Millionen für saubere Luft
Drei "Modellkommunen" testen im Südwesten den Verkehr der Zukunft

Stellten in Berlin die Konzepte der fünf Modellstädte vor: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit Vertretern aus Reutlingen, Bonn, Essen, Mannheim - hier vertreten durch Ersten Bürgermeister Christian Specht - und Herrenberg (v.l.). Foto: Wolfgang Kumm
Von Sascha Meyer und Daniel Bräuer
Berlin/Stuttgart. Mit mehr als 50 Millionen Euro wird der Bund die Südwest-Modellstädte Herrenberg, Reutlingen und Mannheim bei der Luftreinhaltung unterstützen. Damit sollen die Kommunen neue Ideen zum Beispiel für einen besseren Bus- und Bahnverkehr testen. "Nur ein gut ausgebauter und preislich attraktiver öffentlicher Personennahverkehr kann überzeugen", betont Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag bei der Vorstellung der Pläne in Berlin. Ein Überblick, was die drei Modellstädte im Südwesten vorhaben:
Herrenberg
Die 31.000- Einwohner-Stadt im Kreis Böblingen erhält rund 4,5 Millionen Euro. Der Schwerpunkt liegt auf der Digitalisierung im Straßenverkehr. Eine dynamische Steuerung soll den Verkehrsfluss verbessern. Auf zentralen Achsen sollen digitale Leitsysteme das zulässige Tempo auf Geschwindigkeiten zwischen 20 und 40 Kilometer pro Stunde herunterregeln. So soll es weniger "Stop and Go" geben, wie der 1. Bürgermeister Tobias Meigel erläutert. Vorgesehen ist auch eine App, die den schnellsten und umweltfreundlichsten Weg zum Ziel zeigt.
Außerdem will die Stadt zusätzliche Busspuren einrichten, einen weiteren Linienbus einsetzen und das ÖPNV-Angebot um Kleinbusse ergänzen. Zeitkarten sollen günstiger werden - Tagestickets zum Beispiel künftig nur noch drei statt derzeit sieben Euro kosten.
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Reutlingen
Die südlich von Stuttgart gelegene Kreisstadt (115.000 Einwohner) setzt vor allem auf den ÖPNV-Ausbau. Zehn neue Buslinien und mehr als 100 neue Haltestellen erweitern das Stadtbusnetz - ein "Quantensprung", wie die 1. Bürgermeisterin Ulrike Hotz sagt. Auch ein neues Umweltticket gibt es. Das Jahresticket kostet dann 365 Euro statt bisher 524 Euro, das Tagesticket 3,50 Euro statt 4,40 Euro. Auf einer früheren Bahntrasse soll ein Radschnellweg entstehen. Der Bund gibt 19 Millionen Euro dazu.
Hintergrund
Erste Details des neuen Tarifsystems
Details ihres Konzepts gegen Stickoxidbelastung will die Stadt Mannheim erst heute vorstellen. Ab wann die neuen Ticketpreise in Mannheim und Ludwigshafen gelten sollen, war am Dienstag nicht zu erfahren. Laut einer
Erste Details des neuen Tarifsystems
Details ihres Konzepts gegen Stickoxidbelastung will die Stadt Mannheim erst heute vorstellen. Ab wann die neuen Ticketpreise in Mannheim und Ludwigshafen gelten sollen, war am Dienstag nicht zu erfahren. Laut einer Übersicht des Bundesverkehrsministeriums, die unserer Redaktion vorliegt, sieht das Paket unter anderem folgende Maßnahmen vor:
E-Tarif: Das Smartphone-Ticket, das ohne Rücksicht auf Wabengrenzen den Fahrpreis streckengenau berechnet, soll attraktiver und billiger werden. Neukunden winkt ein 20-Euro-Gutschein, Vielnutzern sogar eine kostenlose Jahreskarte. Zudem sind eine neue Funktion für Mitfahrer und eine Prepaid-Option geplant. Der Grundpreis pro Fahrt sinkt von 1,20 auf 0,80 Euro.
Green-City-Ticket: Fahrten in der Großwabe Mannheim/Ludwigshafen werden günstiger: Einzelfahrten kosten dann 1,80 Euro statt 2,60 Euro (für Kinder: 1,30 Euro statt 1,80 Euro, für BahnCard-Inhaber 1,40 Euro statt 2 Euro). Mehrfahrtenkarten kosten künftig 1,72 Euro statt 2,50 Euro pro Fahrt (für Kinder: 1,20 statt 1,74 Euro). Auch der Preis für Zeitkarten soll entsprechend gesenkt werden - von Preisstufe 3 auf 2.
Jobticket: Für Mannheimer Firmen soll der monatliche Grundbetrag von aktuell 9,50 bis 11,50 Euro pro Mitarbeiter wegfallen. Dies gilt allerdings nur für Neuabschlüsse.
Vorort-Verkehr: Um auch abseits des Zentrums den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver zu machen, soll die "tangentiale" Buslinie 50 (Sandhofen - Schönau - Waldhof - Käfertal - Wallstadt - Feudenheim) durch zusätzliche Busse verstärkt werden.
Glücksstein-Quartier: Das neue Stadtviertel soll an die Straßenbahntrasse angebunden werden. Bis dahin sollen eine neue Buslinie 65 das Quartier erschließen und der Takt auf der innerstädtischen Linie 60 verdichtet werden.
Neue Busse: Um die Linien zu verstärken und den Schadstoffausstoß zu reduzieren, sollen mit der Bundesförderung neue EURO-6-Busse mit Hybridantrieb angeschafft werden. (hol)
Mannheim
Die zweitgrößte Stadt im Land erhält rund 28 Millionen Euro - unter anderem für günstigere Tickets im ÖPNV, neue Hybridbusse und den Aufbau eine Verladestation, in der Pakete auf E-Lastenräder für den Weg zum Empfänger umgeladen werden (siehe Hintergrundkasten).
Und was ist mit Stuttgart?
Bei der Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid und Feinstaub liegt Stuttgart regelmäßig vorn. Als Modellstadt taugt die Landeshauptstadt jedoch nicht - sie ist zu groß für das Projekt, bei dem innerhalb von zwei Jahren die besten Maßnahmen zur Luftreinhaltung erforscht werden sollen. Zwar ist das ebenfalls geförderte Essen (582.000 Einwohner) auch nicht viel kleiner als Stuttgart (628.000 ), aber für die Probleme im Ruhrgebiet repräsentativer als Stuttgart für Baden-Württemberg. Wegen ihrer Kessellage hat die Stadt schon lange mit Feinstaub zu kämpfen. Vor allem von Oktober bis April kann es zu Wetterlagen kommen, bei denen im Talkessel kein ausreichender Luftaustausch stattfindet. Erwartet der Wetterdienst an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine solche Wetterlage, werden Autofahrer zum Umstieg auf Bus und Bahn aufgerufen und der Betrieb von Kaminen, die nur der Gemütlichkeit dienen, untersagt. Der Verkehrsverbund VVS bietet im Winter ein günstigeres Tagesticket an.
Darüber hinaus arbeiten Stadt und VVS daran, die komplizierten Tarifzonen zu vereinfachen und das Angebot an Bus- und Bahnlinien besser und und günstiger zu machen. Dafür sind bis 2023 mehr als 70 Millionen Euro eingeplant.
Bis 2019 sollen für elf Millionen Euro unter anderem neue Bäume gepflanzt werden. Am Neckartor, wo die Feinstaubbelastung besonders hoch ist, wurde zeitweise eine 300 Quadratmeter große Mooswand errichtet, die Feinstaub aus der Luft filtern sollte - allerdings mit nur geringem Erfolg.