Digitaler Traktor

Der Computerarbeitsplatz auf dem Acker

Die Digitalisierung der Landmaschinen schreitet voran - John Deere hat bereits einen autonomen Traktor ohne Fahrerkabine gebaut

23.04.2018 UPDATE: 24.04.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden

Mit 670 PS zieht der John Deere Raupenknicklenker-Traktor 9620 RX zentimetergenau Furchen ins Feld. Firmenbild

Von Harald Berlinghof

Die Landwirtschaft ist im Umbruch. Von der Idylle des Bauern, der mit Muße seine Felder bestellt und seine Tiere betreut, ist bereits in der Gegenwart nicht mehr viel geblieben. Und realistisch betrachtet war diese romantische Sicht der landwirtschaftlichen Arbeit auch in der Vergangenheit ein Mythos.

Die Arbeit der Bauern war meist anstrengend und mühsam. Unwetter, Schädlinge und Krankheiten machten den Landwirten schon immer das Leben schwer. Hinzu kamen in jüngerer Zeit zusätzliche bürokratische Auflagen und Dokumentationspflichten über Futter, Medikamente, Düngemittel und Pflanzenschutz. "Jede Weizencharge kann heute von der Saat bis zur Ernte dokumentiert werden", so Bernhard Haas, weltweit zuständig für die John Deere-Traktorensparte.

Die zunehmende Skepsis auf Verbraucherseite brachte einen zunehmenden Vertrauensschwund mit sich, andererseits stieg die Regelungswut durch die Politik. Heute sitzt der Bauer im Winter nicht mehr am Kachelofen und schnitzt kleine Holzspielzeuge wie einst, sondern er arbeitet vor dem Computerbildschirm, um die neuesten Regularien beim Pflanzenschutz zu verinnerlichen oder die finanziellen Belastungen bei der Anschaffung neuester Technologien durchzurechnen. Und dabei spielt der Traktor eine Schlüsselrolle. Moderne Landmaschinen und moderne Arbeitsabläufe auf dem Hof und dem Feld werden bei der Nahrungsmittelerzeugung der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen. Denn wir sind längst noch nicht am Ende dieser Entwicklung angekommen. Zukunftsforscher Matthias Horx spricht von Landwirtschaft 5.0, andere konstatieren den Einzug eines smart Farming (intelligenter Landwirtschaft).

Hintergrund

Für John Deere war Waterloo ein Glücksfall

(hab) Zu einem "Waterloo" im sprichwörtlichen Sinn wurde die Sache für John Deere nicht. Ganz im Gegenteil. Die Übernahme der Waterloo Gasoline Engine Company (mit Sitz im amerikanischen Städtchen Waterloo)

[+] Lesen Sie mehr

Für John Deere war Waterloo ein Glücksfall

(hab) Zu einem "Waterloo" im sprichwörtlichen Sinn wurde die Sache für John Deere nicht. Ganz im Gegenteil. Die Übernahme der Waterloo Gasoline Engine Company (mit Sitz im amerikanischen Städtchen Waterloo) durch John Deere im Jahr 1918 erwies sich als wahrer Glücksgriff des amerikanischen Landmaschinenpioniers. Dass er selbst dabei nur einen guten Spürsinn als Unternehmer bewies und vor allem durch den Zukauf von Know-how zur eigenen Entwicklung des Traktors beitrug, hindert niemand bei John Deere daran, in diesem Jahr eine 100-jährige Erfolgsgeschichte zu feiern. Auch nicht in der größten Landmaschinenfabrik von John Deere außerhalb Nordamerikas in Mannheim-Lindenhof. Dort, wo drei Jahre nach dem Kauf der Traktorenfabrik durch John Deere tatsächlich ein Ingenieur den ersten Traktor in Deutschland baute, der wegen seines Aussehens den Namen "Lanz-Bulldog" erhielt.

Heinrich Lanz hatte 1859 die Firma seines Vaters übernommen. Bis dahin baute man Lokomobile - bewegliche Dampfdreschmaschinen - war sich aber auch nicht zu schade dafür, mit Guano-Dünger für die Landwirtschaft zu handeln. Der Ingenieur Fritz Huber arbeitete für den deutschen Landtechnik-Pionier Heinrich Lanz in Mannheim. Berühmt wurde er durch seinen Satz, dass "ein Motor für die Landwirtschaft gar nicht einzylindrig genug sein kann". Unverwüstlich, stark und langlebig. Das waren die Merkmale, die ein Traktor in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts besitzen musste. Er musste alles als Antriebsmittel klaglos schlucken, was gerade da war - billiges Rohöl, teures Ligroin oder heimisches Pflanzenöl. Entsprechend laut und holprig lief der Motor. Hauptsache er lief.

Ein paar Jahre zuvor in den USA: Bevor John Deere 1918 seinen zwölf PS starken Waterloo Boy auf den Markt brachte, hatte er mit seiner Firma seit einigen Jahren Prototypen und Versuchstraktoren entwickelt. Der Durchbruch kam mit dem Zukauf der Firma aus Waterloo.

Doch noch immer hatte der Autopionier Henry Ford mit der Traktormarke Fordson die Nase vorn. Die Waterloo-Traktoren brachten es 1918 bereits auf eine Stückzahl von 5634, aber Fordson blieb mit 34.000 verkauften Traktoren Marktführer. Ford konzentrierte sich zunehmend auf die Autoherstellung, John Deere wurde zum führenden Landmaschinenhersteller der Welt. Das in den 1930er Jahren gefertigte Modell A wurde über 300.000 mal verkauft. Seit 1963 ist man Weltmarktführer bei der Herstellung von Traktoren und Mähdreschern. Im Mannheimer Werk wurden im vergangenen 22.100 Traktoren gebaut. In den Firmenfarben grün-gelb und mit dem Schriftzug John-Deere tauchten die Traktoren seit 1923 auf den Feldern auf. Und das ist bis heute so geblieben.

[-] Weniger anzeigen

Die digitalisierte und "intelligente" Landwirtschaft ist zum Taktgeber der Branche geworden. Viele Bauern zeigen sich offen für diese Entwicklung und sind zu Vorreitern einer Digitalisierung geworden. Vor allem die jüngere Generation nutzt die Digitalisierung und verspürt offenbar wenig Lust auf die Knochenarbeit auf dem Acker. Eine Befragung des Branchenverbandes Bitkom ergab, dass vor allem die unter 35-jährigen auf den Einsatz modernster Technik drängen. Eine Arbeitserleichterung aber auch die Einsparung von Arbeitskräften und damit von Kosten stehen dabei im Vordergrund. Vor allem beklagen viele Landwirte aber auch die knapper werdenden Arbeitskräfte auf dem Land.

Auch interessant
Traktorenbau: Für John Deere war Waterloo ein Glücksfall
"John Deere" in Mannheim: Alle drei Minuten rollt ein Traktor vom Band
: Endlich mal Traktor fahren

Seit rund 12.000 Jahren sät und erntet der Mensch. Erst vor 150 Jahren setzte langsam eine Mechanisierung in Teilbereichen der Landwirtschaft ein und seit 100 Jahren gibt es den Traktor als mobiles Arbeitsgerät. Er ersetzte zunächst nur den "Ackergaul", wurde aber in der Folge stets weiter entwickelt.

Immer an der Spitze der Entwicklung die grauroten Lanz-Traktoren aus Mannheim und die gelb-grünen John Deere-Maschinen "Made in USA". 1956 kaufte John Deere schließlich den Mannheimer Traktorenbauer Lanz. Auch im Traktorenbau werden stetig Verbesserungen eingeführt. Von verstellbaren Vorderachsen über verbesserte Arbeitsplatzbedingungen für die Fahrer bis zum Überrollbügel reichten die Neuerungen.

Mit 620 PS zieht der Traktor Typ 9620 RX bis zu 30 Tonnen über den Acker. In der Version des Raupenknicklenkers kann er 670 PS auf den Boden bringen und Traktoren mit 800 PS sind keine Utopie mehr, so Haas. Die Fahrerkanzel wird zunehmend zum sensorgesteuerten Computerarbeitsplatz mit Bildschirm. Die einfache Mechanisierung der Landwirtschaft ist inzwischen einer immer schneller voran schreitenden technologischen Aufrüstung und Digitalisierung gewichen.

Quo vadis Traktor? Laut Haas wird die Elektrifizierung der Traktorantriebe durch die geforderte hohe Leistungsfähigkeit und die Anforderungen an die Reichweite einer Batterie erschwert. Es werde bald Traktoren geben mit mehr als 800 PS, da würde eine Batterie 15 Tonnen wiegen, damit der Traktor zwölf Stunden mit 75 Prozent Volllast fahren kann, erläutert Haas. Das würde nur mit einem eigenen Batterieanhänger gehen - das ist eher unrealistisch.

Die Automatisierung der Traktoren ist theoretisch möglich. Fahrerlose Landmaschinen und Traktoren sind nicht mehr komplett undenkbar. GPS gesteuert können die Traktoren auf 2,5 Zentimeter genau gesteuert werden, Dünger ausbringen oder ernten. Auch die Wendevorgänge am Ende des Ackers können damit bewältigt werden. Auf dem Feld sind die Anforderungen an eine Umgebungserkennung bezüglich des Zustands der Fahrstrecke oder der Höhe der Pflanzen höher als für selbstfahrende Autos auf ebener Straße. Mit Gegenverkehr muss der Traktor zwar weniger rechnen, aber mit dem unvermuteten Auftauchen von Hindernissen wie Bäumen oder Strommasten schon. Der Traktor plant voraus, indem er eine Steigung rechtzeitig erkennt und die Drehzahl anpasst. Solche autonomen Fahrzeuge ohne Fahrerkanzel existieren als Prototypen. Aktuell werde aber bei John Deere nicht über eine Produktion nachgedacht.

Aber auch die Sensorausstattung der fahrergesteuerten Traktoren steigt rapide an - im Motor, im Getriebe und in der Kabine. Bis zu 15 Prozent der Materialkosten stecken bei solchen Modellen der nahen Zukunft in der Elektronik. Tendenz steigend. Die Fahrgeschwindigkeit wird automatisch bei der Gülleausbringung an den aktuell gemessenen Stickstoffgehalt der Gülle angepasst.

Die Zukunft auf dem Acker wird dem "Feldschwarm" gehören. Das sind ganze Flotten von Landmaschinen, die aufeinander abgestimmt automatisch agieren. Der Bauernhof wird zunehmend zur Fabrik unter freiem Himmel. Der Bauer sitzt an seinen Bildschirmen, die ihm die Situation auf seinem Gelände übertragen und überwacht dabei die Vorgänge. So wie sich die Position eines fahrerlosen Traktors auf 2,5 Zentimeter genau bestimmen lässt, so lässt sich auch die Position einer Kuh exakt aufzeichnen. Die Digitalisierung macht vor dem Stall nicht halt.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.