Nicht einmal zwei neue Windräder gehen pro Tag in Betrieb
Den Branchenvertretern zufolge sind es viel zu wenig Windkraft-Anlagen.

Von Gernot Heller, RNZ Berlin
Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht gerne von durchschnittlich vier bis fünf neuen Windrädern pro Tag, die notwendig seien, um die ehrgeizigen Energiewende-Ziele zu erreichen. Daran gemessen sind die Zahlen, die die zuständigen Verbände am Dienstag vorlegten, enttäuschend. Gerade einmal ein bis zwei Neuanlagen an Land (rein rechnerisch 1,8) seien es derzeit, so die Präsidentin des Bundesverbandes WindEnergie BWE, Bärbel Heidebroek.
Auch für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gab es einen Dämpfer: Die von ihm betriebene Verfahrensbeschleunigung, die nicht zuletzt in seinem Wind-an-Land-Gesetz zum Ausdruck kommt, greift zumindest bislang noch nicht. Schlimmer: Die Verfahrensdauer hat sich noch einmal verlängert – auf durchschnittlich 24,5 Monate. Rechnet man alles ein, von den ersten Plänen bis zur ersten Kilowattstunde Strom aus einem neuen Windrad, könnte es im Einzelfall schon mal vier oder mehr Jahre dauern, so die Erfahrungen in der Branche.
Auf einem weiteren Problemfeld beim Ausbau der Windkraft hat sich nicht nur nichts verbessert, sondern eher Negatives verfestigt: Das Gefälle beim Ausbau der Windkraft zwischen einem sehr engagierten Norden mit Ländern wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen und einem eher behäbigen Süden mit den wirtschaftlichen Schwergewichten Bayern und Baden-Württemberg ist nicht kleiner geworden. Für Heidebroek hat das weniger mit praktischen oder wirtschaftlichen Hindernissen zu tun, sondern eher mit "mangelndem politischen Willen". Wenn der fehle, gehe eben wenig.
So wird das Ziel, bis 2030 rund 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, nach Ansicht von Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, der für die Hersteller spricht, nicht zu erreichen sein. Die aktuelle Dynamik sei nicht genug, sagte er. "Wir glauben, dass die Ziele verfehlt werden." Problematisch wäre das auch angesichts des wachsenden Bedarfs an grünem Strom – wenn verstärkt Wärmepumpen betrieben werden und E-Autos das Straßenbild bestimmen sollen.
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Dabei gibt es durchaus eine erfreuliche Dynamik in Deutschland, was den Ausbau der Windkraft an Land angeht. So wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres 331 neue Windräder mit einer Gesamtleistung von 1,56 Gigawatt errichtet. Damit wurden schon zur Jahresmitte 65 Prozent der Leistung des gesamten Vorjahres installiert. Rechnet man die stillgelegten Anlagen dagegen, bleibt immer noch ein Netto-Zubau von rund 1,32 Gigawatt – die Hälfte mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch für das gesamte Jahr 2023 erwarten die Verbände einen erhöhten Zubau von 3,2 Gigawatt, was sie als "starke Leistung" einstufen.
Vom Prognosewert der Politik, der bei vier Gigawatt liegt, ist das allerdings weit entfernt. Und der für 2025 angepeilte Zielwert von jährlich zehn Gigawatt scheint vollkommen unrealistisch. Das gilt auch für das von der Regierung gesetzte Ausbauziel von 115 Gigawatt Windkraft an Land bis 2030. Im Augenblick erscheint die Lücke zwischen Anspruch und Realität immens.
Zwei Hebel sieht die Branche, um die Entwicklung drastisch zu beschleunigen: die ausgewiesenen Flächen, also die Standorte für Windräder, und die Genehmigungen. Daran hapere es. "Flächen und Standorte sind der knappe Faktor und werden auch künftig der knappe Faktor sein", sagte die BWE-Präsidentin.
Hinzu kommen die langen und umfangreichen Genehmigungsverfahren – was mit dem Transport der Riesen-Komponenten auf der Straße anfängt und mit den Anlagen-Genehmigungen vor Ort aufhört, ergänzte Rendschmidt. Tausende Tatbestände ließen sich streichen, so die Verbände. Bei vielen zuständigen örtlichen Ämtern und Behörden, so beklagte Heidebroek, fehle es zudem noch an einer grundlegend neuen Herangehensweise, die beim raschen Ausbau der Erneuerbaren nötig sei.