR-Brillen tragen müssen, um in die virtuelle Welt einzutauchen, halte ich das für schwierig. Wir werden die Brillen nicht den ganzen Tag aufhaben. Da fehlt für die Technik noch etwas Zeit. Deshalb geht’s mehr darum, durch Augmented Reality (AR) digitale Inhalte in Geschäften auszuspielen und dadurch einen Mehrwert zu generieren. Daran glaube ich sehr viel mehr.
Jörg Funder (49) ist seit 2008 Professor für Unternehmensführung im Handel. Als geschäftsführender und akademischer Direktor führt er das von ihm gegründete Institut für Internationales Handels- und Distributionsmanagements (IIHD) an der Hochschule Worms – einer der führenden Think Tanks für managementrelevante Fragestellungen in den Industrien Handel, Konsumgüter und konsumentenorientierter Dienstleistungen.